Dienstag, 18. Juni 2024: Die Zermatter Hochschuldozentin Danica Zurbriggen ist auf dem Heimweg von der Arbeit. Auf ihrem Handy scrollt sie sich durch die lokalen Nachrichten des Tages. Da liest sie: Der frühere CVP-/Mitte-Nationalrat Yannick Buttet wurde von der Generalversammlung der Walliser Tourismuskammer einstimmig zum neuen Präsidenten gewählt. 

Yannick Buttet, 48, ist nicht irgendwer. Er war sieben Jahre lang Nationalrat – bis er im Dezember 2017 zurücktrat. Der politische Druck war aufgrund von Vorwürfen wegen sexueller Belästigung und Stalking zu gross geworden. Ein halbes Jahr später wurde Buttet wegen Nötigung seiner Ex-Freundin zu einer Geldstrafe verurteilt. Im November 2021 kassierte der Ex-Nationalrat erneut eine Geldstrafe, diesmal wegen sexueller Belästigung. Angezeigt hatte ihn eine FDP-Lokalpolitikerin. Buttet akzeptierte den Strafbefehl.
 
Danica Zurbriggen sagte sich: «Das kann es ja nicht sein.» Sie sei überrascht gewesen, dass der frühere Nationalrat überhaupt wieder die öffentliche Bühne suche. Noch am selben Abend machte sie ihrem Ärger Luft – mit einem Post auf Instagram. 

Partnerinhalte
 
 
 
 

«Der Rücktritt von Yannick Buttet war richtig.»

Danica Zurbriggen Lehner

Wenige Tage später erschien im «Walliser Boten» ein Leserbrief. Darin kritisierte sie, was politisch Interessierte im Wallis ohnehin wussten, aber kaum jemand öffentlich in Frage stellte: Die Frau, die ihn angezeigt hatte, arbeitet bei einer Organisation, die zur Walliser Tourismuskammer gehört. Buttet wurde damit indirekt Chef von ihr. Danica Zurbriggen schrieb: «Buttet lässt jegliche Lernkurve vermissen.» Und: «Keine Anzeichen von Reue oder Wiedergutmachung.» 

Auf die problematische Konstellation angesprochen, sagte Yannick Buttet gegenüber dem Lokalsender «Canal 9»: «Die Arbeit ist das eine, das Private etwas anderes.» Man sei erwachsen, die neue Situation spiele keine Rolle – für ihn nicht, und er hoffe, auch für die betroffene Frau nicht.  

Der besagten Frau signalisierte die Tourismusorganisation, sie könne künftig bei Anlässen zu Hause bleiben, um eine unangenehme Begegnung mit Buttet zu verhindern. Sprich: Das Opfer sollte dem Täter aus dem Weg gehen. Diese Nonchalance ärgerte Danica Zurbriggen zusätzlich: «War er nicht selbst erwachsen, als er die Straftaten beging?» 

Dynamik dank sozialen Medien

So richtig los ging die Diskussion, als sie ihren Leserbrief im Sommer 2024 auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn postete – und damit 65’000 Leserinnen und Leser in der ganzen Schweiz erreichte. Nationale Medien griffen den Fall auf, und in den sozialen Medien formierte sich eine Welle der Empörung. 

Über 10’000 Personen forderten den Rücktritt von Yannick Buttet.

Innerhalb weniger Tage lancierten das Feministische Kollektiv Ober- und Unterwallis, die Jugendsektion der Unia und die Unia Frauen Oberwallis eine Onlinepetition. Über 10’000 Personen unterzeichneten sie und forderten den Rücktritt von Yannick Buttet.

Prix Courage des Beobachters: Bühne frei für mutige Menschen

Tourismuskammer auf Tauchstation

SP, Grüne, Gewerkschaften stellten sich hinter die Petition. Schliesslich verurteilte auch die Frauensektion der Mitte die Wahl Buttets, und sogar der Hotelierverein Zermatt stellte sich gegen ihn. Der Verein «Von Iris», der sich für die Förderung von Frauen in Wirtschaft und Politik einsetzt, kritisierte, dass es bei einem höheren Frauenanteil an der Versammlung kaum zu einer solchen Wahl gekommen wäre. Gleichzeitig ging die Tourismuskammer auf Tauchstation. 

Inzwischen war auch publik geworden, wie es überhaupt zur Wahl des Nachfolgers von Ständerat und Parteifreund Beat Rieder an der Spitze der Tourismusorganisationen gekommen war: Buttets Name stand nicht auf der Traktandenliste, er wurde erst an der Generalversammlung vorgeschlagen. Eine Diskussion über die Wahl fand nicht statt. Dass es neben Buttet noch einen zweiten Interessenten für das Amt gegeben hätte, wurde ebenfalls erst im Nachhinein öffentlich. 

Ende Juli 2024, sechs Wochen nach seiner Wahl, warf Yannick Buttet schliesslich das Handtuch und gab seinen Rückzug bekannt. An einer ausserordentlichen Sitzung hatte der Vorstand die politisch-mediale Situation analysiert und sich am Ende gegen Buttet gestellt. Dieser liess daraufhin verlauten: «Ohne diese Unterstützung wird es mir nicht möglich sein, meine präsidialen Aufgaben zu erfüllen. Ich habe daher meinen Rücktritt eingereicht.» 

Faktisches Männergremium machte den Job unter sich aus

Danica Zurbriggen sagt im Rückblick: «Anfänglich ging es mir vor allem darum, das Problem und den Mechanismus einer solchen Wahl aufzuzeigen.» Nämlich, dass ein faktisches Männergremium – im Vorstand sitzen zwölf Männer und eine Frau – den Präsidentenjob unter sich ausmacht. Die Folgen für das Umfeld spielten keine Rolle, weil es an Sensibilität für die Opfer sexualisierter Gewalt fehle. 

Heute sagt sie: «Der Rücktritt von Yannik Buttet war richtig.» Von Schadenfreude keine Spur. Sie ist keine Frau der lauten Worte. Wenn sie spricht, argumentiert sie nüchtern, klar und analysierend – und kommt dabei zügig auf den Punkt.   

Danica Zurbriggen selbst machte im Sommer 2024 unterschiedliche Erfahrungen: Zum einen entstand unter den beteiligten Frauen und Organisationen eine mitreissende Dynamik. Fast zu jeder Tages- und Nachtzeit tauschten sie sich aus. Sie koordinierten ihre Aktionen, Medienauftritte und Beiträge in sozialen Netzwerken. Konstruktiv, effizient und vor allem effektiv. 

Die Zermatterin Danica Zurbriggen Lehner wollte nicht hinnehmen, dass Ex-Nationalrat Yannick Buttet als zweifach verurteilter Sexualstraftäter  indirekt Chef eines seiner Opfer wurde. Die initierte eine Petition, in welcher über  10'000 Personen Bu…

Danica Zurbriggen Lehner

Quelle: Joan Minder

«Die Verantwortlichen dieser Wahl nahmen uns nicht ernst, aber wir liessen nicht locker.»

Danica Zurbriggen Lehner

Gleichzeitig wurde ihr einmal mehr bewusst: Im Wallis, wo eine besonders von Männern geprägte Klüngelwirtschaft den Politikbetrieb und den Alltag prägt, müssen sich Frauen, die sich öffentlich zu Wort melden, warm anziehen. In konservativen Kreisen heisst es mitunter auch in einem abwertenden Unterton, Danica Zurbriggen sei eine Feministin. 

Frauenthemen werden im Wallis als links verschrien

Sie sieht das etwas differenzierter: «Alles, was mit Frauenthemen zu tun hat, wird im Wallis als links verschrien.» Sie bezeichnet sich als lösungsorientiert, durchaus liberal und wenig etatistisch. «Ich engagiere mich für mehr Chancengerechtigkeit in Bildung und Gesellschaft und eine bessere Wertschätzung von Care-Arbeit.» Wer sie kennt, nennt sie eine moderne, engagierte Familienfrau. 

Über sich selbst sagt sie, eigentlich sei sie sogar ziemlich bürgerlich. Die 45-jährige Mutter von zwei Kindern politisierte als Co-Vizepräsidentin für die sozial-liberale Lokalpartei Neo (vormals Christlich-soziale Partei Oberwallis, CSPO) und war Mitglied des Verfassungsrats. Dieses Gremium arbeitete zwischen 2018 und 2023 die neue Kantonsverfassung aus. Nach einem aufwendigen Bürgerbeteiligungsprozess wurde die neue Verfassung an der Urne abgelehnt.

Frauenthemen seien ihr wichtig, betont sie. Deshalb habe sie damals auch direkt reagiert, als sie von der Wahl Buttets erfahren habe. Heute sagt Danica Zurbriggen: «Die Verantwortlichen dieser Wahl waren völlig überrumpelt. Sie meinten, sie könnten die Kritik einfach aussitzen. Sie nahmen uns nicht ernst, aber wir liessen nicht locker.»

«Es ging nicht ums Gewinnen»

Fühlt sich Buttets Rücktritt heute wie ein Sieg an? «Nein. Das tut es nicht. Es ging nicht ums Gewinnen. Es ging auch nicht um die Person Yannick Buttet an sich. Es ging um die Kritik an einem System, das sexualisierte Gewalt verharmlost – und in dem sich Männer gegenseitig Ämter zuschieben, während Frauen aussen vor bleiben.» Und Danica Zurbriggen gibt zu bedenken: «Dies sind mitnichten nur Walliser Eigenheiten, auch wenn es die Deutschschweizer gerne so bezeichnen.»

Sie erzwang einen Rücktritt nach einer Skandal-Wahl: Danica Zurbriggen Lehner

loading...
Ex-Nationalrat Yannick Buttet wurde zum indirekten Chef jener Frau gemacht, die er sexuell belästigt hatte. Das nahm die Zermatterin Danica Zurbriggen Lehner nicht hin.
Quelle: Beobachter Bewegtbild
Quellen