Reto Vogt hat Facebook Anfang Februar zum 20. Geburtstag gratuliert. Der Chefredaktor des Schweizer Onlinemediums «Inside IT» erlaubte sich dabei, auf die Skandale hinzuweisen, die den Aufstieg Facebooks zur weltweit grössten Kommunikationsplattform begleitet haben.

Im Jahr 2018 ergab eine Sonderermittlung zu den US-Wahlen, dass russische Agenten Facebook dazu nutzten, den Wahlkampf zu beeinflussen. Darüber hatte die Washington Post berichtet. Dann kam heraus, dass die britische Firma Cambridge Analytica Daten von bis zu 87 Millionen Facebook-Nutzenden missbrauchte. Die US-Aufsichtsbehörden auferlegten Facebook dafür eine Rekordbusse von fünf Milliarden Dollar. 

Diese Fakten zählte Reto Vogt unter anderem in einem Post auf Facebook auf. Doch nach wenigen Stunden war sein Beitrag gelöscht. Er habe gegen «Gemeinschaftsstandards gegen Spam» verstossen, verkündete ein Banner an der betreffenden Stelle. Beim nächsten Verstoss werde das Konto möglicherweise eingeschränkt oder deaktiviert. 

«Ein Armutszeugnis»

Vogt wollte die Löschung anfechten und ging dabei wie von Facebook empfohlen vor. Doch das endete in einer Sackgasse: «Der Beitrag war komplett verschwunden. Das Support-Postfach, in dem sich gemäss Facebook eine Nachricht befinden sollte, war gänzlich leer», sagt Vogt.

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Quelle: ZVG

Was den «Inside IT»-Chefredaktor besonders empört: «Durch die schiere Grösse und Marktmacht kann der Mutterkonzern Meta schalten und walten, wie es ihm beliebt. Dass ein Weltkonzern es nötig hat, den Beitrag eines kleinen kritischen IT-Mediums zu zensieren, ist ein Armutszeugnis.» Facebook hat auf die Anfrage des Beobachters um eine Stellungnahme nicht reagiert. 

Er würde hier nicht von Zensur sprechen, sagt Rechtsanwalt Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft, einem Verein für Bürger- und Konsumentenschutz im digitalen Zeitalter. «Es handelt sich nicht um staatlich verfügte Massnahmen.»

«Sitzen die meisten Fälle einfach aus»

Das Verhalten des Unternehmens kritisiert er aber: Es komme bei Facebook und Instagram, aber auch bei anderen Social-Media-Plattformen immer wieder vor, dass Inhalte oder gar Konten gelöscht würden, ohne dass die Betroffenen den Grund dafür kennen würden. Inhalte auf Plattformen zu moderieren, sei anspruchsvoll und aufwendig. «Diesen Aufwand sparen sich die Techkonzerne nach Möglichkeit. Sie haben gelernt, dass sie mangels staatlicher Regulierung die meisten Fälle einfach aussitzen können», so Steiger. 

Bundesbern will das nicht tolerieren. In einem Bericht bezeichnet das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) die Löschung von Inhalten und Nutzerkonten nach unklaren Regeln als problematisch. Dieses sogenannte Overblocking stelle eine Begrenzung der Kommunikations- und Informationsfreiheit dar. Wenn die Löschungen zudem nach unsachlichen oder diskriminierenden Kriterien erfolgten, würden sie gegen das Prinzip der Gleichbehandlung verstossen. 

Bakom: Nutzungsregeln gefährden Rechtssicherheit

Das Bakom kritisiert auch, dass es noch keine etablierten staatlichen Verfahren gegen Löschentscheide gebe. Die Nutzungsregeln für die Plattformen seien oft unpräzise formuliert und würden sich rasch ändern. Das gefährde die Rechtssicherheit der Nutzerinnen und Nutzer. Schlimmstenfalls könne es dazu führen, dass aus Angst vor Sanktionen auf die Verbreitung kritischer Kommentare verzichtet wird, obwohl diese zulässig wären. 

Rechtlich gegen die Plattformen vorzugehen, ist möglich, aber teuer und aufwendig. «Für einen einzelnen gelöschten Beitrag lohnt sich das nicht, es sei denn, man beschreitet den Rechtsweg aus Prinzip», sagt Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft. Anders präsentiere sich die Lage möglicherweise bei einem gelöschten Konto. Hier könne es um die Online-Existenz oder bei Firmen um viel Umsatz gehen.

Der Rechtsweg ist teuer und aufwendig

Im Parlament sind zu Facebook zahlreiche Vorstösse gemacht worden. In seinen Antworten verwies der Bundesrat oft auf einen Auftrag, den er dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) erteilt hatte: Das Bundesamt soll Vorschläge machen, wie Facebook und andere grosse Kommunikationsplattformen reguliert werden könnten.

Nach dem Willen des Bundesrats sollen Nutzerinnen und Nutzern, deren Inhalte gelöscht wurden oder deren Konto gesperrt wurde, bei der Plattform direkt eine Überprüfung der getroffenen Massnahmen verlangen können. Zudem soll eine unabhängige Schweizer Schlichtungsstelle geschaffen werden. Sie soll von den Plattformen finanziert werden. Das Uvek muss seine Vorschläge bis Ende März 2024 vorlegen. «Es gibt eine leichte Verzögerung, weil sich sehr viele neue Rechtsfragen stellen. Für die Eröffnung der Vernehmlassung streben wir das zweite Halbjahr 2024 an», sagt ein Sprecher.

«Inside IT»-Chefredaktor Reto Vogt hat seine Massnahmen bereits getroffen: «Ich habe meine persönlichen Konten bei allen grossen Plattformen gelöscht. Wenn man nicht Opfer der Willkür und der Datensammelwut der grossen Techkonzerne werden will, gibt es zu diesem Schritt keine Alternative.»

Auf die Löschung seines kritischen Beitrages hat er mit einem offenen Brief reagiert. Die Löschung erinnere ihn an Regimes wie Nordkorea oder China, in denen Kritik am Chef auch nicht geduldet werde.