Die Schauspielerin Mona Petri war 19, als sie sich vor den einfahrenden Zug werfen wollte. Sie stand direkt am Gleis des Genfer Hauptbahnhofs, den Kopf voll dunkler Gedanken. Drei Tage hatte sie es nicht aus ihrem WG-Zimmer geschafft. Sie fühlte sich so unwohl in dieser Stadt, an dieser Uni. Dabei hatte sie sich doch den perfekten Plan zurechtgelegt gehabt: Geschichte, Slawistik und Philosophie studieren und danach als Fachübersetzerin arbeiten – etwas ganz anderes machen, als alle von ihr erwarteten. Von ihr, die aus einer Familie von lauter Künstlern stammte.

Heute ist sie ein Star

Der Zug fuhr ein, Mona Petri sprang nicht. Sie stieg ein, fuhr nach Zürich und holte sich Hilfe. Zurück in Genf, setzte sie sich ans Seeufer und zog Bilanz. Sie hatte sich selbst, ihren eigenen Traum vernachlässigt. Aber um diesen würde sie sich nun kümmern. Wer sonst, wenn nicht sie? Sie wollte Schauspielerin werden. Obwohl sie so schüchtern war, überwand sie sich und besuchte die Schauspielschule in Bern. Heute ist sie «Tatort»-Star und gewinnt Preise für ihre Arbeit.

Psychologin Maja Storch ist Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation in Zürich. Die meisten, die zu ihr ins Coaching kommen, stehen – wie damals Mona Petri – vor einer grundlegenden Entscheidung. Um einen guten Weg für sich zu wählen, empfiehlt die Expertin, Bauchgefühl und Verstand zusammenzubringen. «Wenn ich nur mit dem Verstand entscheide, dann mache ich unter Umständen vernünftige Dinge, mit denen ich mich aber nicht wohl fühle.» Auf Dauer könne das krank machen. Und nur nach Lust und Laune handeln? Damit lande man einst wie ein Wal am Strand des Lebens.

«Die Kunst der klugen Entscheidung besteht darin, einen Weg zu finden, der angenehm und vernünftig zugleich ist», sagt die Psychologin.

Schweiz oder Deutschland? «Ich fragte mich, was passieren könnte, wenn ich zum Liebsten ziehe»: Lisa Baumstark

Quelle: Marco Zanoni

Lisa Baumstark ist überzeugt, dass ihr das gelungen ist. Die 29-Jährige hat vor zwei Jahren entschieden, aus Köln zu ihrem Freund ins Zürcher Oberland zu ziehen. Zu Hause in Köln hätte die Physiotherapeutin zwar eine Praxis übernehmen und in ihrer Wohnung nahe bei den Eltern wohnen können. Aber nach drei Jahren Fernbeziehung sah die Welt anders aus. Am Freitagabend hinfliegen und am Sonntag wieder zurück, das hatte seinen Reiz längst verloren. Ihr Freund wohnte in der Schweiz zudem in einem grossen Haus, sie mochte seine Freunde, sie mochte das Land.

«Ich überlegte mir, was schlimmstenfalls passieren könnte, wenn ich zu ihm ziehe», erinnert sich Baumstark. Sie könnte sich nicht willkommen fühlen hier. Die Beziehung könnte scheitern. Vielleicht müsste sie zurück nach Deutschland ziehen oder aber eine eigene Wohnung in der Schweiz suchen. Eigentlich gar nicht so tragisch, fand sie. Ausserdem fühlte sich der Gedanke an eine gemeinsame Zukunft einfach gut an.

Lisa Baumstark packte ihre Koffer, fand eine Stelle in einem Spital in Zürich, behielt ihre Wohnung in Köln noch ein halbes Jahr und vermietete sie schliesslich. Das befürchtete Heimweh stellte sich nicht ein. «Wenn ich abends heimfahre und das Bergpanorama sehe, denke ich: ‹Lisa, du hast alles richtig gemacht.›»

Pferde oder Karriere? «Es kribbelte alles, so wie ich es als Kind vor Weihnachten kannte»: Christoph Höinghaus

Quelle: Marco Zanoni

Auch Christoph Höinghaus konnte mit Mitte zwanzig zwischen mehreren Optionen wählen. Er war erfolgreicher Springreiter und Geschäftsführer eines Pferdeverbands, als ein IT-Unternehmer Potenzial in dem jungen Pferdenarren erkannte. Er bot ihm an, in seine Firma einzusteigen. Informatik, Büroarbeit, Geschäftsreisen. Höinghaus war geschmeichelt, bat aber um Bedenkzeit. Einige Wochen überlegte er hin und her. Er fühlte sich zwar wohl in seiner Welt. Und doch, ein Schritt raus aus der Komfortzone würde bedeuten, im Konzert der Grossen mitzuspielen. Wann kommt so eine Chance wieder?

«Es kribbelte alles», erzählt der heute 48-Jährige. «So wie ich es als Kind kannte, wenn Weihnachten bevorstand.» Das Kribbeln überzeugte ihn, Höinghaus sagte zu. Die folgenden Jahre arbeitete er hart, biss sich durch, fühlte sich im Büro teils wie im Gefängnis. Er gab sich Zeit. Und irgendwann kam er an in der neuen Welt, die geprägt war von Unternehmertum, Strategien, Menschen.

Christoph Höinghaus bereut diesen Schritt nicht. Heute ist er selbst erfolgreicher Geschäftsmann und leitet eine Schweizer IT-Dienstleisterfirma. Das Reiten ist zum Hobby geworden. Dass er damals der eigenen Neugier gefolgt und mit Mut in ungewisse Gewässer gesprungen ist, daran denkt er gern zurück.

Wer entscheidet wie? Die vier Entscheidungstypen

Die Vernünftigen

Ihr Leben verläuft in sinnvollen Bahnen, Bauchgefühle nehmen Sie eigentlich nicht wahr. Meist grübeln Sie lange und wägen Möglichkeiten ab. Die Gefahr dabei ist, dass Ihre vernünftigen Entscheidungen nicht auf Ihre persönlichen Bedürfnisse abgestimmt sind. Tipp: Lernen Sie wieder, Ihre Bauchgefühle wahrzunehmen. Das können Schmetterlinge im Bauch, verspannte Schultern oder auch ein Kloss im Hals sein. In einem zweiten Schritt trauen Sie sich, danach zu handeln. Denn Bauchgefühle haben den Zweck, dass man Dinge tut, die gut für einen sind.

Die Impulsiven

Ergibt sich eine Möglichkeit, greifen Sie in kürzester Zeit zu. Sie handeln nach Ihrem ersten Gefühl. Ob es darum geht, den ungesund-feinen Donut zu essen, oder darum, ein wunderschönes, aber überteuertes Haus zu kaufen. Schnellschüsse fühlen sich berauschend an, können Ihnen auf längere Sicht aber schaden. Ausserdem laden Sie sich oft zu viel auf. Tipp: Bremsen Sie sich bewusst. Legen Sie vor der nächsten Entscheidung eine Denkpause ein. Schlafen Sie ein paar Nächte darüber, bevor Sie den nächsten Kaufvertrag unterschreiben. Geben Sie Ihrem Verstand die Chance, mitzuentscheiden.

Die Unsicheren

Sie fühlen deutlich, dass Sie sich mit etwas wohl oder unwohl fühlen, handeln aber trotzdem dagegen. Das Leben scheint an Ihnen vorbeizuziehen, während Sie sich selbst kontrollieren. Sie bereuen Entscheidungen, für die Sie sich haben breitschlagen lassen. Oft fällt es Ihnen schwer, Nein zu sagen und sich abzugrenzen. Tipp: Erlauben Sie sich, nach Ihren Gefühlen zu handeln. Das hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern trägt dazu bei, dass Sie ein glücklicheres Leben führen. Die anderen bitten Sie um Zeit für Ihre Entscheidungen, wenn Sie um etwas gebeten werden. Der Zaubersatz heisst: «Moment, bitte.» Gehen Sie in sich und überlegen Sie, ob Sie Zeit und Lust für die Aufgabe haben.

Die Glücklichen

Sie wissen die Signale Ihres Körpers zu deuten. Ihre Gefühle stimmen Sie mit Ihrem Verstand ab. Wenn das Zeit braucht, nehmen Sie sich diese. Tipp: Akzeptieren Sie sich weiterhin so, wie Sie sind – das ist eine Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben.

Ein Test des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich kann darüber Aufschluss geben, welcher Typ Sie sind. Zu finden ist er unter www.ismz.ch.

«Es erscheint alles möglich»

«Wir leben in einer Zeit, in der scheinbar alles möglich ist, in der wir selbst entscheiden dürfen und müssen», sagt Psychologin Maja Storch. Das fange bei Millionen Onlinerezepten für einen Rüeblikuchen an und ende bei der Partnerwahl. Ausserdem liege eine Stimmung in der Luft, die suggeriere, dass alles gleichzeitig zu schaffen sei. Erfolg im Job, eine Familie mit vielen Kindern, dazu Rucksackreisen, ein extraordinäres Liebesleben und einen top geführten Haushalt – wieso sich überhaupt entscheiden?

Weil die Flexibilität ihre Grenzen hat. «Was überhaupt nicht flexibel ist, ist der Zeitstrahl, auf dem wir uns dem Tod zubewegen», so die 57-Jährige. Sie wünscht sich, dass Entscheidungskompetenz zu einem Schulfach wird. Die einzig richtige Entscheidung gebe es nicht – hat man in sich gehorcht und nachgedacht, sollte man aber einfach entscheiden.

«Durch Entscheidungen kann ich an Stellschrauben drehen, aber es ist eine Illusion zu denken, dass man sich dadurch einen richtigen Lebensweg sichern könne.» Das Wissen, dass die Verantwortung des Einzelnen begrenzt ist, könne den Druck aus Entscheidungssituationen nehmen.

«Dahinter lag die ganze Welt»

Schauspielerin Mona Petri sitzt mit blauer Wolljacke in ihrem Wohnzimmer in Zürich, eine rotweiss gepunktete Kaffeetasse in der Hand, die Haare lose zusammengesteckt. Die Sonne scheint durch hohe Fenster. 

«Der Moment der Entscheidung fühlte sich damals an, wie wenn ich mich durch eine enge Tür zwängen müsste», erinnert sich die 39-Jährige. «Es brauchte viele Jahre, bis ich gemerkt habe, dass dahinter die ganze Welt liegt.» Heute erlebe sie es oft als befreiend, einfach zu entscheiden. Zum Beispiel neben der Schauspielerei als Altenpflegerin tätig zu sein, wo sie nach dem Tod ihrer Grossmutter den Lebenssinn wiederfand.

Besonders leicht ist Petri auch die Entscheidung gefallen, Mutter zu werden. Sie hatte gerade einen Filmpreis gewonnen, und andere warnten sie, eine Schwangerschaft würde ihren beruflichen Tod bedeuten. Aber Petri vertraute ihrem Wunsch und darauf, dass sich schon alles finden würde.

Den Vater ihrer Tochter zu verlassen, das gehörte zu den schwersten Entscheidungen ihres Lebens, meint sie rückblickend. «Entscheidungen bleiben wie Kerben im Leben zurück», sagt Petri. Entscheidungen seien lange Prozesse, Wegstücke, verbunden mit Wachstumsschmerzen, die viel mit Trauer, Unwohlsein und Zweifeln zu tun hätten. «Es ist ähnlich wie bei Tieren, die sich häuten.»

Die Phasen im Leben, die einem «wie ein Leben mit lauter Piranhas vorkommen», ebenso willkommen zu heissen wie die Glücksgefühle, das habe sie gelernt. So gibt Mona Petri ihrer Tochter mit auf den Weg, statt an der Vielfalt der Welt zu verzweifeln, diese lieber auszuprobieren. Lieber mal die Richtung wechseln, anstatt im Nirgendwo zu verharren. «Man fühlt sich sehr lebendig, wenn man sich in den Wind stellt.» 

Buchtipp

Maja Storch: «Das Geheimnis kluger Entscheidungen»; Verlag Piper, 9. Auflage, 2015, 144 Seiten, etwa 13 Franken.