Hollywood-Blockbuster und Arthouse-Serien auf Knopfdruck: Streamingdienste haben unseren Medienkonsum verändert. Während Anbieter wie Netflix, Disney oder Sky seit Jahren wachsende Nutzerzahlen vermelden, verliert lineares TV an Bedeutung.

Corona hat diesen Trend noch befeuert. 2021 registrierte allein Netflix eine halbe Million neuer Abonnentinnen und Abonnenten in der Schweiz. Bei der Oscarverleihung im März gewann der US-Konzern Apple mit «Coda» als erster Streamingdienst in der Kategorie «Bester Film».

Diesem Wandel will der Bundesrat mit einer Anpassung des Bundesgesetzes über Filmproduktion und Filmkultur (Filmgesetz) gerecht werden. Für internationale Streamingdienste sollen neu ähnliche Regeln gelten wie für Schweizer Fernsehsender. Nachdem bürgerliche Jungparteien erfolgreich das Referendum gegen die Änderung ergriffen haben, stimmen wir am 15. Mai über die sogenannte Lex Netflix ab.

Worüber stimmen wir am 15. Mai ab?

Streaming-Plattformen sollen gesetzlich dazu verpflichtet werden, künftig 4 Prozent ihres in der Schweiz erzielten Umsatzes in Schweizer Film- und Serienproduktionen zu investieren. Ausserdem soll das Angebot der Streamingdienste zu mindestens 30 Prozent aus in Europa produzierten Inhalten bestehen.

Bleiben diese Investitionen aus, müssen die Anbieter den entsprechenden Betrag in die Förderung des Schweizer Films stecken. Die Regel gilt auch für ausländische Fernsehsender, die Werbung fürs Schweizer Publikum ausstrahlen («Schweizer Fenster»).

Die Abstimmungsfrage lautet:
Wollen Sie die Änderung vom 1. Oktober 2021 des Bundesgesetzes über Filmproduktion und Filmkultur (Filmgesetz, FiG) annehmen?
 

Was sind die Argumente der Befürworter?

Bundesrat und Parlament wollen mit der Gesetzesänderung für gleich lange Spiesse sorgen.

Inländische Fernsehsender investieren seit Jahrzehnten 4 Prozent ihres Umsatzes in einheimisches Filmschaffen. Die internationalen Streamingdienste sind bislang von dieser Pflicht ausgenommen. Das Geld, das Amazon, Apple und Co. in der kaufkräftigen Schweiz verdienen würden, fliesse restlos ins Ausland, moniert das überparteiliche Komitee «Ja zum Filmgesetz». Um diese Ungleichbehandlung aus dem Weg zu räumen, sei eine Gesetzesänderung nötig.

Ausserdem sorge die Vorlage dafür, dass das Schweizer Filmschaffen gestärkt und die kulturelle Vielfalt gefördert werde. Nicht zuletzt profitierten von einem Ja auch das lokale Gewerbe und der Tourismus. Der Bund schätzt, dass bei einer Annahme ab 2024 jährlich 18 Millionen Franken mehr in hiesige Produktionen fliessen würden.

In einem Kommentar schreibt die WOZ: «Wer die Lex Netflix bekämpft, verteidigt also nicht das eigene Portemonnaie, sondern nur die Sonderbehandlung internationaler Milliardenkonzerne, die ihre Profite dort versteuern, wo es billiger ist für sie. Und was sie in der Schweiz an Wertschöpfung erzielen, stecken sie dann eben anderswo in die Filmwirtschaft – etwa in Spanien, wo Streamingdienste schon jetzt fünf Prozent ihres Umsatzes investieren müssen.»
 

Was sind die Argumente der Gegnerinnen?

Für das Referendumskomitee ist das neue Filmgesetz ein krasser Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit. Auf dessen Website heisst es, die Konsumentinnen und Konsumenten sowie die privaten Anbieter würden damit zu Deppen gemacht.

Die Gegner sind überzeugt, dass die Streamingdienste bei einer Annahme des «missratenen Filmgesetzes» ihre Abonnementspreise erhöhen würden. Das Schweizer Filmschaffen, so das Referendumskomitee, erhalte mit 120 Millionen Franken bereits genug finanzielle Unterstützung. Zumal der grösste Teils des Outputs bloss ein Nischenpublikum interessiere. 2019 hätten im Schnitt 2600 Personen einen Schweizer Film im Kino geschaut. «Jeder Kinoeintritt wurde somit mit 140 Franken gefördert.» Es gebe gute und attraktive Filme aus der Schweiz, für die private Unternehmen immer gerne bereit seien, Geld auszugeben.

In einem Kommentar schreibt die «Finanz und Wirtschaft»: «Eine solche Quote ist ein Unding. Sie fördert Innovation, Kreativität und Vielfalt keineswegs. Zudem wird die Wahlfreiheit der Konsumenten eingeschränkt. Pflichtkonsum ist teuer und schmeckt nicht wirklich, das wissen alle, die Militärkost geniessen durften.»
 

Wie handhaben es unsere Nachbarn?

In den Ländern der Europäischen Union müssen Streamingdienste auf ihren Plattformen bereits heute 30 Prozent einheimisches Filmschaffen anbieten. In 19 Ländern werden Netflix und Co. zu Investitionen oder direkten Abgaben verpflichtet.
 

  • Frankreich: bis zu 28 Prozent des Umsatzes (26 Prozent Investitionspflicht, 2 Prozent Abgabe)
  • Italien: 20 Prozent (Investitionspflicht)
  • Spanien: 5 Prozent (Investitionspflicht)
  • Kroatien: 4 Prozent (2 Prozent Investitionspflicht, 2 Prozent Abgabe)
  • Deutschland: 2,5 Prozent (Abgabe)
     
Wer muss am Ende tiefer ins Portemonnaie greifen?

Für die Gegner des Filmgesetzes ist klar: Die Streamingdienste werden bei einer Annahme die Abonnementspreise erhöhen. Einen Beleg dafür gibt indes es nicht. Im Gegenteil: In Frankreich, wo Netflix fast einen Drittel seines Umsatzes in einheimische Produktionen stecken muss, kostet ein Netflix-Abonnement weniger als in der Schweiz. Hierzulande hat der US-Anbieter 2022 die Preise letztmals erhöht – ganz unabhängig von der Gesetzeslage.
 

Was ist ein Schweizer Film?

Als Schweizer Film gelten gemäss Bundesamt für Kultur Filme von unabhängigen Schweizer Produktionsfirmen («Die göttliche Ordnung», «Platzspitzbaby») sowie internationale Koproduktionen mit Schweizer Beteiligung («Olga», «Monte Verità»). Anrechenbar im Sinne der Gesetzesänderung seien Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilme, aber auch neue audiovisuelle Formate wie Serien («Wilder», «Tschugger»).
 

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Peter Aeschlimann, Redaktor
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