Schon ein Jahrzehnt liegen die Finanzkrise und die beispiellose Hilfsaktion der Nationalbank zur Rettung der UBS zurück. Der Schrecken über die wankende Grossbank sitzt vielen noch in den Knochen. Die Wut über enorme Saläre und Boni entlud sich schliesslich in der Abstimmung über die Abzocker-Initiative 2013. Skandale wie aktuell bei der Raiffeisenbank giessen Öl ins Feuer. 

Nun steht der Stimmbevölkerung ein komplexer geldpolitischer Entscheid bevor, der je nach Perspektive in ein Hochrisiko-Experiment mündet oder ebendieses beendet. Am 10. Juni 2018 kommt die eidgenössische Volksinitiative «Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative)» vors Volk.

Damit will der Verein «Monetäre Modernisierung» primär den Schutz der Gelder von Bankkunden erhöhen und dafür sorgen, dass Bankenrettungen künftig nicht mehr nötig sind. Um das zu erreichen, soll den Banken verboten werden, selber Geld zu produzieren und dafür soll die Schweizerische Nationalbank SNB das Geldschöpfungsmonopol erhalten. 

Wer soll unser Geld herstellen?

Das ist die zentrale Frage für die Initianten. Sie sind der Meinung, es sei höchst riskant für die Stabilität des Finanzsystems, dass Banken aus Profitüberlegungen durch Kreditvergabe selber Geld herstellen können. Zudem sei es eine Frage der Gerechtigkeit und der demokratischen Legitimation, dass diese Aufgabe dem Staat obliege.

Die Vorlage stösst auf wenig Gegenliebe: Parlament, Bundesrat, Economiesuisse, die Bankiervereinigung und die Schweizerische Nationalbank SNB lehnen die Vorlage allesamt ab. Bisher ist die Juso die einzige politische Partei, die das Volksbegehren unterstützt. Die Kritiker treibt die Sorge vor einem fundamentalen Systemwechsel um, der ihrer Meinung nach unnötig ist. Das heutige System habe sich bewährt, die Risiken einer Vollgeldreform seien zu gross.

Aber worum geht es konkret? Wir beantworten die zehn wichtigsten Fragen:

Was ist eigentlich Vollgeld?

Das, was die Initianten unter dem Begriff «Vollgeld» verstehen, gibt es heute schon. Damit sind alle Zahlungsmittel gemeint, die von der Nationalbank geschaffen und in Umlauf gebracht werden. Das ist aber nur ein Teil unseres Geldes. Man muss nämlich zwischen Bargeld (Münzen, Banknoten) und dem sogenannten Buchgeld (auf Bank- und Postkonten) unterscheiden.

Das Bargeld wird in der Schweiz von der Nationalbank herausgegeben, die das Notenmonopol innehat und im Auftrag des Bundes auch die Verteilung und Verwaltung der Münzen übernimmt. Diese gelten als «vollwertig gesetzliche Zahlungsmittel», ergo Vollgeld. Zudem haben Geschäftsbanken Konten (sogenannte Giroguthaben) bei der Nationalbank – dieses elektronische Geld gilt auch als Vollgeld, weil es von der Nationalbank ist. Vollgeld ist krisensicherer, weil staatlich garantiert. Was viele nicht wissen: nur zehn Prozent des sich in Umlauf befindenden Geldes gilt unter dieser Definition als Vollgeld. 

Was ist Buchgeld?

Die anderen 90 Prozent sind Buchgelder, auch Sichteinlagen genannt, weil man «auf Sicht», also jederzeit, über sie verfügen kann. Darunter versteht man Guthaben, die auf Bank- oder Postkonten geführt werden, also elektronische Zahlungsmittel. Bei den meisten ist dies das Lohnkonto. Die Zahlen auf diesen Konti sind ein Versprechen der Bank an den Kontoinhaber, den Betrag bei Bedarf in Bargeld auszuzahlen – also quasi ein Gutschein. Das Buchgeld selber ist jedoch kein von der Nationalbank geschöpftes Geld und wird erst bei der Barauszahlung zu Vollgeld. In diesem Sinne seien, so die Initianten, die Schweizer Franken auf unseren Konten gar nicht «real», so lange sie nur eine Zahl auf dem Konto sind. 

Wie schöpft eine Bank selber Geld?

Geschäftsbanken können heute neues Geld schaffen, indem sie Kredite vergeben. Die landläufige Meinung ist, dass eine Bank, um einen Kredit zu vergeben, Kundengelder benötigt, die sie an den Kreditnehmer ausleihen kann. Dabei würde die Bank die Rolle als Vermittler zwischen den beiden einnehmen. Die Gesamtgeldmenge, die im Umlauf ist, wird dadurch nicht verändert. Eine Geschäftsbank kann jedoch per Knopfdruck einem Kunden einen Kredit gewähren und ihm das Geld auf sein Konto gutschreiben, ohne zuvor zusätzliches Geld von anderen Bankkunden oder von der Nationalbank erhalten zu haben. Damit erhöht sich die Geldmenge und die Geschäftsbank hat «aus dem Nichts» zusätzliches Geld geschaffen (Siehe auch die Erklärung der Deutschen Bundesbank zur Geldschöpfung).

 

Buchgeld-Schöpfung ist nicht unbegrenzt möglich

 

Die Initianten kritisieren, dass diese Art der Geldschöpfung stets mit einer Verschuldung einher geht und dadurch das Risiko für die Einzelnen und die Volkswirtschaft steigt. Allerdings ist Buchgeld-Schöpfung nicht unbegrenzt möglich. Banken haben ein Interesse daran, Kredite nur dann zu vergeben, wenn sie damit rechnen können, das Geld wieder zurückzuerhalten. Ausserdem sind sie durch regulatorische Vorschriften wie Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen beschränkt, die im Nachgang der Finanzkrise 2008 verschärft wurden. Und die eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma hat den Auftrag zu kontrollieren, dass keine übermässigen Risiken eingegangen werden.

Das Buchgeld-System funktioniert, solange eine Mehrheit Vertrauen darin hat und nicht alle gleichzeitig ihr Geld ausbezahlt haben möchten. Wenn es jedoch in Krisensituationen zu einem Vertrauensverlust und einem sogenannten Bankrun (Ansturm auf eine Bank) kommt, kollabiert es. Dies wollen die Initianten künftig verhindern, und zwar so: alle Zahlungsmittel sollen von der Nationalbank produziert werden und Vollgeld sein – auch das Buchgeld. Das heisst konkret: Alle sofort verfügbaren Zahlungsmittel (auf Konten und in bar) würden von der Nationalbank entweder physisch (Bargeld) oder elektronisch hergestellt (Buchgeld) und wären damit staatlich abgesichert. 

Was würde ein Ja an der Urne für Kontobesitzerinnen bedeuten?

Einerseits wären alle sofort verfügbaren Gelder der Bankkunden zu 100 Prozent Vollgeld, also Nationalbankgeld. In einer Krisensituation müsste man das Geld nicht von der Geschäftsbank abziehen, um es zu retten, denn es wäre nicht mehr in deren Bilanz und damit auch nicht mehr in der Konkursmasse (analog Wertschriftendepots wie Aktien, Obligationen etc.). Die Bank würde das Geld nur noch verwalten. 

Aber auch heute verliert man nicht einfach alles, käme eine Bank in Not. Die Einlagensicherung garantiert Guthaben bis zu 100'000 Franken pro Person. Die Initianten monieren jedoch, dass die dafür vorgesehenen Garantien von sechs Milliarden Franken nur rund einem Prozent aller Guthaben entsprächen. Dafür erhalten sie Rückendeckung von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ. Diese äussert in einer im November 2017 veröffentlichten Einschätzung die Befürchtung, Schweizer Bankkunden könnten wegen dieser Obergrenze nicht sicher sein, im Krisenfall ihr Geld zu erhalten.

Weil die Geschäftsbank gewisse Bankdienstleistungen bisher mit dem Gewinn aus der Geldschöpfung finanzierte, müssten Kunden künftig womöglich mit einer Verteuerung der Kontoführung rechnen, prognostizieren die Nationalbank und der Bundesrat. Das Kreditangebot könnte kleiner und teurer werden, für Hypotheken könnte man in absehbarer Zeit höhere Zinsen zahlen müssen. 

Was gilt bei Sparkonten?

Was für Verwirrung sorgt: Gelder auf Sparkonten – wo mitunter die grösseren Summen liegen – werden bei der Reform nicht zu Vollgeld. Dies weil sie «eine andere Art von Geld» sind (siehe auch die Geldmengendefinition der Nationalbank). Sie gelten als Vermögenswert, wie auch Liegenschaften, und ihr Bezug ist üblicherweise an Bedingungen geknüpft (zum Beispiel Bezugslimiten, Anzahl Abbuchungen pro Jahr, o.ä.). Die Begründung: Bei den sofort verfügbaren Zahlungsmitteln (z.B. Lohnkonti) sei die Gefahr von Bankruns grösser, da Kunden sie ja innert kürzester Zeit von der Bank abziehen könnten, was bei Spareinlagen nicht so schnell ginge.

Wer will, dass sein gesamtes Geld nach einer Annahme der Initiative zu sicherem Vollgeld wird, müsste theoretisch alles aufs Lohnkonto zügeln und dafür weniger bis gar keine Zinsgewinne in Kauf nehmen. Laut den Initianten hätten Kunden dann im Gegensatz zu heute die Wahl: sie können das staatlich garantierte Vollgeld auf ihrem Lohnkonto vorziehen, oder das Geld auf ihrem Sparkonto der Bank für Kreditvergabe zur Verfügung stellen und damit mehr Zinseinnahmen generieren – und bewusst das Risiko wählen. 

Was würde sich für die Geschäftsbanken ändern?

Das Geldwesen wird vom Kreditwesen getrennt: den Banken wird primär die Möglichkeit entzogen, selber Geld zu schöpfen. Der Bundesrat ist der Ansicht, damit würde das Gewinnpotenzial der Banken abnehmen und sich ihr Geschäftsmodell fundamental verändern.

Die Initianten winken ab und sagen, die Reform verursache im aktuellen Tiefzinsumfeld für die Banken keine Einbussen: «Seit einigen Jahren haben Banken keinen finanziellen Vorteil mehr von der eigenen Geldherstellung. Denn ob eine Bank kostenlos selbst Geld schöpft oder zu null Prozent Zins von der Nationalbank leiht, macht für sie keinen Unterschied.» Sie sind der Meinung, dass der Wegfall der Geldschöpfung die Geschäftsfelder der Banken wie Darlehen, Zahlungsverkehr und Vermögensverwaltung nicht tangiere.

Allerdings wären Banken wegen der fehlenden eigenen Geldschöpfung weniger flexibel und müssten sich zum Beispiel mit Spargeldern, befristeten Darlehen bei der Nationalbank oder bei anderen Geschäftsbanken refinanzieren, um genügend Liquidität für die Kreditvergabe aufbringen zu können. Dies wäre für die Banken wahrscheinlich teurer, als selber Geld zu schöpfen und die Mehrkosten würden wohl auf die Kunden abgewälzt. 

Wieso ist die Nationalbank gegen die Initiative?

Die Nationalbank findet, die Reform sei ein unnötiges Experiment und sie würde zu neuen Unsicherheiten führen. SNB-Präsident Thomas Jordan sieht beim Geldsystem keinen Handlungsbedarf: «If it’s not broken, don’t fix it». Obwohl die Nationalbank im Vollgeldsystem mehr Macht erhielte, lehnt sie die Vorlage ab. Dies, weil sie sich durch die neue Position unter stärkerem politischen Druck sieht. Hohe Erwartungen an Gewinnausschüttungen sowie Versuche der Einflussnahme seitens Gesetzgeber würden sie noch stärker als bisher ins politische Kreuzfeuer rücken. 

Die SNB zeigt sich zudem besorgt, dass die Umsetzung ihrer Geldpolitik erschwert würde. Es gäbe nämlich eine Verlagerung von Zinssteuerung hin zu Geldmengensteuerung. Bisher kann sie beispielsweise mittels Zinserhöhung oder -senkung die Wirtschaft beeinflussen, wenn diese entweder Antrieb braucht oder gebremst werden muss. Wie eine restriktivere Geldpolitik im Vollgeldsystem umzusetzen wäre, sei jedoch unklar. 

 

«If it’s not broken, don’t fix it»
Thomas Jordan, Präsident SNB

 

Die Initianten halten dem entgegen, dass der Verfassungstext der Nationalbank keine bestehenden geldpolitischen Instrumente wegnehme, sondern sie erweitere, was ihrer Meinung nach die Kontrolle über das Geldwesen verbessere. In der Machtkonzentration bei der Nationalbank sehen die Initianten ebenfalls kein Problem: «Die Nationalbank bekommt nur die Kompetenz, von der die Leute glauben, die Nationalbank hätte sie bereits – der politische Druck ist heute schon hoch.» 

Klingeln bald die Kassen bei Kantonen und Bevölkerung?

Bereits heute verteilt die Nationalbank an Bund und Kantone Geld, wie dies in der Gewinnausschüttungsvereinbarung geregelt ist. Beim Geldsegen, der mit Annahme der Initiative in Aussicht gestellt wird, geht es hingegen um etwas anderes. Weil die Banken kein neues Geld mehr schöpfen, muss dies durch die Nationalbank geschehen. Damit stellt sich die Frage: wie gelangt es in Umlauf? Der Initiativtext überlässt dies der SNB. Sie kann es den Kantonen oder dem Bund geben oder direkt den Bürgerinnen auszahlen und zwar «schuldfrei», sprich ohne eine Gegenleistung in Form von Devisen oder Zinsen. Sie kann aber auch wie bisher Geld in Umlauf bringen, indem sie Geschäftsbanken Kredite gibt. Die Initianten behaupten, das würde die Gesamtverschuldung der Schweizer Volkswirtschaft verringern. Allerdings fallen auch in einem Vollgeldregime keine Milliarden vom Himmel, hält die NZZ fest. 

An diesem neuen Ansatz, «schuldfrei» Geld ins System einzuspeisen, scheiden sich die Geister, niemand kann die Umverteilungswirkung richtig einschätzen. 

Kann das Vollgeld-System Finanzkrisen verhindern?

Die von der US-Immobilienkrise ausgehende, weltweite Finanzkrise 2008 hätte mit einem Vollgeld-System in der Schweiz nicht verhindert werden können. Die Ursache für die damalige Krise war kein Bankrun, sondern das fehlende Vertrauen zwischen den Banken, die sich auf dem sogenannten Interbankenmarkt untereinander Kredite vergeben. Nationalbank und Bundesrat sehen darin eine wesentliche Schwäche der Vorlage: die Initiative hätte zwar für mehr Stabilität bei Buchgeldern gesorgt, den Vertrauensverlust zwischen den Banken jedoch nicht verhindern können. 

Dadurch, dass Spareinlagen nicht zu Vollgeld werden, könnte sich gemäss Nationalbank zudem eine Verlagerung des Problems «Bankrun» ergeben: statt bei den Zahlungsverkehrskonten, bei denen ja nun Vollgeld liegt, würden Sparer bei einem Vertrauensverlust die Banken stürmen. Denn auch wenn auf diesen Konti Rückzugsbeschränkungen gelten und nicht das gesamte Geld sofort verfügbar ist, könnten Banken in Probleme geraten, wenn viele Sparer gleichzeitig ihre Konten auflösen oder auf den nächstmöglichen Termin künden. Dies wäre nicht viel anders als ein herkömmlicher Bankrun – einfach zeitlich verzögert.

Nicht zuletzt weist die Nationalbank darauf hin, dass die Kreditvergabe nicht die Ursache von Finanzblasen ist, auch wenn sie solche verstärken könne. «Vermögensblasen und Kreditzyklen werden in erster Linie durch übertriebene Preiserwartungen und ein Unterschätzen von Risiken ausgelöst.» 

Gab oder gibt es irgendwo schon Vollgeld-Systeme?

Bislang hat kein Land die von den Initianten vorgeschlagene Geldreform umgesetzt. Einzig Island hat eine Vollgeldreform auf die Agenda seines Parlaments gesetzt. Die Idee ist jedoch nicht neu und insbesondere die Verhinderung der Bankengeldschöpfung wurde bereits in den 1930er Jahren von US-Ökonomen diskutiert. Immer wieder fanden gewisse Aspekte des Konzepts «Vollgeld» auch in akademischen Kreisen eine Anhängerschaft, unter anderem auch bei einzelnen Exponenten des Internationalen Währungsfonds IWF. Bislang blieb es jedoch bei Theorien ohne Realitäts-Check, weshalb die Abstimmung in der Schweiz auf viel Interesse im Ausland stösst. 

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Tina Berg, Redaktorin
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