Wie lautet Ihre Strategie im Umgang mit Demonstrationen?
Die Anzahl Demonstrationen nimmt zu, darunter auch die Anzahl unbewilligter Demonstrationen. Das ist unter anderem aus Platzgründen ein Problem, die Polizei muss wissen, wann der öffentliche Raum für Veranstaltungen genutzt wird. Ich habe darum einen Demo-Kodex publiziert mit dem Ziel, Verständnis zu schaffen für gewisse Leitplanken und somit weniger unbewilligte Demonstrationen zu haben. 


Die Demonstration am Tag der Arbeit war bewilligt. Die Polizei ist trotzdem eingeschritten. 
Das steht nicht im Widerspruch. Denn zur Frage der Bewilligung kommt noch ein Aspekt hinzu: Die mögliche Gewaltbereitschaft der Teilnehmenden vor Ort. Das Grundrecht schützt Personen, die friedlich demonstrieren wollen. Am 1. Mai hatte die Polizei jedoch Hinweise auf unfriedliche Absichten einiger Vermummter an der Spitze des Zuges. Sie hat darum beschlossen, Personenkontrollen durchzuführen. 


Bei einigen Vermummten wurden Spraydosen, Pyrotechnik und lange Stangen gefunden. Reicht das, um eine bewilligte Demonstration mit über 1000 Teilnehmenden zu stoppen?
Die Demonstration wurde nicht gestoppt. Dem Grossteil der Demonstrierenden wurde eine alternative Route angeboten, doch das Angebot wurde ausgeschlagen. Die Frage nach der Berechtigung des Polizeieinsatzes wird nun auf juristischem Weg geklärt werden, da Rechtsmittel ergriffen wurden. Deshalb kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel dazu sagen. Die Polizei ist jetzt Partei in einem Verfahren. 


Seit ihrem Amtsantritt 2021 und der Ansage einer Verschärfung ist die Anzahl unbewilligter Demonstrationen in Basel weiter gestiegen. Ist Ihre Strategie gescheitert?
Sie wirkt noch nicht so, wie ich mir das erhofft habe. Aber ich habe nicht resigniert. Der beschrittene Weg lautet, immer wieder zu erklären, was grundrechtlich geschützt ist und was nicht. Es ist ein Prozess. Für mich ist es auch frustrierend, wenn sich die Fronten verhärten.

«Soll die Polizei erst einschreiten, wenn es zur Eskalation kommt?»

Stephanie Eymann, Justiz- und Sicherheitsdirektorin Basel-Stadt

Der Eindruck ist: Es eskaliert immer öfter. Die Polizei setzt wiederholt Mittel ein, es gibt Verletzte auf beiden Seiten, am 1. Mai landeten Demonstrantinnen wegen Tränengas im Spital. Ist das der Preis einer Nulltoleranz gegen unbewilligte Demonstrationen?
Die Demonstration am 1. Mai war bewilligt. Sowohl bei den bewilligten wie auch bei den unbewilligten Kundgebungen ist eine mögliche oder effektive Gewaltbereitschaft der Teilnehmenden vor Ort ausschlaggebend. Von einer Nulltoleranz kann also nicht die Rede sein. 


Die Polizei ist früh eingeschritten.
Die Frage ist: Wie weit muss man es kommen lassen? Soll die Polizei erst einschreiten, wenn es zur Eskalation kommt und dann unter schwierigen Umständen eingreifen müssen? Oder soll sie den Anspruch haben, eine Eskalation vorab zu verhindern? Am 1. Mai vergangenen Jahres war die Polizei zurückhaltend. In der Stadt kam es zu wüsten Szenen. Dieses Jahr hat die Polizei präventiv durchgegriffen. Die hypothetische Frage, was ohne den Polizeieinsatz passiert wäre, lässt sich nicht beantworten, doch ich erhalte viele positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung. 


Sie selbst haben den Einsatz in einem Radiointerview damit gerechtfertigt, im vergangenen Jahr sei die Stadt in «Schutt und Asche» gelegt worden. Es kam damals zu Sachbeschädigungen, doch die Stadt war weitgehend intakt. Warum haben Sie diesen Ausdruck gewählt?
Das war eine umgangssprachliche Aussage. Ich wollte sinnbildlich zum Ausdruck bringen, wie unsere Stadt für unsere Verhältnisse ausgesehen hat.  


Demonstrationen, das zeigt sich auf der Strasse immer wieder, sind teilweise sehr heterogene Ereignisse ohne klare Anführer. Inwiefern fliesst das in die polizeiliche Einsatzstrategie ein?
Ich habe Mühe damit, wenn Demonstrationen von gewissen Kreisen als etwas Unkontrollierbares beschrieben werden. Es gibt kleine Gruppen, die nicht kooperieren und die sich auch nicht an die Regeln halten. Warum distanziert man sich vor Ort nicht davon, warum dürfen die mitlaufen? Das verstehe ich nicht. 


In Zürich wird über eine Abschwächung der Bewilligungspflicht von Demonstrationen hin zu einer Anmeldepflicht diskutiert. Entspannt es die Lage, wenn man den Staat nicht mehr darum bitten muss, demonstrieren zu dürfen?
Meine Einschätzung ist, dass jene, die nicht mit der Polizei kooperieren wollen, das auch mit einem Anmeldeverfahren nicht tun werden. Wer aufgrund aktueller Ereignisse demonstrieren möchte und aus diesem Grund die Bewilligungsfrist nicht einhalten kann, hat heute schon die Möglichkeit, eine Bewilligung für eine Spontandemonstration einzuholen. 

«Ich habe Mühe damit, wenn Demonstrationen von gewissen Kreisen als etwas Unkontrollierbares beschrieben werden.»

Stephanie Eymann

Ein politischer Vorschlag der politischen Rechten lautet, die Kosten für unfriedliche Demonstrationen den Demonstrierenden zu überwälzen. Was halten Sie davon?
Die Motivation dahinter ist, wieder mehr geordnete Verhältnisse zu schaffen. Das ist auch unser Anspruch. Der Lösungsvorschlag mit der Kostenüberwälzung tönt allerdings einfacher, als dass er in der Praxis umzusetzen wäre. Denn die Verursacher der Sachschäden müssten dann im Einzelfall erst identifiziert werden. Oder soll der Veranstalter für alle Schäden haftbar gemacht werden? Die Umsetzung solcher Vorschläge ist also kompliziert. Die Frage ist auch, ob das zu einer Zuspitzung der Problematik führen würde, was ein ähnliches Thema ist wie beim Vermummungsverbot. 


Wo liegt da die Parallele? 
Auch bei vermummten Demonstrationsteilnehmenden gibt es die Forderung an die Polizei, rigoros einzuschreiten. Aber der Verstoss gegen das Vermummungsverbot ist eine Übertretung, die eine Busse nach sich zieht. Ein polizeiliches Einschreiten nur deswegen ist nicht verhältnismässig, und das war auch am 1. Mai in Basel wie gesagt nicht der alleinige Auslöser für den Einsatz. 


Gibt es einen Austausch unter den Kantonen zum Umgang mit Demonstrationen?
Einerseits gibt es dafür die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). Und es gibt die Konferenz der Städtischen Sicherheitsdirektorinnen und -direktoren (KSSD), dort bin ich im Vorstand. In Sachen Demonstrationen gibt es vor allem unter den Direktorinnen und Direktoren der Stadtpolizeien einen niederschwelligen Austausch. Das war insbesondere während der Corona-Pandemie hilfreich. Denn die Fragen rund um die Nutzung des öffentlichen Raums waren dort überall dieselben. 


Welche Stadt gilt schweizweit als Vorbild im Umgang mit Demonstrationen?
Eine allgemeingültige Lösung hat niemand. Die Dynamik ist zwar überall dieselbe, Demonstrationen nehmen zu. Was das bedeutet, ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich.


Inwiefern?
In Basel zum Beispiel sind die zentralen Verkehrsachsen, die für Demonstrationen besonders attraktiv sind, auch für den Tramverkehr sehr wichtig. Das führt zu anderen Nutzungskonflikten als in einer Stadt wie Bern, in der wichtige Plätze mit grosser symbolischer Wirkung weitgehend verkehrsfrei sind. 


Bei den Protestaktionen geht es zum Teil um existenzielle Fragen – Klimakollaps, Armut, Krieg. Haben Sie persönlich Verständnis für die Anliegen?
Ich habe Verständnis für die Anliegen. Weder die Kantonspolizei nimmt eine politische Wertung vor, noch tue ich es als Vorsteherin. Schliesslich geht es um ein Grundrecht. Was mir Sorgen macht, ist der steigende Unmut in der Bevölkerung. Ich habe den Eindruck, die Nach-Covid-Zeit ist gehässiger. Die Leute sind schneller gereizt. 


Die Stimmung in Basel ist angespannter denn je – wie soll es weitergehen? 
Wir sind in Kontakt mit dem Organisationskomitee des 1. Mai. Es soll ein gemeinsames Debriefing stattfinden, wann genau, das steht noch nicht fest. Ausserdem werden der Polizeikommandant und ich die Veranstalterinnen der Kundgebungen am Frauenstreiktag vom 14. Juni, für die bereits ein Bewilligungsgesuch eingegangen ist, vorher zu einem persönlichen Gespräch einladen. Das haben wir bisher noch nie gemacht. Ich hoffe, dass wir dabei allfällige Fragen klären können und dass das hilft, die Wogen zu glätten.