«Wasser privatisieren? Schädliches Wassergesetz Nein». So steht es zurzeit auf Plakaten im ganzen Kanton Zürich. Das neue Zürcher Wassergesetz soll es privaten Firmen erlauben, sich an der Wasserversorgung zu beteiligen. Allerdings dürften sie nicht mehr als die Hälfte des Kapitals besitzen und nicht mehr als einen Drittel der Stimmrechte. Die Kontrolle über die Wasserwerke würde bei den Gemeinden bleiben, Gewinn dürfte niemand machen. «Dass die Gegner des Wassergesetzes von Privatisierung reden, ist deshalb unredlich», sagt FDP-Kantonsrat Christian Schucan. Ruedi Lais, sein Ratskollege von der SP hingegen sagt: «Der Privatisierung von Wasser wird ein Tor geöffnet, und das ist nicht gut.»

Wer soll die Hoheit übers Trinkwasser haben? Im Ausland ist die Debatte seit Jahren im Gange. Dort ist die Wasserversorgung vielerorts ganz oder teilweise in privaten Händen. Zum Beispiel in Deutschland, Frankreich Trinkwasser Nestlé gräbt Vittel das Wasser ab , England, Portugal, Griechenland, in den USA oder in Südamerika. Inzwischen wollen aber viele Städte und Gemeinden ihr Wasser wieder zurück - oder sie haben es sich bereits zurückgeholt. Denn nach der Privatisierung wurde das Wasser häufig teurer oder die Infrastruktur schlechter. Oder beides.

Ausverkauf in Berlin

Bekannt ist das Beispiel Berlin. Weil die Stadt Ende der 90er Jahre kaum mehr Geld hatte, verkaufte sie ihre Wasserbetriebe. Für knapp 2 Milliarden Franken sicherten sich der französische Multi Vivendi (heute Veolia) und der deutsche Energieversorger RWE einen Anteil von zusammen 49,9 Prozent – in der gleichen Grössenordnung, wie es auch das Zürcher Wassergesetz künftig zulassen würde. 

In Berlin zahlte die Bevölkerung infolge der Teilprivatisierung bald deutlich mehr für Wasser. Die Firmen hingegen machten das grosse Geschäft. Aus einer Position der Schwäche heraus hatte die Stadt ihnen Renditegarantien gegeben. Veolia und RWE zogen so zwischen 1999 und 2010 über 1,3 Milliarden Franken Gewinn aus der Beteiligung an der Berliner Wasserversorgung. Nach knapp 10 Jahren hatte die Bevölkerung genug und setzte sich zur Wehr: Mit der ersten erfolgreichen Bürgerinitiative überhaupt zwang sie ihre Regierung dazu, die Wasserwerke wieder vollständig zurückzukaufen.

Gewinn theoretisch verboten

In der Schweiz liegt die Hoheit über die Nutzung von Wasser bei den Kantonen. Für die Wasserversorgung zuständig sind aber die Gemeinden. Sie beziehen das Wasser aus Seen, Flüssen oder dem Grundwasser. Zwar gehört eine Quelle grundsätzlich demjenigen, dem der Boden gehört. Wenn sie eine bestimmte Menge Wasser ausschüttet, kann sie der Kanton aber für öffentlich erklären.

Meist sind es die gemeindeeigenen Werke, die das Trinkwasser aufbereiten und verteilen, Abwasser reinigen und das Leitungsnetz im Stand halten. Vielerorts haben Gemeinden diese Aufgaben aber auch an private Wassergenossenschaften oder andere private Körperschaften delegiert. Dabei gilt jedoch: Die Wassergebühren Wassergebühren in Linthal GL Über Gebühr am Geldhahn gedreht dürfen nur die Kosten decken. Das verlangt das Kostendeckungsprinzip, das in der Verfassung festgeschrieben ist und als Grundsatz für alle Aufgaben der öffentlichen Hand gilt. In den meisten Kantonen verbietet das Gesetz sogar explizit, dass aus der Wasserversorgung Gewinn gemacht wird, so auch im neuen Wassergesetz in Zürich. 

Attraktive Kapitalanlage

Warum sollten sich Private denn an der Wasserversorgung beteiligen, wenn sie keinen Gewinn machen dürfen? «Sie können ihr Engagement als Kapitalanlage benutzen», sagt Peter Hettich, Professor für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen. Wer Geld für eine Aufgabe der öffentlichen Hand zur Verfügung stellt, hat Anrecht darauf, dass es verzinst wird. Das gilt für Firmen und Genossenschaften wie für Gemeinden. «Für Pensionskassen oder andere Investoren könnte das lukrativ sein.»

Der Zins orientiert sich in der Regel an der Höhe der Zinsen, die auf dem Markt für Anlagen mit ähnlichem Risiko anfallen. Bei der Wasserversorgung sind diese Risiken gering, da nur ein Anbieter pro Gemeinde das Wasser liefern kann, es sich also um ein Monopolgeschäft handelt. Gemäss Preisüberwacher orientieren sich die Zinsen am Referenzzinssatz für Mietobjekte Referenzzinssatz Noch können Mieter eine Mietzinsreduktion einfordern . Dieser liegt zurzeit bei 1,5 Prozent. 
 

«Wenn eine Gemeinde schlecht verhandelt oder dringend Geld braucht, besteht die Gefahr, dass sie dem privaten Partner einen zu hohen Zins zubilligt.»

Peter Hettich, Professor für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen


Grundsätzlich können Gemeinden und Private den Zinssatz aber selber in einem Vertrag festlegen. «Wenn eine Gemeinde schlecht verhandelt oder dringend Geld braucht, besteht die Gefahr, dass sie dem privaten Partner einen zu hohen Zins zubilligt», sagt Hettich. So wie in Berlin, wo die Bevölkerung über hohe Gebühren die überrissenen Kapitalzinsen der Privaten finanzierte. In der Schweiz könnten sich die Gebührenzahler gegen solche Praktiken jedoch wehren, zum Beispiel mit einer Volksinitiative.

Zusätzlich kontrolliert der Preisüberwacher die Wassergebühren. Gegenüber Gemeinden hat er ein Empfehlungsrecht, bei Privaten kann er stärker durchgreifen: «Da haben wir die Kompetenz, die Preise per Verfügung einzuschränken und gehen konsequent gegen missbräuchliche Gebühren vor. In der Regel finden wir jedoch eine einvernehmliche Regelung mit den Wasserversorgern», sagt Agnes Meyer Frund, Fachbereichsleiterin bei der Preisüberwachung. 

Wichtige Weichenstellung

Bis jetzt gibt es nirgends in der Schweiz einen Investor, der eine Beteiligung an einer Wasserversorgung als Kapitalanlage nutzt, auch wenn das in vielen Kantonen möglich wäre. «In Zukunft könnte sich das aber ändern, da es derzeit nicht einfach ist, attraktive Anlagemöglichkeiten zu finden», sagt Hettich. In Zürich wie in allen anderen Kantonen, in denen künftig über neue Wassergesetzgebung diskutiert wird, geht es deshalb um die Frage: Soll man die gewachsenen Strukturen zwar behalten, die Wasserversorgung sonst aber grundsätzlich in die Hand der Gemeinde legen? Oder soll man weiterhin, und nun explizit, eine Beteiligung von Privaten ermöglichen?
 

«Warum soll das eine spezialisierte, auf Effizienz ausgerichtete Firma schlechter können als das Wasserwerk einer Gemeinde?»

Samuel Rutz, Avenir Suisse


Für eine Öffnung ist Samuel Rutz, Wettbewerbsexperte der Denkfabrik Avenir Suisse. Er tritt dafür ein, dass auch in der Schweiz private Firmen die Möglichkeit bekommen sollen, in die Wasserversorgung zu investieren: «Wasser ist ökonomisch gesehen ein knappes Gut. Gerade der fehlende Marktpreis gibt falsche Anreize, um sparsam mit unserem Trinkwasser umzugehen.» Rutz will zwar nicht, dass Private die Kontrolle über das Wasser erlangen. Aber dass man ihnen erlaubt, das Wasser aufzubereiten, zu verteilen und das Abwasser zu reinigen. «Warum soll das eine spezialisierte, auf Effizienz ausgerichtete Firma schlechter können als das Wasserwerk einer Gemeinde?»

Wenn sich in anderen Ländern die Wasserversorgung durch Private verschlechtert habe, sei das oft falschen oder fehlenden politischen Rahmenbedingungen geschuldet. Die Politik könne Qualitätsstandards und Preise festsetzen und danach die Konzession für die Wasserversorgung ausschreiben. Am besten befristet auf zehn bis zwanzig Jahre. «Sicherlich würden sich Firmen finden, die in der Schweiz einen solchen Auftrag übernehmen würden und einen guten Service bieten könnten – höchstwahrscheinlich sogar günstiger als der Staat.»

Natürliches Monopol

Anderer Meinung ist der Trinkwasserverband SVGW. Er überwacht die Qualität der Trinkwasserversorgung in der Schweiz, erstellt die Standards für die Leitungen und legt Richtlinien für eine kostendeckende Finanzierung fest. «Die Wasserversorgung ist eine öffentliche Aufgabe und ein natürliches Monopol. Aufgrund dieses Monopols kann Wettbewerb naturgemäss nicht funktionieren, weshalb die öffentliche Hand das Monopol kontrollieren und regulieren muss,» schreibt der Verein in einem Positionspapier.

Das neue Zürcher Wassergesetz beurteilt man deshalb negativ: «Es geht in die falsche Richtung», sagt SVGW-Sprecher Paul Sicher. Zwar sei die Wasserversorgung in der Schweiz auch dort gut, wo eine private Wassergenossenschaft oder wie in Zug eine Wassergesellschaft sie verantwortet. «Es gibt aber keinen fachlich abgestützten Grund, mehr Private ins Boot zu holen.»

Professionalisierung notwendig

Längerfristig sei es wichtig, dass kleine Betriebe sich zusammenschliessen und sich professionalisieren, sagt Sicher. Die Anforderungen der Wasserversorgung würden immer höher, dazu kämen die Herausforderungen des Klimawandels. Zu wenig Wasser gibt es zwar nicht: «Wir haben mengenmässig auch in Zukunft kein Problem», sagt Urs von Gunten, Professor beim Wasserforschungsinstitut Eawag. Es sei auch dann kein Problem, wenn sich die Niederschläge – wie die Klimaprognosen voraussagen – verschieben. Sprich: im Sommer trockener und im Winter mehr Niederschlag. 

Pro Jahr brauche die gesamte Schweiz einen Kubikkilometer (km3) Wasser in der Siedlungswasserwirtschaft. In den Seen seien rund 150 km3 verfügbar, nutzbares Grundwasser 20 km3, Jahresniederschlag 60 km3 und in den Gletschern stecken heute noch 55 km3. «Es ist eher eine Frage der Verteilung», erklärt von Gunten. «Die regionale Knappheit könnte sich verschärfen. In besonders anfälligen Gebieten wie dem Jura und den Voralpen zeigte sich das bereits im Sommer 2018 als es viel zu wenig regnete. Besonders für die Alp- und Viehwirtschaft wird das zu einem Problem. Die Verteilung des üppig vorhandenen Wassers wäre im Prinzip technisch lösbar, allerdings mit beträchtlichem finanziellem Aufwand.»
 

Bei Energieversorgung sind oft Private beteiligt

Für die Versorgungssicherheit ist die föderalistisch organisierte Struktur der Wasserversorgung laut von Gunten deshalb nicht optimal: «Für Situationen, in denen Wasser knapp wird, macht es Sinn, wenn sich diese einzelnen Gemeindewerke vermehrt regional organisieren». Die Befürworter des Zürcher Wassergesetzes argumentieren, genau dafür die gesetzliche Grundlage zu schaffen – in dem man zum Beispiel Mischkonzerne ermögliche, in denen Energieversorgung, Telefonie und Wasserversorgung zusammengelegt sind. Solche Mischkonzerne seien kaum realisierbar, ohne Privaten eine Beteiligung zu erlauben, weil etwa in der Energieversorgung oft schon privates Geld stecke. Paul Sicher vom SVGW erwidert: «Dafür braucht es bei der Wasserversorgung aber nicht die Beteiligung von Akteuren, die letztlich immer einen finanziellen Gewinn aus ihrem Engagement herausholen wollen.»

So viel kostet Trinkwasser in der Schweiz

Wissen Sie, wieviel Sie jährlich für Trinkwasser bezahlen? Die meisten Schweizerinnen und Schweizer würden diese Frage wohl verneinen. Insbesondere Mieter, bei denen Wasser über die Nebenkosten verrechnet Nebenkosten Jetzt wird abgerechnet! wird, haben oft keine Ahnung, wie hoch der Betrag tatsächlich ist.

In der Schweiz werden pro Tag und Person 300 Liter Wasser verbraucht. Auf den Verbrauch in den Haushalten entfallen davon 140 Liter, wie die Wasserstatistik des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfachs (SVGW) zeigt. Knapp 30 Prozent spülen Herr und Frau Schweizer täglich die Toilette runter. Dusche, Bad und WC machen über 50 Prozent des Wasserverbrauchs in Privathaushalten aus.

Dafür bezahlt man einen Wassertarif, der sich aus einer Grundgebühr und einem Betrag, der von der Höhe des Verbrauchs abhängt, zusammensetzt. Aus diesen Einnahmen müssen Bau, Unterhalt und Betrieb der Trinkwasserversorgung finanziert werden. Da dies nicht überall gleich funktioniert und die Gewinnungsart einen Einfluss auf den Preis hat, unterscheiden sich die Kosten je nach Gemeinde. So ist etwa die Aufbereitung von Seewasser aufwändiger als diejenige von Grund- oder Quellwasser und kostet dementsprechend mehr. Wie der «Blick» schreibt, zahlt man in St. Gallen mit 2.93 Franken pro Kubikmeter am meisten und in Stans mit 50 Rappen pro Kubikmeter am wenigsten für Trinkwasser. Der durchschnittliche Wasserpreis liegt bei 2 Franken pro tausend Litern.

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Raphael Brunner, Redaktor
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