Liebe Leserinnen und Leser

Daniel Benz hier – schön, lesen Sie mit.

Die Laune des Terminplans will es, dass diese Zeilen auf Heiligabend getimt sind. Trotzdem oder gerade deshalb habe ich einen etwas verwegenen Plan gefasst: in der Weihnachts-Ausgabe Weihnachten so weit wie möglich zu ignorieren. Um sozusagen eine sichere Insel zu schaffen, im Ozean der guten Wünsche und der salbungsvollen Botschaften, vor denen es gerade kein Entrinnen gibt. Ich hoffe, Sie sehen mir diese kleine Flucht nach. 

Gut ist ja, dass man auch beim Lesen von Beobachter-Texten auf ein Motto treffen kann, das wie gemacht ist für diese versonnenen Tage: Vergebung.

Die Geschichte der Woche

Michelle Dreifuss hat ihrer Mutter längst vergeben, dass diese sie als Baby weggegeben hat. Elisabeth Meister war erst 17, als sie ungewollt schwanger wurde. Damals, in den späten 1960er-Jahren, war eine uneheliche Schwangerschaft ein gesellschaftliches Tabu. Die jungen Frauen wurden von ihren Familien und sogar von den Behörden dazu gedrängt, ihre Kinder nach der Geburt zur Adoption freizugeben; nur so sei die Moral wiederherzustellen. Meister erlebte diesen Druck durch ihre Eltern und war ihnen lange böse deswegen – später hat sie ihnen vergeben. Und selbst für die Beamtin des Jugendamts, die auf die Adoption pochte, hat die heute 71-Jährige ein gutes Wort übrig: «Sie hat es wohl gut gemeint.»

Die damaligen Zwangsadoptionen kreierten bewegende Familiengeschichten. Jene von Elisabeth Meister und ihrer Tochter Michelle Dreifuss hat mein Kollege Yves Demuth aufgeschrieben. Was ihn beeindruckt hat: 

«Die Art und Weise, wie die beiden Frauen heute mit der Zwangsadoption umgehen. Elisabeth Meister, die Mutter, hat 15 Jahre lang an ihrem autobiografischen Text gearbeitet, der so verständnisvoll wie anklagend ist. Seit ihre Tochter ihn gelesen hat, sind die letzten Tabus zwischen den beiden gefallen.»

 

Und die Neuigkeiten aus der Redaktion

Weihnachten, das bedeutet auch in unserem Beratungszentrum wenig Besinnlichkeit. Denn vor Heiligabend rufen jene Menschen an, deren Lebensumstände gerade gar nicht zu Harfenklängen, Zimtgeruch und Schneegeriesel passen. Etwa die frisch geschiedenen Väter und Mütter, die sich erbittert darüber streiten, wer denn nun Heiligabend und Weihnachten mit den Kindern verbringen darf.

Während es keinen Paragrafen gibt, der hier abschliessend Klärung schafft, ist das Gesetz in einer anderen Frage sehr wohl massgebend: Wer zahlt wem Alimente – und wie viel? Das zu berechnen, ist eine Wissenschaft für sich. Spezialisierte Anwältinnen verdienen damit gutes Geld. Als Beobachter-Mitglied können Sie sich dieses Honorar ab jetzt aber sparen.

Das war's

Jetzt ist ihier doch noch eine ganze Ladung von festtagsbezogenen Nachrichten zusammengekommen. Vielleicht muss ich von meinem Plan etwas abrücken, so zu tun, als sei dies ein ganz normales Wochenende. Die Ansage überlasse ich aber lieber dem Wort- und Gedankenakrobaten Kurt Tucholsky, der einem liebenswürdigen Sarkasmus bekanntlich nicht abgeneigt war: «Die meisten Leute feiern Weihnachten, weil die meisten Leute Weihnachten feiern.» In diesem Sinn: Haben Sie eine gute Zeit. Und feiern Sie schön!

So viel für den Moment. Mehr nächste Woche, wenn Sie mögen.