Klimabewegte schielen momentan besonders auf die Entwicklungen im Flugverkehr . Dabei erweist sich der Strassenverkehr wieder einmal als ewiges Sorgenkind. Die Bilanz für die Neuwagenflotte vom letzten Jahr: Neu zugelassene Automobile schluckten durchschnittlich 6,08 Liter auf 100 Kilometer, was einem Plus von 3,6 Prozent gegenüber 2017 entspricht. Gleichzeitig stiegen die CO2-Emissionen um 2,8 Prozent an. Weil beim Treibstoffverbrauch auch Strom von Elektroautos einberechnet wird, diese aber im Betrieb kein CO2 ausstossen, sind die prozentualen Zunahmen bei den beiden Kategorien ungleich hoch. 

Der Strassenverkehr macht rund einen Drittel aller CO2-Emissionen der Schweiz aus. Umso wichtiger wären also Fortschritte in diesem Bereich. 

Ziele werden notorisch verpasst

Analog zur EU führte die Schweiz 2012 Emissionsvorschriften ein: ab 2015 galt bei Neuwagen in der Schweiz ein CO2-Ausstoss von durchschnittlich 130 Gramm pro Kilometer. Aber bereits zum dritten Mal in Folge wurde dieses Ziel verpasst. Nicht nur das – die neu zugelassenen Autos schleudern jetzt sogar mehr Dreck in die Umwelt als im vorherigen Jahr, das zeigen die aktuellen Zahlen deutlich auf. Dabei gibt es eigentlich keine Zeit zu verlieren: ab 2020 wird der Zielwert auf 95 Gramm pro Kilometer reduziert. 

Damit der Verkehr sauberer wird, haben alle Auto-Importeure ein spezifisch für die jeweilige Neuwagenflotte vorgeschriebenes Ziel. Dieses wird auch durch das Fahrzeug-Leergewicht beeinflusst. Für jeden Grossimporteur wird eine individuelle CO2-Zielvorgabe für seine gesamte Flotte berechnet. Bei Klein- oder Einzelimporteuren ist es ein fahrzeugspezifisches Ziel.

Man würde meinen, alle diese Ziele zusammen müssten 130 g/km ergeben, denn das ist ja die gesetzlich vorgeschriebene Limite. Aber weit gefehlt – weil das Referenzleergewicht letztes Jahr um 117 kg überschritten wurde, erhöhten sich auch die individuellen CO2-Ziele. Die Summe der individuellen Zielvorgaben für die Autobranche ergab fürs letzte Jahr schlussendlich 137,1 g/km, was deutlich über dem eigentlichen Ziel von 130 g/km liegt. Amtlich abgesegnet.

Fehlanreiz im System?

Das kritisiert der Schweizer Verkehrs-Club VCS: «Es wird von den Importeuren gar nicht verlangt, den Ausstoss auf das gesetzlich festgelegte Ziel zu senken, weil das Leergewicht der verkauften Fahrzeuge für die Berechnung der Zielvorgaben berücksichtigt wird», sagt Martin Winder, Projektleiter Verkehrspolitik. «Steigt dieses, so steigt auch die Zielvorgabe.» Sprich: Einfach ein paar schwere Autos mehr verkaufen, dann sind auch die Klimaschutzvorgaben nicht so streng. Liegt da der Hund begraben? Torpediert ein Fehlanreiz also den Klimaschutz auf der Strasse?

«Das sollte grundsätzlich nicht sein», sagt Christoph Schreyer, Leiter Mobilität bei Bundesamt für Energie BFE. «Aber wenn wir Jahr für Jahr eine immer schwerere Neuwagenflotte haben, dann ist das Ziel nur schwer zu erreichen.» Weil Gewicht und Emissionen stark zusammenhängen, führt das dann zu einem entsprechend hohen CO2-Ausstoss. «Das ist unschön. Die Formel funktioniert nur, wenn sich das ändert», sagt Schreyer. «Aber es wird nicht endlos so weitergehen – sonst wird es irgendwann sehr teuer für einzelne Importeure.»

Angebot anpassen

Schreyer ist trotz ernüchternden Ergebnissen optimistisch: «Die Hersteller haben bereits zahlreiche Modelle mit Elektroantrieb lanciert oder angekündigt. Wenn die Importeure die umweltfreundlichen Autos entsprechend vermarkten, sind die Ziele sicher einhaltbar. Die Produktpalette kann auch dadurch optimiert werden, dass gewisse sehr ineffiziente Autos aus dem Angebot genommen werden.» 

Die Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure Auto-Schweiz hat sich denn auch ein ambitioniertes Ziel gesetzt: im Jahr 2020 soll jedes zehnte neu zugelassene Auto ein Elektroauto oder Plug-in-Hybrid (Hybrid, dessen Batterie auch am Stromnetz aufgeladen werden kann) sein. 2018 betrug der Anteil gerade mal 3,2 Prozent. Nur damit sei die strengere CO2-Vorschrift annähernd einzuhalten, schreibt der Verband in einer Medienmitteilung. Die ersten sieben Monaten des laufenden Jahres seien diesbezüglich erfolgreich gewesen, der Anteil liegt nun bei 4,6 Prozent. Gefordert seien nun aber bessere staatliche Rahmenbedingungen, wie der Ausbau von Lade- und Tankinfrastrukturen für alternative Antriebe.

Schlupfloch für schwere Verbrenner?

Doch der VCS sieht noch ein weiteres potenzielles Schlupfloch: Werden vermehrt schwere Elektroautos oder Plug-in-Hybride verkauft, treiben sie das durchschnittliche Gewicht nach oben. Damit erhöht sich wie erwähnt auch die individuelle Zielvorgabe für Importeure. Gleichzeitig stossen solche Autos – zumindest im elektrischen Betrieb – kein CO2 aus und verbessern damit die Emissions-Bilanz der Neuwagenflotte. «Das erleichtert den Importeuren den Verkauf von verbrauchsstarken und schweren Verbrennern, ohne dass dadurch die Einhaltung ihrer Zielvorgabe gefährdet wird», sagt Martin Winder. 

Dass eine Kompensation stattfindet, bestätigt auch Schreyer vom BFE, weist aber auch auf einen anderen Effekt hin: «Durch diese Regelung wird ein wichtiger Anreiz für die Förderung von Fahrzeugen mit neuen Technologien gesetzt, die es im Markt aktuell noch schwerer haben, sich durchzusetzen. Andererseits können theoretisch auf diese Weise natürlich Autos zugelassen werden, die das Doppelte des Zielwerts ausstossen. Diese werden mit den umweltfreundlicheren Modellen kompensiert.»

Zu tiefe Bussen

Mit Geldstrafen sollte die Branche eigentlich dazu gezwungen werden, bei umweltschädlichem Verhalten und Überschreitung der Zielvorgaben umzudenken. Im letzten Jahr war die Gesamtsumme der Sanktionen mit knapp über 31 Millionen Franken denn auch so hoch wie noch nie. Das Bussgeld fliesst in den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF. Bei rund 301'000 neu zugelassenen Wagen macht das pro Stück jedoch nur etwa 100 Franken aus. «Das BFE geht davon aus, dass die finanziellen Anreize ab 2020 verstärkt im Markt ankommen, wenn der tiefere Zielwert von 95 g/km in Kraft tritt», sagt BFE-Mediensprecherin Sabine Hirsbrunner. 

Doch die Frage bleibt offen, ob Bussen zu einem Umdenken bei den Importeuren führen. «Wenn man das Ziel nur knapp verpasst, dann überlegt man sich natürlich, ob man die Strafe einfach in Kauf nimmt oder tatsächlich Änderungen vornimmt. Aber ab nächstem Jahr, wenn die Zielwerte tiefer sind, lohnen sich Massnahmen gegenüber Bussen definitiv», sagt Christoph Wolnik, Mediensprecher beim Branchenvertreter Auto-Schweiz. In verschiedenen Medienberichten beteuern Importeure, dass sie die Sanktionen nicht an Kunden weitergeben. Wolnik schätzt das jedoch etwas anders ein: «Das ist eine schwierige Frage und man kann nicht ausschliessen, dass es im Endeffekt doch geschieht».  

Ist die Messmethode schuld?

Sowieso sieht Auto-Schweiz die Gründe für die verfehlten Ziele bei der Neuwagenflotte anderswo. «Die Hauptgründe liegen vielmehr in der Einführung des neuen Prüfzyklus WLTP und in Marktanteil-Verlusten des Dieselmotors sowie der daraus resultierenden höheren Nachfrage nach Benzinern», heisst es in einer Medienmitteilung. Das BFE bestätigt, dass als Folge des Diesel-Skandals dessen Anteil von 36 Prozent im Jahr 2017 auf 30 Prozent im Jahr 2018 zurückgegangen ist und dies zusammen mit anderen Faktoren zu einer Erhöhung der CO2-Emissionen geführt hat. 

Schreyer relativiert allerdings das Argument, die neue Messmethode sei schuld am Emissions-Anstieg: «Die realitätsnäheren Tests haben bei einzelnen Fahrzeugen tatsächlich zu einer messtechnisch bedingten leichten Erhöhung der CO2-Werte geführt. Wenn man die letzten Jahre anschaut, hat allerdings die Abweichung zwischen dem gemessenen Verbrauch auf dem Prüfstand und dem effektiven Verbrauch auf der Strasse stark zugenommen. Nur auf dem Papier wurden die Autos effizienter. Die Neuwagen sind mit der Einführung der neuen Messmethode aber nicht ineffizienter geworden, sondern die Tests bilden die Realität etwas besser ab. Das führt nun lediglich zu einer teilweisen Korrektur der Verbrauchsmessungen, die jahrelang von den Herstellern hin zu tieferen Resultaten optimiert wurden.»

Europäisches Schlusslicht

Das BFE führt vielmehr die weitere Zunahme des Allrad-Anteils als Grund an. Tatsächlich sind mit 48,9 Prozent fast die Hälfte aller Neuwagen 4x4-Fahrzeuge. Und das sind schlechte Nachrichten fürs Klima: «Die neuzugelassenen Allradfahrzeuge hatten 2018 im Schnitt einen um 30,5 Prozent höheren CO2-Ausstoss als Fahrzeuge mit einem Front- oder Heckantrieb.» Das heisst also, dass ein und dasselbe Auto einen unterschiedlichen Ausstoss haben kann, je nachdem ob es als 4x4 auf die Strasse kommt oder nicht. Die Gründe dafür: antriebsbedingtes Mehrgewicht und grössere Reibung. 
 

Der 1,6 Liter Skoda Octavia Diesel (115 PS) hat in der 4x4-Ausführung einen um 24 Prozent höheren Ausstoss als bei Front- oder Heckantrieb. 


Dazu kommt noch, dass diejenigen Leute, die einen schwereren Motor mit mehr PS kaufen auch eher einen Allradantrieb wollen, was wiederum für tendenziell mehr CO2 sorgt, erklärt das BFE. «Dies ist auch damit zu erklären, dass 4x4 Antriebe häufiger in stärker motorisierten Fahrzeugen und damit teureren Fahrzeugsegmenten verbaut werden.» 

Schweizerinnen und Schweizer können es sich schlicht leisten, verbrauchsstarke Gefährte zu wählen. Und darauf zielt die Branche. Kein Wunder ist die Nachfrage hoch, sagt Hirsbrunner: «Schwere und leistungsstarke Fahrzeuge werden nach wie vor aktiv beworben und vermarktet und von den kaufkräftigen Schweizer Kunden nachgefragt. Hierzu tragen auch zahlreiche Marketing- und Verkaufsmassnahmen bei, bei denen der 4x4-Antrieb gratis angepriesen wird.»


Kein EU-Mitglied hat auch nur annähernd einen so hohen Allradanteil. Und gleichzeitig ist die Schweiz auch bei den CO2-Emissionen mit Abstand das Schlusslicht.

«Man kann über den Sinn und Zweck streiten»

Auto-Schweiz schreibt dem hiesigen Markt zwar «spezielle topographische Anforderungen» zu, die den hohen 4x4-Anteil rechtfertigen würden. Der VCS will dieses Argument aber nicht gelten lassen: «Als bezüglich Kaufkraft und Topographie mit der Schweiz gut vergleichbares Land hat beispielsweise Österreich eine viel sparsamere Neuwagenflotte.» Wolnik relativiert denn auch: «Allrad wird von den Kunden gewünscht, nicht zuletzt wegen dem Sicherheitsaspekt. Man kann allerdings darüber streiten, inwiefern man das im Mittelland wirklich braucht.» Tatsächlich lag in unserem Nachbarland der durchschnittliche CO2-Ausstoss von Neuwagen im letzten Jahr bei 123 g/km – ganze 14 Gramm tiefer. Das ebenfalls wohlhabende Norwegen schaffte es 2018 – dank Förderung von Elektroautos – die Emissionen um 11 Prozent auf 72 g/km zu senken.

Überraschende kantonale Unterschiede

Aufschlussreich ist dazu der Vergleich zwischen den Kantonen. So ist der Allrad-Anteil im finanzstarken, aber mehrheitlich flachen Kanton Zug mit fast 64 Prozent praktisch gleich hoch wie im Bergkanton Wallis. Zwar sind 4x4-Antriebe in den Bergkantonen tendenziell gefragter. Gleichzeitig liegt der Anteil im gebirgigen, aber weniger reichen Kanton Tessin mit 46 Prozent sogar unter dem Durchschnitt, im Jura bei nur 40 Prozent.

Die BFE-Auswertung zeigt, dass Allradfahrzeuge in Mittelland- und städtischen Kantonen verbrauchsstärker sind als jene in den Gebirgskantonen. «Besonders ausgeprägt ist dies in den Kantonen Zug und Aargau, wo Allradfahrzeuge im Durchschnitt mehr als 160 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen.»

Im kantonalen Vergleich zeigt sich ein Graben zwischen Deutschschweiz und Romandie sowie Tessin: Letztere weisen tendenziell leichtere Neuwagen und solche mit geringerem Energieverbrauch und CO2-Ausstoss auf, während die Deutschschweiz überall die Spitzenplätze belegt. 

Karte mit Anteil Allrad-Fahrzeugen in allen Kantonen

Anteil Allradfahrzeuge pro Kanton. Weitere Karten zu den durchschnittlichen Emissionen, zum Treibstoffverbrauch und zum Leergewicht finden Sie hier

Quelle: Screenshot Bundesamt für Energie BFE
Ab wann greift die Regulierung?

Wird der ab nächstes Jahr geltende neue Zielwert von 95 g/km die Wende auf der Strasse bringen? Beim VCS zeigt man sich skeptisch: «Problematisch ist, dass die konkrete Umsetzung der Zielvorgaben immer weiter hinausgeschoben wird. So hat der Bundesrat die Einführung des 95-Gramm-Ziels für die Schweiz von 2020 auf 2023 verschoben, was im Rahmen des CO2-Gesetzes aktuell nochmals zur Diskussion steht.» Tatsächlich hat die Regierung trotz Volks-Ja zur Energiestrategie und damit zum 95-Gramm-Ziel auf Verordnungsstufe eine Übergangsphase zugunsten der Auto-Importeure beschlossen. Das sogenannte Phasing-in funktioniert so: im Jahr 2020 werden nur die 85 saubersten Prozente der Neuwagenflotte gezählt, im Jahr 2021 dann 90 Prozent und so weiter, bis 2023 sich schliesslich die gesamte Flotte an die Regeln halten muss. De facto gelten die 95 Gramm also erst ab dann.

In dieser Übergangsphase dürfen besonders effiziente Fahrzeuge mit einem Ausstoss von weniger als 50 Gramm CO2 pro Kilometer sogar mehrfach angerechnet werden. «Supercredits» nennt man diese Mehrgewichtung und Abschwächung des Klimaziels. 

So hoch sind die Bussen für die Importeure

Gesamthaft müssen Auto-Importeure fürs Jahr 2018 dem Staat 31 Millionen Franken berappen. Dabei ist die Höhe der einzelnen Bussen aber sehr unterschiedlich. In einem Dokument des Bundesamtes für Energie BFE sind die jeweiligen Sanktionen aufgelistet. Rund zwei Drittel der Gesamtstrafe entfällt dabei auf nur zwei der 74 Grossimporteure: Fiat Chrysler Automobiles Switzerland und Mercedes Benz Schweiz müssen zusammengerechnet 22 Millionen zahlen. Andere Importeure schulden dem Staat nur wenige hundert oder tausend Franken, einige bezahlen gar nichts. Das Bussgeld fliesst in den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF. Die detaillierten Angaben sind hier erhältlich: «CO2-Emissionsvorschriften für Personenwagen – zentrale Vollzugsresultate.»

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Tina Berg, Redaktorin
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