Sommerzeit ist Velozeit. Wenn es in den Städten heiss und stickig wird, schwingen sich viele auf den Sattel. Immer beliebt: eine Fahrt über einen der vielen Schweizer Pässe.

Nicht immer endet diese jedoch mit einem wohlverdienten Radler im Restaurant. Denn Passstrassen sind gefährlich. Jedes Jahr verunfallen dort Velofahrerinnen und Velofahrer schwer. Das zeigen die Unfalldaten des Bundesamts für Strassen (Astra), die der Beobachter ausgewertet hat.

So wurden seit 2011 auf 26 ausgewählten Passstrassen mindestens 263 Velounfälle mit Toten, Schwer- und Leichtverletzten erfasst (siehe Tabelle). Besonders viele Unfälle passieren dabei am Bernina zwischen Pontresina und Tirano, am Klausen zwischen Linthal und Altdorf, am Susten zwischen Innertkirchen und Wassen sowie am Furka zwischen Gletsch und Andermatt – alles beliebte Ziele für Gümmeler.

«An Wochenenden können wir bei regulärem Verkehr von einer Velofahrt über Schweizer Passstrassen nur abraten», sagt Simon Bischof. Er ist Präsident des Vereins Freipass und setzt sich für autofreie Tage auf Pässen ein. «Es ist zu gefährlich, und es passieren immer wieder Unfälle mit schweren Verletzungs- oder gar Todesfolgen.» Die Velofahrenden seien dabei nur ausnahmsweise die Schuldigen, meint Bischof.

Bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) hält man sich mit einem Urteil hingegen zurück. Die Frage, ob Pässe wirklich gefährlicher als andere Strassen sind, könne man anhand der Daten nicht beantworten. Denn: Wie viele Menschen jedes Jahr über die Pässe fahren, weiss man nicht.

Auch das Bundesamt für Strassen (Astra) verweist auf die geringe Datenmenge und betont, dass man beim Fahrradverkehr Unfallhotspots vor allem entlang von stark befahrenen Strassen in Städten und Agglomerationen beobachtet – Orte, an denen täglich Tausende Fahrräder unterwegs sind. Auf Passstrassen stünden Unfälle mit Motorrädern im Vordergrund.

Pass ist nicht gleich Pass

Ein weiteres Problem: Die Infrastruktur unterscheidet sich je nach Pass sehr stark. Manche haben breite, gut ausgebaute Strassen mit Leitplanken. An anderen können sich auf dem holprigen Untergrund kaum zwei Autos kreuzen, während es daneben Hunderte Meter in die Tiefe geht. Gerade die Leitplanken sind für Velofahrende oft Lebensretter. Das betont auch das Astra, welches etwa am Brünig entsprechende Massnahmen ergriffen hat.

Wer schon einmal einen Pass mit dem Velo in Angriff genommen hat, weiss: Die motorisierten Verkehrsteilnehmenden nehmen oft keine Rücksicht. Nicht selten rasen sie mit wenig Abstand an einem vorbei. Hinter jeder Kurve ist mit einem überholenden Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn zu rechnen. Und trotzdem: Gemäss den Daten des Astra handelt es sich bei einem Grossteil der verzeichneten Velounfälle um «Schleuder- oder Selbstunfälle». Mit anderen Worten: Die Velofahrer sind meist selbst schuld.

Oft nur vermeintlicher Selbstunfall

Anders sieht das Christoph Merkli von Pro Velo Schweiz: «Die Gründe für vermeintliche Alleinunfälle sind oft unklar.» Zum einen würden viele Velounfälle gar nicht in die Statistik einfliessen. «Fachleute gehen von einer Dunkelziffer von bis zu 90 Prozent aus», sagt Merkli. Hinzu komme, dass vermeintliche Selbstunfälle oft durch Infrastrukturmängel, zu nahes Überholen oder Bremsmanöver anderer Verkehrsteilnehmenden ausgelöst würden. Denn auch der Windstoss eines überholenden Busses reicht manchmal aus, um das Gleichgewicht zu verlieren.

In vielen europäischen Ländern gibt es deshalb einen gesetzlich festgehaltenen Mindestabstand beim Überholen von Velofahrenden. Deutschland führte ihn 2020 ein, Österreich im Jahr 2022. In Frankreich gibt es ihn schon seit 1958. Wo im Sommer besonders viele Menschen mit dem Velo unterwegs sind, weisen in Italien Schilder auf den nötigen Mindestabstand von 1,5 Metern beim Überholen hin.

Kein Mindestabstand in der Schweiz

Doch in der Schweiz wurde 2022 im Nationalrat ein solcher Mindestabstand knapp abgelehnt. Auch der Bundesrat gab dem Anliegen einen Korb. Die Begründung: Ein Mindestabstand sei «kaum kontrollier- und durchsetzbar». In der Schweiz gilt deshalb weiterhin nur, dass beim Überholen «ausreichender Abstand» nötig sei und auf andere «besonders Rücksicht» genommen werden solle.

Eine Messung des Konsumentenmagazins «Saldo» aus dem Jahr 2019 zeigt, dass das oft ignoriert wird: Ein Drittel der Überholmanöver passierte mit weniger als einem Meter Abstand. Wer die Hand ausstreckte, würde das Fahrzeug berühren. Manchmal brausen die Autos gar mit kaum 30 Zentimetern Abstand an den Velos vorbei. Das kann in einem Moment der Unachtsamkeit bereits genügen, um einen Sturz zu verursachen.

Autofreie Pässe?

«Die einzige Möglichkeit, das Velofahren über Schweizer Passstrassen an Wochenenden erträglich zu machen, ist eine temporäre Sperrung für den motorisierten Verkehr», meint Bischof vom Verein Freipass. Mindestens vier Stunden brauche es, besser wären sechs.

Doch in der Schweiz gibt es solche Sperrungen selten. Dieses Jahr finden lediglich acht solche Passfahrten statt (vier davon haben bereits stattgefunden). Und die Sperrungen sind heftig umstritten. Als Coop und Schweiz Tourismus 2018 eine Reihe von autofreien Passfahrten organisierten, folgte prompt eine parlamentarische Anfrage von SVP-Nationalrat Thomas Hurter, welche Kosten dies für die Öffentlichkeit verursacht habe.

Mit Velostreifen und separaten Velowegen wäre es möglich, die Sicherheit zu erhöhen. Doch auch in diese Richtung geschieht wenig. «Velostreifen wurden uns bereits 2008 auf der Walliser Seite des Furkapasses versprochen», sagt Bischof. «Sie sind noch immer nicht realisiert.»

Ein Problem: Viele Passstrassen sind für solche Massnahmen schlicht zu eng. Entsprechend finden sich separate Velopassagen nur vereinzelt. In der Schöllenenschlucht zwischen Göschenen und Andermatt können Velofahrende seit 2019 die vielbefahrene Hauptstrasse im Aufstieg meiden.

Auch die historische Tremolastrasse am Gotthardpass gilt als quasiautofrei, denn die Hauptstrasse wird parallel geführt. Interessant: Dort sind auf der Unfallkarte des Astra lediglich zwei Velounfälle seit 2011 verzeichnet.

Ändern könnte sich die Situation mit dem nationalen Veloweggesetz, das seit diesem Jahr in Kraft ist. Es verpflichtet Kantone zur Planung und Realisierung von Velowegnetzen. Da fast alle Passstrassen in der Verantwortung der Kantone liegen, könnte das ein Hebel sein, um die Sicherheit für Velofahrende zu erhöhen. Bis die entsprechenden Massnahmen ergriffen sind, dürfte es aber noch Jahre dauern.

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