Wenn Elektroautos durch Quartierstrassen rollen, sind sie manchmal so leise, dass man sie kaum hört. Seit drei Jahren müssen neue Modelle deshalb einen künstlichen Sound von sich geben, sobald sie langsamer als 20 km/h fahren. Damit er angenehm klingt, hat der Autobauer BMW extra den Filmkomponisten Hans Zimmer («Gladiator», «König der Löwen») engagiert.

Sind E-Autos schneller unterwegs, machen sie aber genauso viel Lärm wie Benziner. Was in Fachkreisen schon länger bekannt ist, haben Tests im Kanton Aargau jetzt bestätigt. Dort haben Lärmspezialisten auf Strecken innerorts und ausserorts gemessen, wie laut verschiedene Automodelle sind. Das Ergebnis war eindeutig: «Das Lärmproblem wird sich mit Elektroautos nicht lösen», sagte Lärmexperte Dejan Milo gegenüber dem «Regionaljournal» von SRF.

Diabetes wegen Lärm

Der Grund ist das Geräusch, das beim Abrollen der Reifen auf Asphalt entsteht. Ab einer Geschwindigkeit von zirka 25 km/h übertönt es den Motor. Je breiter die Reifen sind, desto lauter das Geräusch. Auf der Aargauer Teststrecke war der elektrobetriebene Tesla X bei 50 km/h praktisch gleich laut wie der Audi RS6, ein Benziner mit 600 PS.

Weil der Trend zu immer schwereren Modellen auch bei Elektroautos anhält, nimmt der Strassenlärm zu, obwohl die Motoren leiser werden. So ist das durchschnittliche Gewicht von Neuwagen in der Schweiz in den letzten zehn Jahren um rund 60 Prozent gestiegen, von unter 1,1 Tonnen auf fast 1,7 Tonnen.

Strassenlärm ist ein Problem. In der Schweiz sind über eine Million Menschen einer übermässigen Belastung ausgesetzt, zeigen Erhebungen des Bundes. Zu viel Lärm macht krank. Gemäss Studien sterben in der Schweiz jährlich 450 Menschen zu früh als Folge von Strassenlärm. Dazu kommen jährlich 2500 neue Diabetesfälle, die Ärzte auf Strassenlärm zurückführen. Denn Lärm löst im Gehirn verschiedene Stressreaktionen aus. Menschen können sich nicht mehr erholen, werden physisch und psychisch krank. Strassenlärm ist die mit Abstand grösste Lärmquelle im Land, heisst es beim Bundesamt für Umwelt (Bafu).

Leisere Pneus

Lange haben Politik und Behörden dem Thema jedoch eher wenig Beachtung geschenkt. Dann haben sie versucht, Betroffene mit Lärmschutzwänden und Schallschutzfenstern zu schützen. «Effektiver aber ist es, dafür zu sorgen, dass gar nicht so viel Strassenlärm entsteht», sagt Sophie Hoehn, Lärmexpertin beim Bafu.

Eine Möglichkeit sind leisere Reifen. Heute ist jeder Reifen mit einer Etikette versehen, die unter anderem darüber informiert, wie viel Lärm er macht. Die Skala reicht von A bis C. Würden nur noch Reifen der Kategorie A verwendet, würde sich der Strassenlärm um zirka zwei Dezibel reduzieren. Bereits drei Dezibel weniger entsprechen einer Halbierung des Verkehrs.

Nur noch A-Reifen zuzulassen, ist aber aufgrund von Vorschriften im Handel mit der EU nicht möglich. Das Bafu will darum mit den Herstellern eine Branchenlösung finden. «Allein mit leiseren Pneus können wir das Lärmproblem aber nicht lösen», sagt Hoehn. Denn ein breiter Reifen der Kategorie A verursacht noch immer mehr Lärm als ein schmaler der Kategorie B.

Hohlräume im Belag

Als bestes Mittel gegen Strassenlärm gelten sogenannte Flüsterbeläge oder weniger Tempo. Bei Flüsterbelägen sorgen Hohlräume dafür, dass der Lärm geschluckt wird. In den ersten Jahren nachdem sie verlegt worden sind, reduzieren sie Lärm am stärksten. Mit der Zeit lässt die Wirkung aber nach, weil die Hohlräume verstopft und zusammengedrückt werden.

Tempo 30 Tempo 30 Bremsen die Städte den ÖV aus? statt Tempo 50 bedeutet einen Unterschied von drei Dezibel, wodurch nur noch so viel Lärm entsteht wie bei halb so viel Verkehr. «Weiter kommt es zu deutlich weniger Lärmspitzen, weil die Fahrerinnen und Fahrer gleichmässiger fahren», sagt Hoehn.

Elektroautos bringen durchaus etwas

In dieser Hinsicht bringt aber auch der Wechsel von Benzinern auf E-Autos etwas. Laut aufheulende Motoren, weil man rasch beschleunigt, sind bei Hybrid- und Elektrofahrzeugen kein Thema mehr.

Und noch etwas gibt Lärmexpertin Hoehn zu bedenken: In Städten sind Autos oft mit weniger als 25 km/h unterwegs. Bei diesem Tempo ist der Motor lauter als das Abrollgeräusch. «Elektroautos bringen also schon etwas für den Lärmschutz, sie allein sind einfach nicht die Lösung.»

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Raphael Brunner, Redaktor
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