Die Schweiz, frei von Gentechnik? Das könnte man meinen. Kürzlich beschloss das Parlament, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen für weitere vier Jahre zu verbieten. Und Mitte März gab es grünes Licht für eine Motion von Bauernverbandsdirektor Jacques Bourgeois: Schweizer Lebensmittel sollen mit dem Zusatz «Ohne Gentechnik hergestellt» gekennzeichnet werden dürfen. Die Bundesverwaltung arbeitet nun einen Vorschlag aus.

Tatsächlich verzichten die Bauern in kaum einem Land so konsequent auf den Einsatz der Gentechnik wie in der Schweiz. Eine grosse Mehrheit der Konsumenten lehnt gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ab. GVO werden hierzulande weder angebaut noch in Lebensmitteln eingesetzt oder an Nutztiere verfüttert. Dieser Verzicht hat seinen Preis. Laut Bauernverband verursacht allein der Import von gentechfreier Soja 35 Millionen Franken Mehrkosten. Gen-Soja als Kraftfuttermittel wäre günstiger.

Ausländische Produzenten im Vorteil

Doch die Bauern haben ein Problem: Im Gegensatz zu den schweizerischen dürfen ausländische Anbieter bei uns tierische Produkte mit dem Label «Ohne Gentechnik hergestellt» verkaufen. In Deutschland sind die entsprechenden Anforderungen lockerer, die Tiere dürfen gar teils GVO-Futter fressen. So konkurrenzieren deutsche «Ohne Gentechnik»-Produkte Schweizer Erzeugnisse ohne Label, obwohl diese «gentechfreier» sind. Das hiesige strengere Recht lässt eine entsprechende Deklaration bisher nicht zu.

Für Martin Rufer vom Bauernverband ist die Kennzeichnung der deutschen Produkte in der Schweiz «wohl illegal», sie verunsichere die Konsumenten und benachteilige Schweizer Bauern. Daher wolle man jetzt «gleich lange Spiesse» schaffen.

Der Haken an der Sache: Auch hierzulande ist die landwirtschaftliche Produktion nicht völlig gentechfrei. Futtermittel für Nutztiere enthalten Zusatzstoffe wie Vitamine, Enzyme oder Aminosäuren, die mit Hilfe von GVO hergestellt werden. Laut Jan Lucht vom Chemie- und Pharmaverband Scienceindustries sind biotechnische Produktionsverfahren «kostengünstiger und weniger aufwendig als chemische». Die Zusatzstoffe werden in geschlossenen Systemen produziert, so gelangen die GVO nicht in die Umwelt und lassen sich in den Futtermitteln selbst nicht nachweisen.

Für die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) dagegen ist es «Täuschung», Lebensmittel trotz Zusätzen auf GVO-Basis als «gentechnikfrei» zu deklarieren. Der Bauernverband hat schon einmal einen Vorstoss für ein Label unternommen. Die Bundesverwaltung versenkte das Vorhaben 2014, nachdem es in der Vernehmlassung mehrheitlich abgelehnt worden war.

«Erfolgreiches Bauernlobbying»

Josianne Walpen von der SKS erklärt sich den erneuten Vorstoss mit dem «erfolgreichen Lobbying der Bauern». Sie kann das Anliegen nachvollziehen, findet aber, die Schweizer Bauern hätten es verpasst, «zu kommunizieren, dass sie auf gentechnisch veränderte Futterpflanzen verzichten».

Eine – korrekte – Kennzeichnung der Schweizer Erzeugnisse aus «Produktion ohne gentechnisch veränderte Futterpflanzen» war in der politischen Diskussion 2014 verworfen worden, da das zu schwer verständlich sei.

«Korrekt müsste es statt <Ohne Gentech> eher <Mit ein wenig Gentech> heissen.»

Jan Lucht, Scienceindustries

Statt eines irreführenden Labels «Ohne Gentech» fordern die SKS und die Branchenorganisation Bio Suisse das Gegenteil: Es müsse deklariert werden, wenn ein Produkt aus GVO produziert wurde. Laut Bauernverband stammt aber der grösste Teil der importierten Milchprodukte und des Fleisches von Tieren, die GVO gefressen haben. Zugleich gilt es als politisch nicht durchsetzbar, Importprodukte mit einem Hinweis auf ihre «Gentech-Zutaten» zu versehen.

Auch die Migros ist gegen die Deklaration «Ohne Gentech». «Die Konsumenten gehen hierzulande von einer gentechnikfreien Landwirtschaft aus, und die Detailhändler verkaufen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel.» Eine Selbstverständlichkeit zu deklarieren sei überflüssig und verwirrend. Coop dagegen steht einer Deklaration «Gentechfrei» grundsätzlich «positiv gegenüber». Es müsse aber klar ersichtlich sein, dass die Kennzeichnung ausschliesslich für die Rohstoffe gelte. Die «Eins-zu-eins-Übernahme einer Regelung aus einem Nachbarstaat» sei «nicht sinnvoll».

Deutsches Label ist verwirrend

Jan Lucht von Scienceindustries sagt, die Deklaration «Gentechfrei» sei wenig sinnvoll. Aus Marketinggründen nehme man es «mit der Wahrheit nicht so genau. Korrekt müsste es statt ‹Ohne Gentech› eher heissen: ‹Mit ein wenig Gentech›.» Das deutsche «Ohne Gentech»-Label habe Verwirrung gestiftet. Laut einer Studie fühlen sich die Konsumenten getäuscht, wenn sie erfahren, dass entsprechend gekennzeichnete Produkte doch von Gentechnik betroffen sind. In Deutschland steckt laut einem Fachportal bei 60 bis 80 Prozent der (Fertig-)Lebensmittel irgendwo in der Produktionskette Gentechnik drin. Etwa weil GVO-basierte Vitamine oder Enzyme direkt in Lebensmittel gemischt werden, nicht nur ins Tierfutter. Deklariert wird das nicht. In der Schweiz sind wohl die meisten Importprodukte von GVO betroffen, bei hiesigen Lebensmitteln ist der Anteil tiefer. Die Migros hat dazu keine Zahlen, Coop nimmt nicht Stellung.

Eine Ernährung ganz ohne Gentech ist daher auch in der «gentechfreien» Schweiz eine Illusion. Wer GVO-freie tierische Lebensmittel will, kauft Bio-Knospe-Produkte. Das Label verbietet GVO-basierte Zusatzstoffe im Tierfutter. Grundsätzlich ohne Gentech kommt hiesiges Gemüse aus. Zumindest bis jetzt.

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Quelle: Sascha Schuermann/Keystone