Dunkelblau gleissen die Solarpanels in der Sonne. Bis zu 18'000 Kilowattstunden könnte die Fotovoltaikanlage auf den Sägezahndächern der Firma Wandfluh in Frutigen BE im September produzieren. Damit liessen sich zum Beispiel 2,4 Millionen Toastscheiben rösten oder 126'000 Stunden fernsehen. 

Könnte. Liesse. Es fehlen die Wechselrichter. Sie machen aus der Sonnenenergie, die als Gleichstrom gewonnen wird, netzfähigen Wechselstrom. Ohne die zwei unscheinbaren Geräte – etwa so gross wie ein grosses Kopfkissen – ist die 240'000 Franken teure Anlage mit einem potenziellen Jahresertrag von 190'000 Kilowattstunden nutzlos. Dutzende Kabel enden heute im Nichts. Ob die Missing Links innert Wochen oder doch eher Monaten geliefert werden, weiss niemand.

«Allein für den September wird uns das 3'600 Franken kosten, weil wir den Strom kaufen müssen, statt ihn selber zu produzieren», sagt Matthias Wandfluh, Verwaltungsratspräsident des international tätigen Technologiekonzerns. Sollten die Wechselrichter bis Ende Jahr nicht eintreffen, dürften es gegen 15'000 Franken werden.

Geplant war, noch mehr Dachfläche für Solarenergie zu nutzen. Das Projekt ist vorläufig auf Eis gelegt. Trotzdem ist Matthias Wandfluh nach wie vor überzeugt von der Solarenergie. «Wir können so rund zehn Prozent des Eigenbedarfs decken und schonen zudem die Umwelt.» Amortisiert ist die Anlage in sieben bis acht Jahren. Sollte der Strompreis weiter steigen, sogar noch schneller.

Vertrösten gehört zum Geschäft

Wie Wandfluh geht es Tausenden von Schweizer Firmeninhabern und Privatpersonen, die der Umwelt, dem Gewissen und dem Portemonnaie zuliebe auf Sonnenstrom umsteigen wollen. Steigende Strom- und Gaspreise, die Inflation, Umweltsorgen oder gar Kriegsängste führen dazu, dass Solarenergie den grössten Hype erfährt, seit die Technik massenfähig ist. Die Angst vor einem Blackout, laut Fachleuten unbegründet, trägt ebenfalls dazu bei.

Die Nachfrage ist enorm: 2021 hat die verbaute Fläche an Solarpanels gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent zugenommen. Ein Trend, der sich dieses Jahr fortsetzt, weiss Ueli Grossen. Der Elektroingenieur ist Solarprojektleiter bei der Frutiger Allenbach Holzbau und Solartechnik AG, die seit 2009 auch Solaranlagen baut, etwa die von Wandfluh. «Wenn heute jemand anruft und eine Analyse oder gar Offerte möchte, muss ich aufs nächste Jahr vertrösten. Und das heisst nicht etwa Januar, sondern März oder April.»

Normalerweise schafft die Allenbach-Fotovoltaiktruppe rund 40 Anlagen im Jahr. Dieses Jahr wurden bereits 50 Projekte realisiert, «mit gleich vielen – oder besser: gleich wenig – Leuten», sagt Grossen. Das ganze Team sei am Anschlag.

Grübeln statt schlafen

Der Betrieb macht nicht nur Geschäfte mit Solaranlagen, sondern deckt seinen gesamten Stromverbrauch selber und betankt zudem 50 Prozent des Fuhrparks mit Solarenergie. Geplant sind 100 Prozent. Solarenergie müsse man ja nur ernten, sagt Grossen. «Das ist doch toll.»

Trotzdem zehrt der Job. Er gehe zwar immer noch jeden Morgen gern zur Arbeit, sagt der 51-Jährige. Manchmal habe er aber Mühe, abends einzuschlafen. «Dann gerate ich ins Grübeln, welche der vielen Probleme ich am nächsten Tag wohl lösen kann.»

Kaum ein Schweizer Solarvorhaben geht derzeit ohne Lieferprobleme über die Bühne. Es sei denn, die Bauteile wurden schon lange vorbestellt und sind bereits geliefert. Am schwierigsten zu bekommen sind die Wechselrichter. Sie werden zwar auch in Europa hergestellt, aber mit Bauteilen aus China. Und die sind derzeit schlicht nicht erhältlich. 

Aus dem Solarpäckli wurde nichts

«Wir haben keine Ahnung, wie lange dieser Engpass dauern wird. Auch die Gründe sind nicht wirklich durchschaubar», sagt David Stickelberger vom Fachverband Swissolar. Sicher ist, dass China eigene, gigantische Solarprojekte verfolgt und dafür riesige Mengen Wechselrichter benötigt. Und dass Corona die Transporte bremst. Manche vermuten, dass China die Verknappung absichtlich herbeiführt, um höhere Preise verlangen zu können. Doch das ist Spekulation.

«Eine Kundin drohte uns sogar mit rechtlichen Schritten, weil sie durch die Verzögerungen Amortisationszeit und Strom, also Geld, verliert»

Richi Mürner, Vorarbeiter Solar bei der Allenbach Holzbau und Solartechnik AG

Aber auch Solarpanels sind zeitweise Mangelware, zumindest jene, die im europäischen Raum hergestellt werden. «Wir wollten ein ganzes Solarpäckli schnüren», sagen Rolf und Ulla Klaeger, die ein Einfamilienhaus in Grindelwald BE besitzen. Mit der Solaranlage auf dem Dach sollte nicht nur der normale Stromverbrauch gedeckt, sondern auch das neue Elektroauto und später eine neue Wärmepumpe für die Heizung betrieben werden. Daraus wurde bis jetzt nichts.

«Uns war es wichtig, dass die nötigen Elemente in der Schweiz oder zumindest im EU-Raum produziert werden», sagen Klaegers. Die Wahl fiel darum auf den Schweizer Hersteller Meyer Burger, der seine Solarmodule in Deutschland fertigt. Anfang August musste die Firma allerdings ihre Produktionsziele um einen Drittel nach unten korrigieren. Der Grund: Komponenten aller Art fehlen, weitgehend aus China. Man warte aber nicht etwa auf Teile für die Solarpanels, sondern für die Produktionsstrassen, betont man bei Meyer Burger.

Das Ehepaar Klaeger wartet inzwischen seit über einem Jahr auf seine Solarmodule. 

Arbeitskräfte sind Mangelware

Richi Mürner ist bei der Allenbach Holzbau und Solartechnik AG als Vorarbeiter der Solartruppe der Chef am Bau. Er bekommt nicht nur den Komponenten-, sondern auch den Fachkräftemangel zu spüren. Mit seinen 60 Prozent – die anderen beiden Tage ist er Hausmann – hat er dieses Jahr schon 100 Überstunden angehäuft.

«Wir sind zu fünft im Team. Und weil wir niemanden im Backoffice haben, bearbeite ich auch noch die Korrespondenz mit den Lieferanten, mache die Materialbestellungen, frage nach, wo fehlende Module geblieben sind, reklamiere bei Falschlieferungen, schicke Retouren und erkläre der Kundschaft, wieso alles so lange dauert», sagt der 39-Jährige. Nicht alle Auftraggeber haben Verständnis. «Eine Kundin drohte uns sogar mit rechtlichen Schritten, weil sie durch die Verzögerungen Amortisationszeit und Strom, also Geld, verliert», so Mürner.

Solarinstallateure oder gar Projektleiter gibt es auf dem Arbeitsmarkt so gut wie nicht. Das ist ein hausgemachtes Problem: Zurzeit bietet der Fachverband Swissolar lediglich Zusatzausbildungen für Quereinsteiger an, für gelernte Dachdecker, Zimmerleute, Schreinerinnen, Elektriker. Die Einsteigerkurse stossen laut Geschäftsführer Stickelberger auf grosses Interesse. Weiterführende Angebote hingegen weniger: «Wer bereits im Solarbereich arbeitet, ist meist sehr stark eingespannt und hat nur beschränkt Zeit.» Man biete deshalb kurze Blöcke an, teils auch online.

Es gibt keine Lehre

Eine entsprechende Berufslehre existiert hierzulande bislang nicht. Die soll es erst ab 2024 geben. Laut David Stickelberger von Swissolar beschäftigt die Branche derzeit 8'500 Personen, 500 ausgebildete Fachkräfte fehlen. Für die Umsetzung der Energiewende bis 2050 werden mehrere Zehntausend Personen gebraucht, die Solarbau können. 

Doch selbst wenn alles Material bereitsteht und die Bautruppe am Start ist, kann es zu Verzögerungen kommen. Es gibt auch zu wenig Elektriker mit der nötigen Bewilligung. Nur sie dürfen die elektrischen Installationen vornehmen, können den Wechselrichter anschliessen. Ein weiterer Elektriker muss die Anlage zum Schluss noch abnehmen. Und selbst bei den Spenglern kann es zu Engpässen kommen.

«Müsste man angesichts der begrenzten Fachkräfte nicht Grossprojekte bevorzugen?»

Walter Sachs, Verband unabhängiger Energieerzeuger

Dann ist da noch die leidige Sache mit den Baubewilligungen. Die Gesetzgebung erlaubt viel Spielraum in der Auslegung. «Was in einer Gemeinde problemlos gutgeheissen wird, kann im Nachbardorf auch mal drei-, viermal zwischen Auftraggeber und dem zuständigen Sachbearbeiter hin- und hergeschoben werden», sagt Vorarbeiter Richi Mürner. Auch das kostet Geld und Nerven, bindet Zeit und Arbeitskraft. Vor allem bei Privatbauten, wo die Administration ohnehin schon rund die Hälfte der Bauzeit einnimmt.

Bei Grossprojekten bleibt der administrative Aufwand zwar ähnlich gross, sie bringen aber viel mehr Leistung. «Man könnte sich deshalb gesamt- und energiepolitisch fragen, ob man angesichts der begrenzten Fachkräfte nicht Grossprojekte bevorzugen müsste», sagt Walter Sachs vom VESE, dem Verband unabhängiger Energieerzeuger.

«Was? Schon so spät», sagt Mürner plötzlich. «Ich muss weg, das Kind aus der Krippe holen», sagt er und trabt los in Richtung Auto. 

Australien als Vorbild

Dass es auch anders geht, zeigt Australien seit über zehn Jahren. «Bewilligungen kann man dort als Fachbetrieb auf Knopfdruck per App einholen», weiss Florian Häberli, der mehrere Jahre in der dortigen Solarbranche gearbeitet hat. Auch er ist am Anschlag. Ein Treffen mit ihm ist nur am Wochenende möglich. Er projektiert Solaranlagen für einen der grossen Anbieter in der Schweiz. Und ärgert sich über ungenügende Softwarelösungen, über die föderalistische Bürokratie und deren uneinheitliche Prozesse. 

Ursprünglich war er im grafischen Gewerbe zu Hause, dann verschlug es ihn 2008 der Liebe wegen nach Australien. Dort begann er als Quereinsteiger im Solaranlagenbau. Er arbeitete in kleinen Teams von zwei bis sechs Leuten. «Wir bauten bis zu drei kleinere Anlagen pro Tag. Von der Bewilligung über die elektrische Inbetriebnahme bis zum Abnahmeprotokoll lief alles per Handy.» 

«Nicht nur die Bewilligungsabläufe sollten flächendeckend angepasst und vereinfacht werden. Auch die Rückspeisevergütungen müssten schweizweit gleich hoch sein, und zwar so, dass es sich lohnt, eine Fotovoltaikanlage aufs Dach zu bringen», sagt er. Nur so werde genug Anreiz geschaffen, dass auch Einzelne bei der dringend nötigen Energiewende mitziehen und das Potenzial der unzähligen geeigneten Dachflächen genutzt wird.

Ohne energiepolitische Eingriffe bleibt das Wunschdenken.

Geflüchtete treiben Energiewende voran

Viele Geflüchtete suchen Arbeit oder eine Ausbildung – die Solarwirtschaft benötigt dringend Arbeitskräfte. Seit 2019 bietet «Refugees go Solar+» Geflüchteten die Möglichkeit, sich als Quereinsteiger für den ersten Arbeitsmarkt in der Solarbranche zu qualifizieren. Das schweizweite Programm wird von der Non-Profit-Organisation Solafrica und dem Ausbildungsbetrieb Root and Branch angeboten. Unterstützt wird es vom Fachverband Swissolar, von EnergieSchweiz, vom Staatssekretariat für Migration und von zahlreichen Stiftungen.

«Die Voraussetzungen sind Schwindelfreiheit, der Wille und die Kraft, eine körperlich anstrengende Arbeit zu verrichten, und vor allem Motivation», sagt Programmleiterin Marieline Bader. Bislang haben mehr als 50 Personen, fast ausschliesslich Männer, die Ausbildung abgeschlossen und arbeiten jetzt in der Solarindustrie.

«80 Prozent der Teilnehmenden finden über Mundpropaganda zu uns. Die anderen werden direkt über das RAV oder einen Sozialdienst zugewiesen», sagt Bader. «Letztere übernehmen auch die Ausbildungskosten.»

Zur Ausbildung gehören auch Sprach- und andere Kurse, etwa zur Arbeitssicherheit, und der Lernfahrausweis Kategorie B. Den Einstieg in die Berufspraxis erreichen die Teilnehmenden über ein zweimonatiges Praktikum. 

https://solafrica.ch/projekte/refugees-go-solar/

https://www.rootandbranch.ch/refugees-go-solar

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