Schon als Kind war ich äusserst wissensdurstig. Wenn sich zwei Magnete abstiessen, ohne dass man die Kräfte dahinter sehen konnte, war das für mich wie Magie. Ich wollte solche Phänomene aber nicht nur bewundern und akzeptieren, sondern vor allem verstehen. Deshalb begeisterte ich mich früh für Physik.

Und ja, natürlich werde ich ständig gefragt, ob ich mit Werner Heisenberg verwandt sei, dem Vater der Quantenmechanik und Nobelpreisträger für Physik. Ich antworte jeweils: Mein Stammbaum gibt da keine eindeutige Antwort, das ist etwas unscharf.

Neben der Liebe zur Physik träumte ich schon immer davon, Astronautin zu werden. Der Himmel und das Universum faszinierten mich – sie waren die Konstanten während meiner ruhelosen Kindheit. Denn ich wuchs in verschiedenen Ländern auf, da mein Vater für eine internationale Firma tätig war. Daher spreche ich heute acht Sprachen, sechs davon fliessend.

Schon in der Schule eine Exotin

Als Kind konnte ich von zu Hause wenig Unterstützung erwarten. Ich musste mich früh selber durchschlagen. Trotzdem war ich meist Klassenbeste. Viele Mitschüler hielten mich deshalb für eine Exotin. Später, während des Studiums, liessen mich manche Professoren und Kollegen spüren, dass Physik nichts für Frauen sei. 

Sie hatten unrecht. Heute, mit erst 34, arbeite ich als Fellow am Institut für Theoretische Studien der ETH Zürich. Und im März wird mir der Gustav-Hertz-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft verliehen. Die renommierte Auszeichnung geht erst zum zweiten Mal an eine Frau. Diese Anerkennung tut gut, gerade weil ich in der Wissenschaft viel Kritik einstecken und mich stets von neuem beweisen muss.

Ich forsche vor allem im Bereich Kosmologie, also an physikalischen Modellen zur Beschreibung des Kosmos. Mein Fokus liegt auf der Gravitation, einer der vier Grundkräfte in der Physik. Einsteins berühmte Relativitätstheorie ist nach wie vor die beste Beschreibung für Gravitationskräfte. Aber sie ist nicht komplett. Auf kleinen Skalen, beispielsweise im atomaren Bereich, wissen wir nicht, wie wir seine Theorie mit der Quantenmechanik vereinbaren sollen. 

Und auf grossen Skalen, zum Beispiel wenn wir die Ausdehnung des Universums oder das Verhalten von Galaxien erklären wollen, ist sie unvollständig. Deshalb müssen wir sehr seltsame Annahmen treffen, damit Theorie und Beobachtungen übereinstimmen. Zum Beispiel, dass 95 Prozent des Universums aus dunkler Materie und dunkler Energie bestehen. Beides konnte die Wissenschaft bis heute nicht direkt nachweisen.

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Ich will Einsteins Theorie mit meiner Forschung so modifizieren, dass keine exotischen Materien und Energien mehr erforderlich sind, um Gravitation und die Entstehung des Universums zu erklären. 

Mein wichtigstes Werkzeug für die Entwicklung neuer Theorien ist die Mathematik. Meistens brauche ich dazu nur Bleistift und Schreibblock, gelegentlich auch spezialisierte Software. Manchmal rechne ich wochenlang, nur um am Ende herauszufinden, dass meine ursprüngliche Idee doch nicht taugt.

Hoffen auf eine letzte Chance

Meinem Kindheitstraum, Astronautin zu werden, bin ich bis heute treu geblieben. Schliesslich befasse ich mich seit Jahren mit der Schwerkraft, da möchte ich die Schwerelosigkeit unbedingt einmal erleben. 

Ich bereite mich deshalb aktiv auf eine nächste Ausschreibung der Europäischen Weltraumorganisation vor. Die letzte Rekrutierung von Astronauten fand vor neun Jahren statt. Damals fehlte mir leider noch der Studienabschluss. Nun hoffe ich, dass in den nächsten vier Jahren nochmals eine Ausschreibung erfolgt; danach wäre ich wohl bereits zu alt. 

Um meine Chancen zu verbessern, habe ich Tauchen und Russisch gelernt. Bald möchte ich zusätzlich die Prüfung für eine private Pilotenlizenz machen. Dafür muss ich aber zuerst genug Geld verdienen und etwas längerfristig planen können.

In den vergangenen vier Jahren war ich dauernd unterwegs und habe für Forschungsaufenthalte in zehn verschiedenen Ländern gelebt. Allein im letzten Jahr war ich fast die Hälfte der Zeit für Präsentationen auf internationalen Konferenzen. Das ist zwar gut für die Karriere, erfordert aber auch viele Opfer: Ich musste Beziehungen abbrechen und wieder neu aufbauen, habe bisher auf eine eigene Familie verzichtet und arbeite oft bis tief in die Nacht. 

Und doch ist der Wunsch, mein Leben lang als Physikerin arbeiten zu dürfen, grösser als alles andere. Um diesen Traum zu verwirklichen, bewerbe ich mich derzeit auf der ganzen Welt für eine erste eigene Professur. Am liebsten möchte ich allerdings in Zürich bleiben und endlich ein bisschen sesshafter werden.

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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