Passend zur Jahreszeit warnte Bundesrat Guy Parmelin Ende September: Schon in wenigen Jahren könne es der Wirtschaft im Winter an Strom fehlen. Sie sollte sich besser darauf vorbereiten. In Umweltkreisen hat der Brief Kopfschütteln ausgelöst. «Das ist reine Angstmacherei», sagt Kurt Egger, Nationalrat der Grünen. «Man muss handeln, aber diese Ängste sind übertrieben.»

Eigentlich verfügt die Schweiz über genug Strom. Die Werke produzieren im Jahresverlauf sogar mehr, als verbraucht wird. Das Problem ist der Winter, wenn die Flusskraftwerke weniger Strom liefern. Bisher half man sich mit Importen aus. Dafür hat die Schweiz mit der EU ein Stromabkommen abgeschlossen. Es läuft aber 2025 aus. Dann will die EU weniger exportieren. Deshalb der Brief aus dem Bundeshaus.

Genügend Vorrat

Vergessen ging, dass die Schweiz mit ihren Stauseen und Pumpspeicherwerken eine sichere Reserve hat. «Wenn die Stauseen ganz gefüllt sind, könnte man theoretisch während mehr als drei Monaten auf Importe verzichten», so Jürg Rohrer, Professor für erneuerbare Energien an der ZHAW. Der Stauseestrom würde nicht den ganzen Winter reichen, aber man müsste weniger importieren.

Allerdings werden die Stauseen heute in erster Linie zum Geldmachen genutzt. Der Strom wird im internationalen Handel nach rein finanziellen Kriterien verkauft. Das führte bereits früher zu Engpässen. Als die Stauseen Anfang Winter 2015/2016 bedenklich leer waren, musste die Aufsichtsbehörde bei Axpo und Co. einschreiten.

Die Stromkonzerne gehören zwar der öffentlichen Hand. Man könne ihnen aber keinen Vorwurf machen, sagt Energieexperte Rohrer. «Sie haben nicht den Auftrag, für Versorgungssicherheit zu sorgen, sondern Geld zu verdienen.» Die Stromproduktion dürfe nicht komplett abhängig vom Ausland sein, und die Firmen müssten verpflichtet werden, die Versorgung im Inland zu garantieren. Dafür müssten sie finanziell entschädigt werden.

Ausbaupläne

Für Grünen-Politiker Egger ist das eine «kostengünstige Massnahme, die man sofort umsetzen kann, ohne dass neue Bauten notwendig sind». FDP-Ständerat Damian Müller sieht das kritischer. Die Wasserkraftwerke seien «klar für den europäischen Handel ausgerichtet». Wichtiger sei deshalb, «den Anschluss ans europäische Stromnetz zu verbessern».

Um die Eigenversorgung zu stärken, fordert der Bundesrat, dass im Winter Stromreserven angelegt werden und die Produktion ausgebaut wird. Die Branche scheint nicht abgeneigt. Die Wasserkraft sei besonders gegen Ende des Winters zentral, schreibt der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen auf Anfrage. Es sei richtig, «dass man Reserven vorhält».

Längerfristig kommt die Schweiz nicht darum herum, die Stromproduktion auszubauen, wenn sie die AKW abstellen will. Aber auf kurze Sicht scheint die Angst übertrieben. Dass die Nachbarländer die Schweiz hängen lassen, bezweifelt Rohrer. Das Stromnetz sei so stark vernetzt, dass die Folgen eines Mangels in der Schweiz auch sie treffen würden. Das sei nicht in ihrem Interesse. Zudem: Wenn man den Stromverbrauch drosseln und die vielen Elektroheizungen ersetzen würde, liessen sich zwei Terawattstunden sparen – so viel, wie alle Schweizer AKW in einem Monat produzieren.

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