Zwei Jahre lang musste die Eventbranche untendurch. Die Coronawellen schluckten Konzert um Konzert. Die Furcht vor explodierenden Fallzahlen verhinderte Festivals und Firmenfeste. Doch jetzt feiern Schweizer Künstlerinnen und Veranstalter ihr grosses Comeback – und mit ihnen Tausende Caterer, Bühnenbauerinnen, Tontechniker, Sicherheitsleute und Platzanweiser.

«In der Schweiz gibts dieses Jahr so viele Events wie noch nie», sagt André Béchir. Der 73-Jährige muss es wissen: Er hat Stars wie die Rolling Stones, Madonna, Bruce Springsteen und Bob Dylan in die Schweiz geholt und gilt als Ikone der hiesigen Eventindustrie.

Der Nachholbedarf sei enorm, so Béchir. Nicht nur bei Konzerten, sondern auch bei Musikfestivals und anderen Anlässen: «Jeder Schwingfest-Organisator freut sich, dass sein Fest nun endlich wieder stattfinden kann.»

Die Branche ist zuversichtlich. Vor wenigen Monaten noch war ihr Terminkalender halb leer, jetzt ist er randvoll. Doch das bringt auch Probleme mit sich. «Es gibt ein massives Überangebot», sagt Stefan Matthey. Der Chef der Good News Productions AG geht deshalb davon aus, dass viele Veranstalter auf Tickets sitzenbleiben werden.

Good News veranstaltete kürzlich das Ärzte-Konzert in Thun, Mitte Juli folgen Die Toten Hosen im Zürcher Letzigrund. «Grosse Namen ziehen immer», sagt Matthey. Bei mittleren und kleinen Konzerten sehe es aber teils anders aus. «Da findet sich oft nicht das gewünschte Publikum.»

Es fehlt an Personal und Material

Von den schleppenden Ticketverkäufen nicht betroffen ist die riesige Zuliefer- und Dienstleistungsindustrie, die hinter den Grossanlässen steckt. Eine Bühne, funktionierende Licht- und Tontechnik sowie Service- und Sicherheitsleute braucht eine Veranstaltung auch dann, wenn nur 50 Prozent der Tickets verkauft werden.

«Auf längere Sicht sind Veranstalter und Zulieferer aber natürlich aufeinander angewiesen», sagt Christoph Kamber. Er ist Präsident des Branchenverbands Expo Event, der rund 180 Unternehmen vertritt, darunter Konzert- und Theaterveranstalter, Bühnenbautechniker und Caterer.

Das drängendste Problem der Branche sei der akute Personal- und Materialmangel. Kamber: «Rund ein Viertel der Mitarbeitenden, die früher in der Eventbranche tätig waren, haben sich während der Pandemie umorientiert. Angesichts des riesigen Nachholbedarfs fehlen diese Leute nun doppelt.»
Ob Videotechnikerin, Toningenieur, Standbauerin oder Küchenchef – überall fehlen Fachkräfte. Selbst für einfachere Aufgaben als Platzanweiser oder im Service ist der Markt komplett ausgetrocknet.

«Bis vor einigen Monaten durften wir gar nicht arbeiten, und jetzt werden wir mit Anfragen überrannt.»

Nicolai Squarra, Chef von JED Event-Firma, in ihrer Halle in Schlieren

Eventmanager Nicolai Squarra

Quelle: Nik Hunger

Nicolai Squarra kennt diese Probleme aus erster Hand. Zusammen mit seiner Frau und zwei Geschäftspartnern hat er mitten in der Pandemie, im Herbst 2020, die Event- und Kongresslocation JED Events gegründet und aus der alten «NZZ»-Druckerei in Schlieren einen grossen Veranstaltungsort gemacht. Im September 2021 übernahm er dann auch noch eine etablierte Eventcatering-Firma. Als der Beobachter zu Besuch kommt, sagt Jungunternehmer Squarra: «Es ist verrückt – bis vor einigen Monaten durften wir gar nicht arbeiten, und jetzt werden wir mit Anfragen überrannt.»

Die Löhne steigen

Die Nachfrage ist so gross, dass das Jungunternehmen schon mehrere Aufträge ablehnen musste. «Vor allem bei kurzfristigen Anfragen für Anlässe in diesem Sommer finden wir schlicht nicht genug Leute, um Events auf dem gewünschten Qualitätsniveau durchzuführen.»

Wie gross die Not ist, zeigt ein Blick auf Stellen, die das Unternehmen ausgeschrieben hat: Aktuell beschäftigt JED Events 22 Personen – sucht aber acht zusätzliche Festangestellte. Besonders viel Personal fehle in der Küche, wo der Kampf um gut ausgebildete Leute teilweise absurde Formen annehme, erzählt Squarra. «Kürzlich wurde mir von einem Mitbewerber zugetragen, dass ihm ein Chef de Partie für einen Monatslohn von 7200 Franken abgeworben worden war. Für diese Position bekam man bisher zwischen 4000 und 5000 Franken.»

Laut Christoph Kamber von Expo Event dürfte das Lohnniveau in der ganzen Branche steigen, insbesondere bei den sehr gesuchten temporären Mitarbeitenden. «Der Pool von Freelancern ist begrenzt. Die Temporären sind daher am längeren Hebel, wenn es um die Bezahlung geht.» Für Kamber ist aber auch klar, dass es in der Eventbranche nie allein ums Geld gehen kann. «Wer in unserer Branche langfristig bestehen will, muss auch das nötige Herzblut mitbringen.»

Dank Herzblut, Geduld und finanzieller Unterstützung des Bundes hat die Veranstaltungsindustrie die Pandemie durchgestanden. Vergessen ist Covid-19 aber noch lange nicht. In den Gesprächen mit Branchenvertretern fällt immer wieder der Satz: «Wer weiss, was im Herbst kommt.» 

Dass das Virus nicht aus der Welt ist, musste jetzt auch André Béchir erfahren. Die Rolling Stones, die er zum 15. Mal in die Schweiz geholt hatte, wollten im Berner Wankdorf-Stadion ihr 60-jähriges Bestehen feiern. Covid-19 hatte etwas dagegen: Mick Jagger wurde positiv getestet, das Konzert musste abgesagt werden. So richtig zur Ruhe kommt die Partyindustrie nicht.
 

  • Anmerkung der Redaktion:
    Kleiner Trost für Schweizer Rolling-Stones-Fans: Am 3. August 2022 wird die Band ein Zusatzkonzert in Berlin geben. Wer ein Ticket der abgesagten Show im Berner Wankdorf besitzt, erhält ein Ticket-Vorkaufsrecht für das Konzert in Berlin. mehr Infos
Der Beobachter-Newsletter – wissen, was wichtig ist.

Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.

Jeden Mittwoch und Sonntag in Ihrer Mailbox.

Jetzt gratis abonnieren