«Merci» gehört in der Schweiz zum täglichen Sprachgebrauch. Doch wenn das Wort im kommerziellen Rahmen verwendet wird, ist eine Firma nicht weit: Die Berliner August Storck KG – Herstellerin des Schokoladenprodukts «Merci».

Diese Erfahrung musste die Häberli Fruchtpflanzen AG im thurgauischen Egnach machen. Im April 2014 flatterte ein Brief von Storck ins Haus von Inhaber Urs Rutishauser. Der Inhalt: Rutishausers neue Erdbeersorte Erdbeeren Süsse Vitaminbomben «Merci» verletze die Markenrechte von Storck. «Das Schreiben kam für mich völlig überraschend», erinnert sich Rutishauser. Er habe natürlich abgeklärt, ob seine «Wort-Bild-Marke» – das Wort «Merci» mit einer Erdbeere im M – in der Kategorie «Pflanzen und Früchte» noch nicht vergeben sei. Dass aber jemand Erdbeeren mit Schokolade vergleichen könnte – darauf wäre er nicht gekommen.

Streit um Markenrecht

Anders die August Storck KG. Für sie ist klar: Man könne nicht zulassen, dass der Schutzbereich der eigenen Marke «durch die Duldung anderer, zumindest potenziell problematischer Marken eingeengt» werde. Dass es sich bei der Thurgauer Erdbeere um eine solche handle, begründet Storck auf Anfrage des Beobachters mit ihrem Schokoladenriegel, der mit einer Erdbeercrème gefüllt ist.  Zudem sei bei der Namensgebung der Erdbeersorte offenbar der Gedanke des Dankesgeschenks im Zentrum gestanden – wie beim Schokoriegel.

Die Argumentation überzeugte Rutishauser nicht. Er entschloss sich, den Megakonzern – mit über 6000 Angestellten und einem Umsatz von 2.5 Milliarden Euro unter den grössten zehn Süsswarenherstellern der Welt – vor Gericht zu bekämpfen Hohe Prozesskosten Der Gang vor Gericht wird unbezahlbar . Es folgt eine Odyssee durch die Schweizer Justiz. Ein Gericht nach dem anderen gibt Rutishauser Recht. Erdbeerpflanzen, so der Tenor der Urteile, seien nicht mit Schokoladenriegeln zu vergleichen. Doch Storck zieht den Fall immer weiter, bis er im Dezember 2018 vor dem Bundesgericht landet. Dann endlich die erlösende Nachricht: Das «Vorliegen einer Verwechslungsgefahr» sei «ausgeschlossen», urteilt das oberste Gericht.

KMU gegen internationalen Konzern

Bei Urs Rutishauser und seiner Häberli Fruchtpflanzen AG hat der Kampf dennoch Spuren hinterlassen. «Während des Verfahrens haben wir auf aktive Verkaufsförderungsmassnahmen für diese Erdbeere und somit auf ein mögliches Umsatzwachstum verzichtet», sagt Rutishauser und fügt an: «Die langwierigen Verhandlungen haben beachtliche Ressourcen gebunden, die wir gerne anderweitig eingesetzt hätten. Für ein KMU unserer Grösse ist ein solcher Rechtstreit mit einem internationalen Unternehmen, das über spezialisierte Abteilungen verfügt, ein echter Kraftakt.» Deshalb beantwortet er die Frage, ob er einen anderen Namen gewählt hätte, wenn er um die Folgen gewusst hätte, auch klar mit: «Ja – obwohl wir schlussendlich Recht bekommen haben.»

Boykottaufrufe gegen Storck

Für Storck ist die Klage keine Neuheit. Von 2011 bis 2015 stritt sich das Grossunternehmen mit einem Familienbetrieb aus Bad Soden nahe Frankfurt. Damals ging es um ein Café namens «Merci». Auch in diesem Fall gaben die Gerichte den Angegriffenen wiederholt Recht. Doch anders als im Schweizer Fall hatte die Justiz irgendwann genug von den ständigen Neuverhandlungen und drängte die beiden Parteien zu einer Einigung. Das Resultat: Angesichts der Aussicht auf weitere jahrelange Rechtsstreitigkeiten gab das «Café Merci» klein bei. Die Reaktion der Öffentlichkeit war, wohl auch für Storck, überraschend heftig. Boykottaufrufe gegen den Süsswarenriesen wurden laut. Kurz darauf verkündete Storck: Man habe sich jetzt doch entschieden, dem Café seinen Namen zu lassen.

«Das öffentliche Interesse hatte unsere Gesprächs- und Einigungsbereitschaft nicht beeinflusst», meint dazu Storck-Sprecher Bernd Rössler. Auch das aktuelle Urteil werde keinen Einfluss auf die eigene Klagepraktik haben. Man werde auch in Zukunft jeden Fall prüfen und bei Bedarf die Gerichte bemühen. «Dafür sind diese Stellen in einem Rechtsstaat da», findet Rössler. Auf die Frage, ob mit den langwierigen Verfahren weitere Kleinunternehmen von der Verwendung des Wortes «Merci» abgeschreckt werden sollen, geht er nicht ein.

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