Die ZAV Recycling in Hinwil ZH macht «aus Güsel Gold», hiess es in den Medien. Aus Schlacke, die beim Verbrennen von Abfall entsteht, werden wertvolles Eisen, Kupfer und Edelmetalle herausgefiltert – wie es das Gesetz heute vorschreibt.

Das Verfahren ist nach einhelliger Meinung sinnvoll. Es wurde gänzlich neu entwickelt. Fachleute und das Bundesamt für Umwelt waren voll des Lobs, die Medien berichteten euphorisch.

Eine «Horrorbilanz»

Schon der Bau der Pionieranlage war ein finanzielles Desaster. Er begann 2013 auf Initiative des Kantons Zürich. Die Anlage kam zwei- bis dreimal so teuer zu stehen als geplant. Ein Buchhalter, der die Geschäftszahlen für den Beobachter studiert hat, sagt, die ZAV Recycling habe eine «Horrorbilanz».

Um die Bilanz wieder ins Lot zu bringen, will die kantonale Baudirektion nachhelfen. Sie will sicherstellen, dass die Anlage in Zukunft gut ausgelastet ist. Ende Mai hat sie deshalb die Betreiber der Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) von Dietikon und Winterthur aufgefordert, in Zukunft ihre Schlacke nach Hinwil zu liefern. Wenn sie es nicht freiwillig tun, will die Baudirektion das «verfügen».

Happige Mehrkosten

Der Brief hat für rote Köpfe gesorgt. In Winterthur rechnen die Verantwortlichen mit Mehrkosten von 10 bis 20 Millionen Franken, in Dietikon mit 5 bis 10 Millionen.

Das liegt am neu entwickelten Hinwiler Verfahren: Dort wird nur trockene Schlacke verarbeitet. Heute werden in den KVA die Verbrennungsrückstände aber standardmässig gewässert, etwa wegen der Brandgefahr. Wenn die KVA nun plötzlich trockene Schlacke liefern sollen, müssen sie ihre Anlagen aufwendig umrüsten.
 

Die ZAV Recycling in Hinwil ist derzeit nur zur Hälfte ausgelastet.


Der Alleingang mit dem Trockenverfahren sorgt zunehmend für Kritik, auch weil er bei den KVA für zusätzliche Kosten sorgt. «Der Kanton macht oft keine oder eine ungenügende ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung bei seiner Umweltpolitik», sagt Patrik Feusi. Er ist Geschäftsführer des Regiowerks Limeco, das die Dietiker KVA betreibt. Zürich habe stets strengere Umweltvorschriften als andere Kantone. Die Limeco sei darum im Markt benachteiligt. Die nun drohenden «Zwangsinvestitionen» könnten dazu führen, dass man die Sackgebühren erhöhen müsse.

Feusi bezweifelt, dass das Trockenverfahren besser ist. Er will genau prüfen, ob die Limeco ihre Schlacke wirklich nach Hinwil liefern muss. «Wir sind mit dem Kanton im Gespräch und glauben, dass eine Verfügung der Baudirektion auf dem Rechtsweg anfechtbar ist.» Der Verband schweizerischer Abfallverwerter schätzt die Lage ähnlich ein.

Widerstand aus Winterthur

Die Stadt Winterthur will sich nicht offiziell äussern – doch auch von dort erwartet man in der Branche viel Widerstand gegen die Baudirektion.

Der Vorwurf der KVA, die im Besitz der Gemeinden sind: Der Kanton wolle sie zu massiven Mehrausgaben verknurren, damit er «seine» viel zu teure Anlage refinanzieren kann.

Falls sich Dietikon und Winterthur weigern, hat der Kanton ein Problem. Denn die Hinwiler Anlage ist derzeit nur zur Hälfte ausgelastet. Um die hohen Fixkosten zu decken, muss deshalb auf Teufel komm raus mehr Schlacke her. Von ausserhalb des Kantons wird sie kaum kommen. Denn es werde kaum eine KVA freiwillig auf das Trockenverfahren umstellen, sagen Experten.
 

50 Millionen Franken dürfte das Projekt ZAV Recycling die Zürcher Bevölkerung kosten.


Ein Scheitern der ZAV Recycling verursache einen «grossen volkswirtschaftlichen Schaden», befürchtet die Baudirektion. Noch grösser wäre wohl der politische Scherbenhaufen.

Hohe Verschuldung trotz Gewinn im 2017

Die ZAV Recycling gehört zu gleichen Teilen den Abfallverbänden des Zürcher Oberlands, der Bezirke Dietikon und Horgen sowie der Stadt Zürich. Nach finanziellen Turbulenzen im Vorjahr resultierte 2017 ein Gewinn von gut 800'000 Franken. Die Firma verfüge über solide Liquidität, sagt Geschäftsführer René Müller: «Die Anlage wird voraussichtlich ab 2025 voll ausgebaut sein. Die Finanzierung wird aus heutiger Sicht kein Problem darstellen.»

Doch die ZAV Recycling ist massiv unterkapitalisiert, die Aktionäre müssen dringend neues Geld einschiessen. Die Verschuldung ist extrem, darunter ein 40-Millionen-Kredit der UBS. Wenn die ZAV Recycling in Konkurs ginge, müsste die UBS wohl die 40 Millionen abschreiben. Externe Finanzspezialisten fragen sich, ob die Bank den Kredit gab, ohne Sicherheiten einzufordern. Tatsächlich gibt es laut Geschäftsführer Müller keine Bürgschaft für den Kredit.

In der Stadt Zürich, die einen Viertel der Anteile hält, gibt die Oberländer Firma zu reden. Die Informationslage sei «mehr als lamentabel», kritisierte Gemeinderat Andreas Kirstein von der Alternativen Liste (AL). «Alles wurde als hoch geheim eingestuft», obwohl es sich um eine Aktiengesellschaft der öffentlichen Hand handle.

Kompetenzen überschritten

In diese Beurteilung spielen die «Irrungen und Wirrungen» um Urs Pauli mit hinein. Der Ex-Direktor von Entsorgung und Recycling Zürich, 2017 nach Verfehlungen fristlos entlassen, war auch Verwaltungsratspräsident der ZAV Recycling. Der zuständige Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger sagte sinngemäss, Pauli habe bei einer «Bankgarantie» respektive einer «Kapitalerhöhung» der ZAV Recycling seine Kompetenzen überschritten. Was genau passierte, ist bis heute unklar. Leutenegger hat inzwischen das Departement gewechselt.

Beim Entsorgungsamt nimmt man gegenüber dem Beobachter wegen «der laufenden Administrativ- und Strafuntersuchung keine Stellung». Die Staatsanwaltschaft bestätigt nur, gegen Pauli werde «umfassend ermittelt».

Weitere «Baustellen»

Zu Paulis Erbe gehört auch der Umbau der KVA Hagenholz. Die Stadt investierte dort 2016 rund 40 Millionen Franken, um die Anlage auf Trockenschlacke umzurüsten. Vor der Volksabstimmung 2015 argumentierte der Stadtrat nicht nur mit ökologischem Nutzen, sondern auch mit tieferen Entsorgungskosten. Damit lag er falsch. Der Businessplan war viel zu optimistisch, heute ist der Entsorgungspreis für die Schlacke mehr als doppelt so hoch wie damals behauptet. «Man hat die Stimmbürger hinters Licht geführt», sagt AL-Gemeinderat Walter Angst.

Insgesamt dürften im Kanton Zürich über 100 Millionen Franken ins Trockenschlacken-Recycling investiert werden, 50 Millionen davon aus öffentlichen Mitteln. Die Baudirektion verteidigt diese Investitionen damit, dass man im Vergleich zum Nassverfahren mit höheren Erträgen und tieferen Deponiekosten rechnen könne. Zudem könne man mit dem Trockenverfahren mehr und qualitativ bessere Metalle zurückgewinnen. Es sei «selbst bei Einbezug der Mehrkosten für den Bau und Betrieb von Pionieranlagen sehr ökoeffizient und ökoeffektiv».

Eine Pro und Kontra-Diskussion würde guttun

Kritiker fordern mehr Transparenz, damit man Vor- und Nachteile der beiden Verfahren wirklich vergleichen kann. Sie verweisen auf einen privaten Anbieter, der mit Nassschlacke – amtlich bestätigt – gute Recyclingquoten erreiche. Ein unabhängiger Experte meint: «Das Trockenverfahren erreicht eine höhere Metallausbeute, ist aber deutlich teurer. Möglicherweise lohnt sich das mit Blick auf die Ökoeffizienz.»

Laut einem Branchenkenner ist es offensichtlich, dass bei der ZAV Recycling Geld keine Rolle spiele, da die öffentliche Hand hinter der Firma stehe: «Diese Anlage ist ‹too big to fail›.»

Dieser Artikel entstand aufgrund von Hinweisen auf unser Whistleblower-Plattform sichermelden.ch

Update vom 19. Dezember 2018:

Zürcher Abfallzoff spitzt sich zu

Das Zürcher Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) sorgt erneut für Ärger: Es stellt neue Forderungen, nun droht das Schiedsverfahren zu platzen.

Damit beauftragt ist der Abfallforscher Rainer Bunge von der Hochschule Rapperswil, der sei Jahren das Metallrecycling aus Kehrichtschlacke wissenschaftlich untersucht. Er will damit endlich Klarheit schaffen, welches Verfahren ergiebiger ist: das Recycling aus trockener oder nasser Schlacke. Die ZAV Recycling aus Hinwil, die der öffentlichen Hand gehört, betreibt eine Anlage, die trockene Schlacke verarbeitet. Ein privater Konkurrent setzt dagegen auf Nassschlacke. Drei Zürcher KVA beliefern die ZAV, zwei den Konkurrenten. 

Gespannt wartete man auf die Ergebnisse von Bunges Vergleichsanalyse. Doch kurz vor der entscheidenden Phase brüskierte das Amt nun die Projektverantwortlichen, wie interne Dokumente zeigen. Aus deren Sicht stellte es unerfüllbare Forderungen, entzog Bunge das Vertrauen und signalisierte, dass es das Trockenverfahren sowieso für überlegen hält. Man werde deshalb das Projekt beenden, schrieb Bunge dem Amt. Bunge wollte keine Stellung nehmen.

Das Awel sagt auf Anfrage, das Projekt sei nur «sistiert», es fehlten wichtige Daten über das Nassverfahren. Man wolle Bunge auch nicht absetzen. Ältere Studien zeigten aber, dass das Trockenrecycling ergiebiger sei. Eine überraschende Aussage, da Bunges Analyse diese Frage ja erst klären sollte. Das hinterlässt Fragen. Das Awel steht im Kantonsrat bereits unter Druck, nachdem dort mit Bezug zur Beobachter-Berichterstattung kritische Fragen gestellt wurden.

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Dani Benz, Ressortleiter
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