Umweltschutz: Schwellenangst im Garten
Eine brandneue Stützmauer muss abgerissen werden, weil die verwendeten Bahnschwellen mit Gift imprägniert sind. Ein Streit um einen veralteten Baustoff.
Veröffentlicht am 21. Januar 2003 - 00:00 Uhr
Seit Rudolf Schmids Eingreifen ist das freundnachbarliche Dorfleben von Oberhofen am Thunersee vergiftet. Der Obmann der regionalen Naturschutzaufseher hat nämlich mit einiger Hartnäckigkeit etwas erwirkt, was nirgendwo gern gesehen wird: dass ein neues Bauwerk gleich wieder verschwinden muss.
Konkret geht es um eine Stützmauer in einem Privatgarten, die in gestaffelter Bauweise eine Gesamthöhe von sieben Metern erreicht. Doch nicht die Ästhetik hat Schmid zur Intervention bei Polizei und Behörden bewogen, sondern das verwendete Baumaterial: «Es ist schädlich für Mensch und Umwelt. Also muss es weg.»
Gemeint sind gebrauchte Eisenbahnschwellen aus Holz, die gegen Verrottung mit Teeröl imprägniert wurden. Dieses besteht grösstenteils aus polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen – eine giftige Substanz, die bei Hautkontakt krebserregend wirkt und auch von Pflanzen aufgenommen werden kann. Seit Oktober 2001 ist deshalb in der Schweiz die Abgabe von alten Bahnschwellen für Bauten im Wohngebiet verboten.
Es soll ein Exempel her
Die Lieferung der über 200 Balken für den Oberhofner Stufenbau datiert vom Februar 2002 und ist somit klar illegal. Rudolf Schmid nimmt an, dass dies kein Einzelfall sei – zu viele von den schadstoffbelasteten Schwellen, von denen die Bahnen jedes Jahr 200000 Stück aus dem Verkehr ziehen, seien noch im Umlauf. Damit die neue Rechtslage auf breiter Ebene Beachtung findet, will der Naturschützer mit dem «Fall Oberhofen» ein Exempel statuieren. Eine Strafanzeige wegen Verletzung des Baugesetzes wurde bereits eingereicht.
Dass dieser Präzedenzfall so genau durchleuchtet wird, kommt Jürg Haueter, dem Bauverwalter der Gemeinde, nicht gelegen. Verständlich: Die zuständige lokale Behörde glänzte allzu lange durch Wegschauen. Ums widerrechtliche Bauprojekt kümmerte sie sich erst im letzten Sommer, als die hölzerne Trutzburg längst stand. Aufgrund einer falschen Interpretation der Vorschriften sei das Vorhaben ohne Bewilligung erstellt worden, räumt Haueter ein. Als daraufhin das Kantonale Laboratorium Bern die nicht zulässige Materialwahl rügte, blieb ihm nur noch, die Entfernung der Stützmauer zu verfügen. Die Schuld fürs Fiasko ortet der Bauverwalter trotz den Pannen im eigenen Haus anderswo: «Wer verkauft denn noch solche Schwellen?»
Die Platten-Vertriebs AG im schwyzerischen Altendorf sicher nicht mehr: Die fatale Lieferung an den Thunersee vom letzten Frühjahr war dem Handelsbetrieb für Werkstoffe eine Lehre. Dabei dürfen die mit Teeröl imprägnierten Schwellen bis 2005 weiterhin abgegeben werden – jedoch nur für Bauten ausserhalb des Siedlungsraums. Von einem solchen Verwendungszweck sei er auch ausgegangen, sagt der Verkaufsleiter Daniel Schweizer: «Die Verantwortung dafür liegt beim Kunden.» Und bei einem Gartenbauunternehmer dürfe er doch wohl annehmen, dass dieser wisse, was erlaubt sei und was nicht.
Damit geht der schwarze Peter zurück ins Berner Oberland. Gezogen hat ihn Hansjürg Baumann, der in Hilterfingen eine Gartenbaufirma betreibt und das Oberhofner Projekt durchführte. Doch auch er kontert: Die Platten-Vertriebs AG habe ihm ein Merkblatt der SBB ausgehändigt, auf dem als «sinnvolle Weiterverwendung» der Schwellen ausdrücklich «Geländeverstärkungen in Gartenanlagen» empfohlen würden. Deshalb sei er davon ausgegangen, alles sei rechtmässig. Einen solchen Vermerk gibt es tatsächlich – bloss stammt das fragliche Formular aus der Zeit vor Inkrafttreten der neuen Regelung. Für Baumann ist dies ein Indiz dafür, dass «ein völliges Informationschaos» herrsche.
Sonderabfall nach Schweden
Dies lässt Anna Wälty vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft nicht gelten. Man habe die Änderungen in der Stoffverordnung ausreichend kommuniziert, sagt sie. «Wer es wissen will, kann es auch wissen.» Endgültig klar wird die Situation erst im Juli 2005. Dann wird die Verwendung der «Giftschwellen» auch für heute noch zugelassene Zwecke – etwa für Lawinenverbauungen – verboten. Die Übergangsfrist wurde laut Wälty geschaffen, damit die Entsorgungsmöglichkeiten für den Holzabfall ausgebaut werden können
Der grösste Teil davon wird allerdings bereits heute anderweitig aus der Welt geschafft: Die SBB exportieren die Schwellen nach Schweden, wo sie als Sonderabfall verbrannt werden.