Geschichten aus der Nachbarschaft

Nachbarinnen und Nachbarn erleichtern unser Leben, helfen, wenn das Salz ausgeht, tragen schwere Einkaufstaschen die Treppen hoch. Oder aber sie machen uns die Hölle heiss, beklagen sich über ein nicht ordnungsgemäss angebrachtes Schuhgestell, schimpfen über lautes Kinderlachen, petzen bei der Verwaltung. 

Nachbarschaft ist ein soziales Phänomen, das zwar alle kennen, aber ganz unterschiedlich aufgefasst wird. Über die Feiertage erzählen Angehörige der Beobachter-Redaktion, was sie mit ihren Nachbarinnen und Nachbarn erlebt haben.

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Es ist einige Jahre her. Mein Partner kam vom Einkauf im Denner zurück, stellte den Katzensand und die Bierpackung auf den Tisch und sagte: «Du musst mal zu unserer alten Nachbarin gehen. Weisst Du, die mit dem verwunschenen Garten und dem krummen Rücken. Ich habe Frau Glauser eben auf dem Rückweg vom Einkauf wie ein Häufchen Elend weinend auf der Bank bei der Bushaltestelle angetroffen. Sie erzählte schluchzend, dass man ihnen den Hund weggenommen habe. Und man sage ihr nicht mal, wo er ist. Und besuchen dürfe sie ihn auch nicht.»

Ich gab zu Bedenken, dass in Zürich niemandem einfach so und ohne Verfügung der Hund weggenommen werden kann. Mein Freund meinte: «Geh du doch mal vorbei. Du kennst dich da besser aus als Juristin.» Also ging ich hinüber, besorgte mir eine Vollmacht und konnte klären, warum Nik vom Veterinäramt beschlagnahmt worden war. 

Unsere Nachbarin und ihr Mann liebten Tiere. Ein Leben lang hatten sie Katzen, Hunde, Vögel gehalten. Doch jetzt, im Alter, hatten sie Hund Nik nicht mehr unter Kontrolle. Er machte beim Spaziergang, was er wollte, rannte auf und davon, ohne auf die Zurufe zu achten. So hatte es einige Anzeigen bei der Polizei gegeben, weil Nik herrenlos durchs Quartier gestreunt war und laut und freudig gebellt hatte. Nach mehreren Verwarnungen verfügte das Veterinäramt schliesslich, Hund Nik den Glausers wegzunehmen. 

Doch einen Hoffnungsschimmer gab es. Wenn für Sicherheit gesorgt sei, dürfe Nik wieder nach Hause. Also liessen wir vom Zaunbauer einen hohen Zaun um den Garten errichten  und engagierten eine Hundesitterin. Das Amt gab sich gnädig, und Nik erhielt seine Freiheit zurück. Aus dieser Begegnung ist eine enge Freundschaft mit Glausers entstanden. 

Welcher Nachbarschaftstyp sind Sie?

Die Distanzierten (47 Prozent der Bevölkerung)

Ihnen sind Abstand, Diskretion und Unabhängigkeit wichtig, sie möchten weder gestört werden noch jemandem zurLast fallen. Im Notfall sind sie aber zur Stelle. Und ab und zu schätzen sie auch zweckorientierte Treffen.

Die Inspirationssuchenden (30 Prozent)

Für sie stehen Toleranz und anregende Begegnungen im Vordergrund. Inspirationssuchende schätzen kollektive, sinnerfüllte Aktionen und Vielfalt und suchen den Blick überden eigenen Tellerrand hinaus.

Die Beziehungspflegerinnen und -pfleger (14 Prozent)

Sie wünschen sich ein freundschaftliches, fast familiäres Verhältnis in einer homogenen, harmonischen Nachbarschaft. Sie legen Wert auf enge Kontakte, Gemeinschaftsaktivitäten und gegenseitige Unterstützung im Alltag.

Die Wertorientierten (9 Prozent)

Sie möchten unter Leuten leben, die ähnliche Ansichten teilen. Statt enger Beziehungen wünschen sich Wertorientierte respektvolle Distanz und einen rücksichtsvollen Umgang miteinander. Sie sind hilfsbereit. Im Alltag reicht ihnen ein gelegentlicher Austausch im Treppenhaus.

Quelle: «Hallo Nachbar:in. Die grosse Schweizer Nachbarschaftsstudie» des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, August 2022. Um die Studie einzusehen, hier klicken.