Unlängst fragte die Gratispostille «20 Minuten» ihre Leserschaft:

«Kommentierst du schon oder liest du nur?»

Die Frage ist bezeichnend, aber sie war zu wenig präzis. Sie hätte provokativer lauten dürfen:

«Kommentierst du nur oder liest du noch?»

Der Journalismus steckt in einer tiefen Krise. Social-Media-Plattformen und Gratismedien im Internet erzeugen eine Informationsflut, die uns wie ein Tsunami überspült. Wichtige und irrelevante Inhalte wirbeln durcheinander, türmen sich zu einer riesigen Welle, die über uns hereinbricht. Irritiert, zermürbt, mitunter zynisch lässt uns das zurück.

Im Forum einer österreichischen Zeitung war kürzlich zu einem Bericht über mögliche Lösungen der Flüchtlings- oder besser Migrationskrise zu lesen: «Glaubt diesen Medien gar nichts mehr, es gibt im Netz so viele seriöse Kanäle, und die kosten gar nichts.» 270 Daumen gingen rauf, vier runter. Information null, Applaus tosend. Ob eine Meldung wichtig ist oder unwichtig, ob es um die Zukunft von Europa geht oder um eine Rose der «Bachelorette» – einerlei. Jede und jeder hat schnell eine Meinung zu allem, wenige sind bereit, sich tiefer auf ein Thema einzulassen. Intensiv fühlen, so der Eindruck, ist wichtiger geworden als richtig verstehen.

Eine gefährliche Abwärtsspirale

Zu dieser Entwicklung haben die Umwälzungen im Journalismus beigetragen. Grosse Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, deren Produkte uns einst als Leuchttürme für die Einschätzung von Ereignissen und Entwicklungen dienten, sehen ihre Ertragskräfte aus dem Journalismus und damit ihre Bedeutung schwinden. Die Werbeeinnahmen bröckeln weg in sogenannte Content-Marketing-Formate und zielgruppenspezifische Internetplattformen. Abo- und Kioskverkäufe stagnieren oder sinken seit Jahren, einstige Geldpipelines wie Job- oder Wohnungsinserate wurden auf spezialisierte Websites umgeleitet und verbessern die Bilanz der Verlage nur noch teilweise.

Die Reaktion der Verlage – der kurzfristigen ökonomischen Notwendigkeit geschuldet – setzt eine gefährliche Abwärtsspirale in Gang. Mit Kostensparprogrammen, mit noch lauterer und intensiverer Hektik und einem immer höheren Tempo der Publikation von Meldungen, die auch nur irgendwie versprechen, kurzfristig Aufmerksamkeit zu erzielen, destabilisieren sie ihre eigene Bedeutung.

Und damit verlieren die für die politische Meinungsbildung relevanten Medien, gern als vierte Gewalt bezeichnet, nicht nur an Umsatz. Sie verlieren an Relevanz.

Es ist wahr: Der Journalismus steht mitten in einem «epochalen Paradigmenwandel», wie eine Expertise im Auftrag der Eidgenössischen Medienkommission (Emek) festhält. Informationen werden heute meist auf mobilen Geräten konsumiert, so der Verfasser Frank Lobigs, Professor für Medienökonomie in Dortmund. Zunehmend als Videos, algorithmisch kuratiert nach personalisierten Trefferlisten und pausenlos neu vermarktet. Journalisten, die diese Arbeit erledigen, werden zu Verpackungsingenieuren, die manche Medienhäuser entlarvend präzis als «Aggregatoren» bezeichnen. Sie sichten Meldungen aus der grossen, weiten Welt, schreiben sie um, preisen sie süffig an und verstärken so das Hintergrundrauschen vom Lärmen der Welt.

Digitaler Schüttelbecherjournalismus

Über Werbung freilich lässt sich auch dieser digitale Schüttelbecherjournalismus, der auf vielen Portalen kaum noch einer relevanten Hierarchieordnung folgt, bis heute kaum finanzieren. Einige Verlage haben zwar damit begonnen, die überschaubare Zahl von Artikeln, die echten Mehrwert bringen, nur gegen Bezahlung anzubieten. Aber vorab die jüngere Leserschaft, längst auf einen Überfluss an Gratisinfos konditioniert, ist für Bezahlangebote kaum zu gewinnen.

Gemäss Emek-Studie entstehen für einen gesellschaftlich relevanten Journalismus «fundamentale ökonomische Probleme». Untrügliches Zeichen für den Ernst der Lage ist die intensive Debatte über Fake News, Pseudojournalismus und Native Advertising (Werbung, die als redaktioneller Inhalt verschleiert wird). Je fragwürdiger die Qualität der Publikationen, desto mehr muss über Qualitätsjournalismus geredet werden.

«Das Schrille, das Schräge, das Schnelle dominiert in der Schlacht um Aufmerksamkeit.»

 

Andres Büchi, Beobachter-Chefredaktor

Nun ist es unbestritten, dass eine direkte Demokratie auf möglichst gut informierte Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist. Aber wie kann noch sichergestellt werden, dass eine sorgfältige und verständliche Aufarbeitung von relevanten Themen die Leute erreicht? Braucht es dafür überhaupt noch professionelle Journalisten und bezahlte Medien, die sich genau dieser Aufgabe annehmen? Oder genügen das Internet und die Google-Suche, um sich fundierte Informationen zu relevanten Entwicklungen und Ereignissen selber zu beschaffen?

Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt den Siegeszug des Internets in Deutschland. Eine ähnliche Erhebung in der Schweiz fehlt, die Zahlen dürften aber vergleichbar sein. Im Jahr 2002 informierte sich die Bevölkerung ab 14 noch überwiegend via TV-Berichte, Zeitungen und Zeitschriften. Heute tun das schon 69 Prozent im Internet (siehe Grafik).

Bei TV, Zeitungen und Magazinen ist der Beachtungsgrad um 12 und mehr Prozentpunkte gesunken; sie liegen klar hinter der Internetsuche zurück. Einzig für tagesaktuelle Infos liegen die klassischen Newsvermittler, allen voran das Fernsehen, noch vorn, doch der Abstand schmilzt.

Infografik: Der Siegeszug der Online-information
Quelle: Anne Seeger und Andrea Klaiber

Sind also Google und Facebook die neue vierte Gewalt? Die Antwort muss differenziert ausfallen. Sicher, das Internet demokratisiert die Information, macht sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Das Privileg der traditionellen Medienhäuser, Meinungen zu prägen dank einem exklusiven Zugang zu den Informationskanälen, ist gefallen. Von Ereignissen zu berichten, Meldungen zu verbreiten und gratis zu konsumieren ist zum Massenphänomen geworden.

Das ist einerseits gut so, weil Nachrichten so kontrollierbarer geworden sind. Jeder kann heute Infos aus einem Artikel auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Behauptungen und Einschätzungen von Journalisten und Korrespondenten sind durch Originalquellen im Internet, über unabhängige Tweets und Vor-Ort-Berichte leichter verifizierbar geworden.

Anderseits prägt das Massenphänomen, dass heute jeder selber Publizist spielen kann, wiederum die etablierten Medien. Und die Quellen sind oft kaum klar einschätzbar. Dieser Rückkoppelungseffekt führt dazu, dass die Meinung der Massen und schwer verifizierbare Infos die Medien zunehmend beeinflussen, weil die sich unter dem ökonomischen Druck dem anpassen, was Klicks generiert. Und das sind oft boulevardeske Schnellschussschlagzeilen mit Unterhaltungswert, selten aufwendige Aufarbeitungen relevanter Entwicklungen.

Am Volk vorbeigeschrieben

Damit wird der Wert der Information zweitrangig. Was zählt, ist – zumindest im Onlinejournalismus –, ob etwas bei den Massen ankommt. Und das ist nicht immer das, was Journalisten denken. Bei manchen Themen müssen wir Medienschaffenden uns allerdings selber bei der Nase nehmen. Kommentarspalten, Blogs und Wutbürgermeinungen haben uns vor Augen geführt, dass es der durch Journalisten verbreiteten Weltsicht mitunter an Bodenhaftung mangelt.

Eine ideologisch gefärbte, moralisierende Sicht auf eine Welt, wie wir sie uns im Idealfall wünschen, wirkt nicht nur abgehoben und schulmeisterlich, sondern auch weltfremd und manchmal arrogant. Das kurzsichtige Willkommenssignal der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise etwa, erst von den meisten Journalisten und Medien überschwänglich bejubelt, hat uns der Lösung des Problems nicht näher gebracht, auch wenn es noch so gut gemeint war.

Soziale Medien und Leserkommentare sorgen für eine breitere, offenere Debatte zu umstrittenen Themen. Das ist wichtig und eine Chance für den Qualitätsjournalismus. Es zwingt die beruflichen Informationsvermittler, nüchterner, präziser und überzeugender zu argumentieren.

Das ist kein Plädoyer für Populismus. Auf die Stimmung in der Bevölkerung zu hören, Ängste aufzunehmen ist auch für denjenigen Journalismus zentral, der die Menschen nicht belehren, sondern sie nach bestem Wissen und Gewissen über alle Aspekte eines Themas informieren will.

Wie früher die Sandwichmänner

Denn das grösste Problem der heutigen Informationsflut ist, dass die Ordnung im Gewitter der gefragten und ungefragten Meinungen und Gefühle verlorengeht. Das Schrille, das Schräge, das Schnelle dominiert. Das Analytische, das Nachhaltige und damit auch Wichtige verliert in der Schlacht um Aufmerksamkeit. Gewinner des Jekami-Journalismus sind Selfie-Kanäle und Influencer-Blogs, die uns Ego-Erfolgsgeschichten verkaufen, als wären sie Blaupausen für eine Karriere für uns alle. Dabei sind sie meist bloss Bannerträger für Produkte – digitale Nachfolger der einstigen Sandwichmänner mit ihren Plakaten.

Hinzu kommt, dass Social-Media-Nutzer diejenigen Gratisinfos erhalten, die aufgrund ihres Verhaltens im Internet – ihres Profils – nur ihre Meinung bestätigen. Also mehr von dem, was wir schon wissen, kennen und mögen. Dafür kaum neue oder andere Inhalte und Ansichten.

Gerade deshalb braucht es auch in Zukunft professionellen Journalismus. Spezifisch ausgebildete Leute, die Quellen einordnen können, keine Abklärungen und Recherchen scheuen, Inhalte solide aufbereiten, glaubwürdig nach Relevanz ordnen und verständlich vermitteln – unabhängig von der Meinung des Journalisten oder vom mutmasslichen Leserprofil.

Unabhängigkeit kostet

Solcher Journalismus, der auch mal Position beziehen kann und soll, ist aber nicht gratis zu haben. Zu erwarten, er könnte sich durch Inserate selber finanzieren, erweist sich in Zeiten von Big-Data-genährter, passgenauer Werbung auf die Zielperson als utopisch. Um unabhängige Informationsaufbereitung auch in Zukunft zu finanzieren, müssen deshalb verschiedene Ansätze von Subventionierung erwogen werden.

Auf staatlicher Ebene könnten das zum Beispiel Beiträge für noch zu definierende und überprüfbare Service-public-Leistungen sein, wie sie das Departement von Medienministerin Doris Leuthard erwägt. Auf privater Ebene sind es durch Mäzene und Unterstützer getragene Plattformen wie das Projekt «Republik» der Journalisten Constantin Seibt und Christof Moser. Und auf Verlagsebene könnten Quersubventionierungen durch andere Geschäftsbereiche wie etwa Rubrikenportale in Frage kommen. Ein Modell übrigens, das schon in der Vor-Internet-Zeit geholfen hat, journalistische Leistungen zu finanzieren.

Bis sich tragfähige Lösungen abzeichnen, muss glaubwürdiger Journalismus aber trotz sinkenden Erträgen gleichbleibende oder gar bessere Leistungen als bisher erbringen. Und das geht nicht ohne ein treues und zahlbereites Publikum.

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Deshalb, liebe Leserinnen und Leser, danke ich Ihnen für Ihre Treue, Ihr Interesse an unserer Zeitschrift, die heuer ihren 90. Geburtstag feiern darf. Sie sind es, die es uns ermöglichen, wichtigen Zeitfragen nachzugehen, Missstände aufzudecken, Entwicklungen und Trends kritisch zu hinterleuchten und die Schweiz verständlich zu machen. Ihr Vertrauen ist unsere Motivation dazu.

Wir machen nicht alles besser als die Konkurrenz. Wir sind nicht fehlerlos. Aber wir sind einem ernsthaften Journalismus verpflichtet, weil wir überzeugt sind, dass verlässliche Informationen in einer Welt, die unübersichtlicher wird, überlebenswichtig sind. Und weil wir die Ausübung der vierten Gewalt in der Schweiz nicht fernen, globalen Giganten wie Google oder Facebook überlassen wollen.

Helfen, die Welt zu verstehen

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Informationen so aufzubereiten, dass sie Ihnen Nutzwert, Einschätzungen, Lesefreude und – dank unseren Experten in der Beratung – auch ganz konkrete Hilfe bieten. Dann, wenn Sie sie brauchen. Mit unserem Journalismus, unseren Leistungen möchten wir uns für Sie persönlich einsetzen. Und für Werte, die wir hoffentlich alle teilen: Fairness, Nachhaltigkeit, die Liebe zur Schweizer Qualität und die Bereitschaft, dafür Leistung zu erbringen. Zögern Sie nicht, uns Ihr Feedback, Ihre Meinungen, Ihre Kritik und Ihre Beobachtungen mitzuteilen.

Professionelle Journalisten allein können die Welt nicht besser machen. Aber sie können helfen, einiges besser zu verstehen, damit wir gemeinsam die bestmöglichen Lösungen finden – und nicht im Tsunami der Beliebigkeit untergehen.

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