Gabriela Steiner ist überzeugte Pflegefachfrau. Sie arbeitet überwiegend in der Palliativpflege. «Wer unheilbar krank ist, braucht individuelle Pflege. Und die Angehörigen brauchen die nötige Unterstützung.»

Genau das habe sie innerhalb der starren Strukturen der Spitex-Organisation nicht mehr bieten können. Deshalb habe sie vor elf Jahren entschieden, nur noch freiberuflich zu arbeiten. Den Schritt hat sie nie bereut.

Eins könne sie aber nicht hinnehmen: Das Honorar für freie Pflegefachleute ist im Kanton Solothurn besonders tief. «Mir fehlen Monat für Monat rund 1000 Franken auf den Richtlohn des Berufsverbands», so Gabriela Steiner. Von Stundenlöhnen, wie sie Handwerker verrechnen, könnten die rund 50 Freiberuflichen hier nur träumen.

«Leider mussten wir feststellen, dass sich Gemeinden vermehrt an den tiefsten Ansätzen orientierten.»

Pierre-André Wagner, Berufsverband der Pflegefachleute SBK

Für die Pflege zu Hause kommen Krankenkassen, Patienten sowie Kanton und Gemeinde auf. Wer wie viel zahlt, hängt vom Wohnort ab. In der ganzen Schweiz gleich hoch sind nur die Beiträge der Krankenkassen; sie liegen – je nach Pflegeleistung – bei Fr. 52.60 bis 76.90 pro Stunde.

Den Rest teilen sich Patientinnen und Patienten mit dem Kanton und der Gemeinde. Die Pflegebedürftigen bezahlen abhängig vom Wohnkanton nichts oder bis zu Fr. 15.35 pro Tag. Und je nach Spitex-Organisation werden ihnen zusätzlich Zuschläge für Nacht- und Wochenendeinsätze verrechnet.

Willkürliche Beiträge

Die sogenannten Restkosten sind ein ständiger Streitpunkt. Restkosten sind der Betrag, der nach Abzug der Beiträge von Krankenkassen und Patienten offen bleibt und den die Kantone zusammen mit den Gemeinden zahlen müssen. Hier beginnt die Willkür.

Zum Beispiel im Solothurnischen, wo Gabriela Steiner arbeitet. Lange stellte sich der Kanton auf den Standpunkt, es gebe gar keine Restkosten. Erst ein Gerichtsurteil brachte ihn 2018 zur Räson.

In der Folge einigte er sich mit den Spitex-Pflegenden auf kantonale Höchsttaxen und zahlte rückwirkend eine Entschädigung. Einen Drittel der Restkosten mussten sich die Pflegenden aber ans Bein streichen.

Noch schlechter erging es den Freiberuflichen. Ihnen werden seither von den Restkosten 37 Prozent abgezogen. Der Kanton begründete die Kürzung damit, sie hätten einen tieferen administrativen Aufwand. Zudem entfalle bei ihnen die Versorgungs- und Ausbildungspflicht.

Wie viele andere Freiberufliche würden sie für die höheren Weg­kosten nicht entschädigt.

Gabri­ela Steiner

Wenigstens hält sich seit 2018 die Mehrheit der Solothurner Gemeinden an die kantonale Restkosten-Höchsttaxe von rund 40 Franken pro Stunde. Einige zahlen aber nur Fr. 4.50 – und ziehen Freiberuflichen davon noch einmal 37 Prozent ab. «Um bundesrechtswidrige Ergebnisse im Einzelfall zu verhindern», hat der Solothurner Regierungsrat beschlossen, eine Taxuntergrenze für freiberufliche Pflegefachleute einzuführen. Sie liegt bei rund 40 Franken pro Stunde – minus 37 Prozent.

Dieser Abzug sei ungerecht, kritisiert die Interessengemeinschaft der Freiberuflichen im Berufsverband SBK. Wie viele andere Freiberufliche würden sie für die höheren Wegkosten nicht entschädigt, sagt Gabriela Steiner. Dagegen will sie zusammen mit anderen Betroffenen klagen. So soll geklärt werden, ob und welche Abzüge gerechtfertigt sind.

Die Restkosten sind auch in anderen Kantonen ein Streitpunkt. Dabei wird prinzipiell zwischen Spitex mit und ohne Versorgungsauftrag unterschieden. Mit Versorgungsauftrag bedeutet, dass ärztlich oder vom Spital zugewiesene Patientinnen und Patienten von der Spitex übernommen werden müssen.

Im Kanton Zürich etwa liegen die Spitex-Vollkosten pro Leistungsstunde bei Fr. 93.47 bis 262.17 (im Jahr 2021, für Spitex-Dienste mit Leistungsauftrag und Versorgungspflicht); im teuersten Fall beläuft sich der Restkostenanteil auf rund 170 Franken. Die Tarife für Spitex ohne Leistungsauftrag liegen rund 50 Franken pro Stunde tiefer.

Lieber nicht veröffentlichen

Der Kanton Aargau erfasst die Vollkosten der Spitex mit Leistungsauftrag. Auch hier gibt es aber grosse Unterschiede innerhalb des Kantons. Eine Pflegestunde ist mit Fr. 90.80 in der Region Aargau Ost am günstigsten, in Kaiseraugst mit Fr. 138.40 am teuersten (2021). Der Restkostenanteil beträgt maximal 50 Franken.

Im Thurgau liegt die Spannweite bei den Restkosten zwischen null und Fr. 49.22; öffentliche Spitex-Organisationen erhalten zusätzlich eine Pauschale für gemeinwirtschaftliche Leistungen.

Der Berufsverband der Pflegefachleute SBK hat die Restkosten schweizweit erfasst und sie – um Transparenz zu schaffen – anfänglich auf seiner Website publiziert. Das sei ein Fehler gewesen, sagt SBK-Mann Pierre-André Wagner. «Leider mussten wir feststellen, dass sich Gemeinden vermehrt an den tiefsten Ansätzen orientierten.» Als Folge veröffentliche man die Restkosten-Übersicht nicht mehr. Zum Schutz der Pflegenden.

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