Zur Debatte steht nichts weniger als ein Ersatz für den schwindenden Rhonegletscher. Nicht als Naturschönheit oder Trinkwasserspeicher, sondern als Touristenattraktion. «Von Gletsch aus ist der Rhonegletscher bereits nicht mehr zu sehen», sagt Thomas Käch. «Da könnten doch ein paar Windräder am Totesee bei der Grimsel-Passhöhe zu einem neuen Anziehungspunkt werden.» Die «paar Windräder» - geplant sind immerhin 21 Rotoren von rund 80 Meter Nabenhöhe - möchte der Gemeindepräsident von Oberwald zusammen mit dem St. Galler Unternehmen Swisswinds in die alpine Landschaft setzen. 50 Megawatt Leistung, viermal mehr, als bisher in der Schweiz an Windkraftanlagen installiert ist.

Ein frischer Wind zieht durch das Land der Stauseen und Atomkraftwerke. Projekte für grössere und kleinere Windparks sind in den vergangenen Monaten wie Spargeln aus dem Boden geschossen. Die grössten davon:

  • Auf dem Gotthardpass will die Tessiner Firma Reninvest für 48 Millionen Franken acht Windturbinen mit 16 Megawatt Leistung aufstellen.
  • Auf dem Col du Mollendruz plant das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) einen Windpark mit zwölf Anlagen mit
    24 Megawatt Leistung.
  • Die Juvent SA, eine Tochtergesellschaft der BKW, die auf dem Mont Crosin im Jura bereits acht Windräder betreibt, evaluiert Standorte für 15 bis 20 neue Turbinen.

«Komme mir vor wie Don Quichotte»
Etwas vorsichtiger rechnet das Bundesamt für Energie im «Konzept Windenergie Schweiz» aus dem Jahr 2004. Erklärtes Ziel ist es, bis 2010 mit Windkraftanlagen 50 bis 100 Gigawattstunden Strom zu produzieren. Das entspricht dem jährlichen Verbrauch von 15'000 bis 30'000 Haushaltungen.

Windkraft, das bedeutet eine erneuerbare Energiequelle und «sauber», also CO2-frei produzierten Strom - und somit genau das, was Umweltorganisationen propagieren. Windkraft, das bedeutet aber auch riesige Rotoren an exponierten, gut sichtbaren Höhenlagen, eine Beeinträchtigung des Landschaftsbilds, unter Umständen sogar von geschützten Gebieten - und damit genau das, was Natur- und Umweltschützer eigentlich nicht wollen. Kein Wunder, sorgt das Thema unter den Umweltverbänden für einige Turbulenzen. «Die Gespräche über eine gemeinsame Haltung zur Windenergie sind noch nicht abgeschlossen», erklärt Beat Jans, Leiter des Bereichs Politik bei Pro Natura, diplomatisch. «Es ist schwierig, beide Positionen unter einen Hut zu bringen.» Diese stehen sich diametral gegenüber, und die Diskussionen drehen sich keineswegs nur um die Vor- und Nachteile von Windturbinen. Es geht letztlich um die Frage, ob es der angestrebte Ausstieg aus der Atomkraft rechtfertigt, dass auf Bergen und Kreten plötzlich riesige Windräder stehen.

Nein, findet die Stiftung Landschaftsschutz (SL). Richard Patthey, der Verantwortliche für das Dossier Windenergie, spricht von drohendem «Rotoren-Wildwuchs» und malt düstere Bilder von noch unberührten Juralandschaften und Alpenübergängen, die dereinst von 100 Meter hohen Turbinen verschandelt würden. «Ein Tsunami für die Landschaft» sei diese ganze Begeisterung für die Windenergie, sagt Patthey. «Und ob der Euphorie geht der Erholungswert der Landschaft völlig vergessen. Aber der lässt sich leider auch nicht in Zahlen ausdrücken.»

Der SL bleibe deshalb kaum viel übrig, als mit Einsprachen den schlimmsten Wildwuchs zu verhindern, meint Patthey. Dass die Stiftung mit diesem kategorischen Nein zu fast allem, was Rotoren hat, innerhalb der Umweltverbände ziemlich allein dasteht, mag er nicht einmal mehr schönreden. Manchmal komme er sich vor wie Don Quichotte, der gegen die Windmühlen einfach nicht ankomme: «Wir haben keine Chance, uns mit unserer kritischen Haltung durchzusetzen, weil die Gesellschaft derart viele Hoffnungen in die Windkraft projiziert.»

Etwa Hoffnungen darauf, ohne zusätzliche Atomkraftwerke auszukommen, wie sie die Energiewirtschaft derzeit plant. «Ja, will denn die SL lieber ein AKW?», fragt Bernhard Piller von der Schweizerischen Energiestiftung (SES) rhetorisch und gibt freimütig zu, dass man bei der SES auf die Landschaftsschützer «nicht gut zu sprechen» ist: «Eine Bewahrung der Landschaft, wie sie der SL vorschwebt, ist eine Illusion.» Für SES-Mann Piller ist klar, dass Windkraft eine der Energiequellen der Zukunft ist: «Man kann sicher darüber streiten, wie ästhetisch ein Windrad ist. Aber schädlich ist es sicher nicht.»

Ein Ja mit einem grossen Aber
Irgendwo zwischen den beiden Polen versuchen WWF und Pro Natura den Spagat zwischen erneuerbarer Energie und Landschaftsschutz. Pro Natura kann sich zwar zu einem Ja zur Windkraft durchringen, allerdings nicht, ohne diesem sofort ein grosses Aber folgen zu lassen: Bedingungen sind für Pro Natura unter anderem, dass keine Rotoren in Schutzgebieten zu stehen kommen, keine neuen Strassen und keine oberirdischen Stromleitungen erforderlich sind und dass «eine Abwägung der Interessen mit dem Landschaftsschutz stattgefunden hat».

Der WWF seinerseits verweist auf ein sieben Jahre altes Positionspapier zum Thema. Es gelte, «alle Möglichkeiten der nachhaltigen Energieerzeugung und rationellen Energieverwendungen auszuschöpfen», heisst es darin. «Dazu gehört, wenn auch nicht an erster Stelle, die Windkraft.» Entsprechende Projekte sollten nach Ansicht des WWF vor allem im Jura und im Mittelland gebaut werden. Im Alpenraum sollten «höchstens einzelne, landschaftlich nicht exponierte Anlagen realisiert werden», steht im WWF-Papier - ohne Erklärung, woher eine landschaftlich nicht exponierte Anlage den für ihren Betrieb notwendigen Wind hernimmt.

Die Krux mit dem Standort
Und Wind brauchen die geplanten Anlagen mehr, als den künftigen Betreibern lieb sein kann. Grund dafür ist die neue Energieverordnung, die das Bundesamt für Energie Mitte März vorgestellt hat. Deren Kernpunkt ist die «kostendeckende Einspeisevergütung», mit der erneuerbare Energien gefördert werden sollen. Wer mit Wasserkraft, Geothermie, Fotovoltaik, Biomasse oder eben Wind Strom produziert, soll dafür eine Vergütung erhalten. Eine Kilowattstunde mit Wind produzierter Strom soll mit maximal 20 Rappen gefördert werden - was nach Ansicht der Produzenten deutlich zu wenig ist. Der Branchenverband Suisse Eole hatte im Vorfeld eine Entschädigung von bis zu 28 Rappen gefordert und ist jetzt entsprechend enttäuscht. «Die Initianten der verschiedenen Projekte müssen noch mal über die Bücher», sagt Reto Rigassi, Ko-Geschäftsführer von Suisse Eole. Statt wie im «Konzept Windenergie Schweiz» angenommen mit 4,5 Metern pro Sekunde müsste der Wind nach Berechnungen von Suisse Eole mit durchschnittlich sechs Metern pro Sekunde wehen, damit eine Anlage rentabel betrieben werden kann. «Und das schränkt die Anzahl der Standorte extrem ein, die für einen Windpark in Frage kommen», sagt Rigassi.

Womit sich für die Umweltschutzorganisationen das eine oder andere Problem in Luft auflösen dürfte.