Beobachter: Toine Timmermans, warum bekämpfen die Niederlande die Verschwendung von Lebensmitteln so erfolgreich?
Toine Timmermans: Vor 20 Jahren interessierte das Thema niemanden. In der Industrie herrschte die Maxime: mehr produzieren! Wir konnten Firmen damals bei kleineren Projekten zwar aufzeigen, dass sie die Verschwendung von Lebensmitteln mit relativ kleinen Änderungen stark reduzieren konnten – und so Geld sparen. Trotzdem blieb es lange ein Nischenthema.


Wann änderte sich das?
Als 2008/2009 zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte die Preise für Rohstoffe stiegen. Plötzlich war das Interesse da. Ich merkte aber, dass wirksame Projekte über die Landesgrenzen hinaus stattfinden müssen. Also richtete ich mich an die EU. Ich rief alle Institute und Forscher an, die sich mit dem Thema beschäftigten, mit dem Ziel, sie zu verknüpfen.


Vernetzung als Schlüssel?
Absolut. Wir starteten das erste europaweite Foodwaste-Programm mit rund 20 Organisationen. Darauf folgte ein Projekt mit Zusammenarbeit auf Landesebene. Die Niederlande waren eines der ersten Länder, in denen getestet wurde – neben Ungarn, Spanien, Deutschland und China. Vor Abschluss des EU-Projekts richteten wir eine Plattform in den Niederlanden ein und etablierten ein nationales Programm. Mittlerweile haben wir 100 Organisationen an Bord. Es läuft alles über industrieübergreifende, öffentlich-private Zusammenarbeit entlang der ganzen Lieferkette.


Was war der grösste Erfolg?
Am konkretesten sieht man die Veränderung auf der Ebene der Konsumentinnen und Konsumenten. Hier haben wir die Verschwendung von Lebensmitteln in den letzten Jahren um 29 Prozent reduziert. Das ist massiv.


Wie berechnet man das eigentlich?
Über den Abfalleimer. Wir schauen nach, was weggeworfen wird. Wir fragen die Leute nicht, wie viel weniger sie wegschmeissen. Denn die meisten antworten so, wie es sozial erwünscht ist. Das ist wenig verlässlich.


Wie haben Sie die Leute überzeugt?
Mit gross angelegten Aufklärungskampagnen, unter anderem im nationalen Fernsehen. Solche Auftritte setzen Anreize. Damit erzeugte man aber auch Druck auf die Lebensmittelhersteller und Detailhändler, etwas zu verändern – weil ihre Kundschaft Veränderungen einfordert.
 

«Sehr viel Abfall entsteht, weil die Leute die Ablaufdaten nicht verstehen und noch gute Lebensmittel entsorgen.»

Toine Timmermans


Welche Botschaft verfängt am besten?
Erst warnten wir die Leute im Stil von «Du solltest kein Essen verschwenden». Besser funktionierten aber konkrete Anreize, wie man Reste verwerten kann. Die Verschwendung von Brot zum Beispiel ist ein riesiges Problem. Da haben wir einen Werbeclip kreiert, der zeigte, was man mit altem Brot alles zubereiten kann. Wichtig war auch die Informationskampagne zu Ablaufdaten. Sehr viel Abfall entsteht, weil die Leute die Daten nicht verstehen und noch gute Lebensmittel entsorgen. Viel lässt sich auch mit Portionengrössen bewirken.


Inwiefern?
Mit kleineren Portionen wird weniger weggeschmissen. Wir befinden uns allerdings in einem Dilemma. Die Konsumenten verlangen auch weniger Verpackung. Mit weniger Verpackung werden aber die Portionen eher wieder grösser. Da müssen wir noch eine Balance finden.


Wie schätzen Sie die Fortschritte im Kampf gegen Foodwaste in der Schweiz ein?
Es passiert viel, aber die Bemühungen scheinen nicht wirklich systematisch. Es gibt viele Initiativen und Firmen, die an innovativen Lösungen tüfteln. Aber sie sind nicht miteinander verknüpft. So fing es auch in den Niederlanden an. Und so bewegt sich im Endeffekt wenig. Man müsste die verschiedenen Akteure über eine Plattform verbinden. Angebot und Nachfrage müssen besser abgestimmt werden.


Wie holt man alle Akteure an Bord?
Am besten funktioniert Gruppendruck. Wir haben anonym einen Vergleich veröffentlicht, der zeigt, wie viel Foodwaste der Detailhändler mit den wenigsten Abfällen hat. Das setzt Druck auf: Wenn deine Konkurrenten vorwärtsmachen, willst du auch dabei sein.

Zur Person

Toine Timmermans leitet das Programm für nachhaltige Lebensmittelketten an der niederländischen Agrar-Universität Wageningen. Er koordiniert Projekte gegen Foodwaste auf EU-Ebene.

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