Die Stiftung Kinderschutz Schweiz kämpft seit Jahren dafür. Ohrfeigen, Klapse oder das Schütteln von Kindern sollen per Gesetz verboten sein. Jegliche Form von Gewalt in der Erziehung. Auch psychische.

Nun scheint sie kurz vor dem Ziel. Nach dem Nationalrat will auch die Rechtskommission des Ständerats das Recht auf gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetz verankern. Sie empfiehlt, einen Vorstoss von Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach anzunehmen. «Wir wollen damit ein Zeichen setzen gegen alle Formen von Gewalt gegen Kinder», schreibt sie in ihrem Bericht. Den definitiven Entscheid fällt der Rat im Dezember. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dieser klaren Empfehlung nicht folgen wird», sagt Kinderschutz-Geschäftsführerin Regula Bernhard Hug.

Für die Kesb ändert sich nichts

Sie spricht von einem Meilenstein für den Kinderschutz – auch wenn sich konkret wenig ändert. Eltern müssen auch künftig keine Bussen fürchten, wenn sie ihr Kind einmal heftig schütteln oder anbrüllen. Auch dann nicht, wenn der Nachbar das sieht und der Polizei meldet. Ebenso wenig würde sich ändern, in welchen Fällen die Kesb einschreitet.

Denn das Gesetz würde im Zivilgesetz verankert. Es regelt nicht, was bestraft wird, sondern wie wir als Gesellschaft zusammenleben. So schreibt es zum Beispiel vor, dass Eltern, die getrennt leben, ihre Kinder regelmässig besuchen müssen. Tun sie das nicht, erhalten sie aber keine Busse. Gleich wäre es beim Gewaltverbot. «Das neue Gesetz würde aber ein für alle Mal festhalten: Gewalt in der Erziehung ist verboten. In jeder Form. Punkt», sagt Rechtsexpertin Karin von Flüe vom Beobachter-Beratungszentrum.

Jedes zweite Kind erleidet Gewalt

Derart explizit ist das heute nicht geregelt. Zwar kann eine Ohrfeige als Tätlichkeit geahndet werden. Und sowohl die Bundesverfassung wie auch das Zivil- und das Kindes- und Erwachsenenschutzgesetz schützen die Kinder vor gewalttätigen Eltern. Der Bundesrat findet darum, ein zusätzliches Gesetz sei nicht nötig. Auch will er den Eltern keine weiteren Vorschriften machen. «Das Ziel einer gewaltfreien Erziehung lässt sich besser durch Hilfsangebote und Sensibilisierung erreichen.»

Das neue Gesetz wäre nicht in erster Linie für die Justiz, sondern ein Signal an die Mütter und Väter. Die allermeisten Eltern in der Schweiz lehnen Gewalt als Erziehungsmittel ab. Trotzdem ist fast jedes zweite Kind noch immer davon betroffen, wie eine neue Studie der Universität Freiburg zeigt. Darin geben 15 Prozent der Eltern an, ihr Kind schon mit der Hand auf den Po geschlagen zu haben. 7 Prozent haben schon Ohrfeigen verteilt.

Noch häufiger ist psychische Gewalt, etwa die Drohung, die Kinder nicht mehr zu lieben, sie zu verlassen oder sie heftig anzuschreien. Anders als früher setzen die meisten Eltern diese Mittel allerdings nicht mehr bewusst ein, sondern wenn sie überfordert sind. Die meisten geben auch an, sich nachher dafür zu schämen.

Eltern sagen, sie würden sich anders verhalten

«Das neue Gesetz macht deutlich, dass alle Formen von Gewalt für Kinder schädlich sind, auch die psychischen», sagt Regula Bernhard Hug von Kinderschutz Schweiz. Wissenschaftlich sei das längst belegt. Viele Eltern seien aber noch in einer Umgebung aufgewachsen, in der eine Ohrfeige «zum richtigen Zeitpunkt» als nützlich galt. Das Verbot schaffe darum Klarheit: Diese Zeiten sind endgültig vorbei.

Tatsächlich zeigt die Freiburger Studie, dass Eltern ihr Verhalten anpassen, wenn sie mehr über die Folgen von Gewalt wissen. 70 Prozent finden, ein Gesetz würde helfen, Gewalt zu vermeiden. 12 Prozent sagen sogar, sie würden ihre Kinder anders behandeln, wäre gewaltfreie Erziehung per Gesetz vorgeschrieben.

Gewalt heisst extra wehtun

In Europa haben die meisten Länder bereits ein Verbot, wie es die Schweiz noch diskutiert. Einige wie Österreich oder Schweden schon seit mehr als 30 Jahren, andere wie Frankreich erst seit kurzem. Eine vergleichende Studie wies 2011 nach: In Ländern, die ein umfassendes gesetzliches Verbot kennen, geht die Gewalt gegen Kinder stärker zurück als in solchen, die nur Informations- und Sensibilisierungskampagnen fahren. Gerade bei leichteren Körperstrafen werde die symbolische Bedeutung von Reformen beim Recht unterschätzt, hält die Studie fest.

Doch was ist Gewalt und was nicht? Wie viel Freiheit hätten Eltern künftig noch? Gemäss Regula Bernhard Hug von der Stiftung Kinderschutz gibt die Uno-Kinderrechtskonvention die Regeln vor. «Ein Kind festhalten, wenn es auf die Strasse rennen will, ist selbstverständlich in Ordnung. Dem Kind extra wehtun, physisch oder psychisch, geht hingegen nicht.»

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Raphael Brunner, Redaktor
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