Es tutet – ein gutes Zeichen! Leider nur zwei Mal, dann spult eine monotone Stimme vom Band: «Auf dieser Rufnummer können zurzeit keine Anrufe empfangen werden.» Kein Anschluss unter dieser Handynummer? Zweiter Versuch per SMS. Wenig später meldet sich Jonathan – auf dem Festanschluss des Lehrlingshauses, in dem er wohnt. «Sorry, hab kein Geld mehr auf der Karte», entschuldigt er sich. Es ist der 24., Monatsende.

Jonathan ist 18 Jahre alt und Kochlehrling im ersten Ausbildungsjahr. Um so selbstständig zu sein, wie er sein will, braucht er vor allem eines: ein regelmässiges Einkommen. Jonathan lebt zusammen mit zwei Kollegen, Fixkosten wie Miete, Krankenkassenprämien und Versicherungen werden ihm bezahlt. Was er verdient, das gibt er aus. Sparen hat er verschoben. «Wir sind schliesslich in Züri, das ist mega», sagt er und legt seinen treuesten Begleiter, das Handy, auf den Tisch.

Der Kochlehrling gehört zu jenen 75 Prozent junger Schweizer, die mindestens zwei Mobiltelefone ihr Eigen nennen: «Ohne mein Handy bin ich nur ein halber Mann.» 315 SMS in einer Woche hat Jonathan neulich mit einer Bekannten ausgetauscht. Ein teures Hobby. Bis zu 400 Franken monatlich blättert er an Telefonkosten hin. Zudem ist er ein Kosmetikjunkie: Vier Hautcremen, drei After-Shaves, diverse Haar- und Zahnprodukte gehören zu seiner Grundausstattung. Im Schnitt bis zu 200 Franken pro Monat lässt er sich den Schönheitskult kosten. «Früher hatte ich nie Geld. Heute leiste ich mir das.»

«Kaufsüchtig» würde das manche Schuldenberatung nennen. Kaufsucht, das ist ein Verhalten, bei dem ständiges Einkaufen vor allem einen Zweck erfüllt: dass man sich vermeintlich besser fühlt mit dem, was man ersteht, obwohl man es nicht wirklich braucht. 17 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz leiden unter Kaufsucht, weitere 47 Prozent haben die Tendenz zu unkontrolliertem Shoppen. Selber bemerkt man die Anzeichen kaum und wenn, ist der Schuldenberg meist schon gross. Für Jonathan ist klar: «Ich weiss, dass ich viel Geld ausgebe. Aber ich brauche meine Konsumration.»

Knapp 1100 Franken hat der Kochlehrling pro Monat zur Verfügung: Telefon, Ausgang, Essen und Klamotten gehen davon ab. Das ist mehr, als andere haben, denn je nach Branche und Betrieb liegen Anfangslöhne zwischen 500 und 1000 Franken. Jonathan reicht es trotzdem nicht. Weil er «Mist gebaut hat», nicht aufgepasst hat, was seine stundenlangen Gespräche über eine Flirtline kosten, und jetzt beim Telefondienstleister in der Kreide steht. Die Höhe des Betrags will er nicht nennen. Nur so viel: Die nächsten zwei Lehrjahre wird er die Schulden ratenweise abstottern, Monat für Monat und mit Zinsen. Schuldensanierung nennt sich das.

Überziehen mit der Plastikkarte
Und nun? An jedem Monatsende wirds eng, deshalb überzieht er den Betrag, der ihm fehlt, auf dem Postfinance-Konto – per Plastikkarte. 500 Franken kann er damit ins Minus gehen. Dass die beim nächsten Lohn erneut fehlen und so wieder rote Zahlen drohen, stört ihn nicht. «Wenn die Bank mir das Geld anbietet, nehme ich es. Ich will jetzt leben, nicht später.»

Jonathan mag ein Extremfall sein, ein Einzelfall ist er nicht. Das bestätigt Sandro Forni, Lehrer an der KV-Berufsschule Schwyz: «In dem Alter über die Stränge zu schlagen ist normal. Was sich geändert hat, ist das Bewusstsein für Geld. Das ist heute eine hypothetische Sache. Es ist automatisch da.» Wie sich der Alltag finanziere, was Eltern verdienten oder Ferien im Einzelnen kosten würden, wüssten viele Lehrlinge nicht. Einen Vorwurf, so der Lehrer, könne man den Teenies aber kaum machen: «Wer spricht schon über Finanzen? Die Jugendlichen sind Kinder ihrer Zeit, ihrer Eltern und des Konsummarktes, der sie als Kunden pflegt.»

Es ist aber auch verzwickt, denn Lehrlinge sind in einer Zwittersituation: Sie sind jugendliche Erstverdiener, sollen gleichzeitig erwachsen sein, verantwortungsvoll mit dem Lohn umgehen und möglichst noch fürs Alter sparen. Dabei sind endlich die Sackgeldtage passé, fliesst Eigenverdienst aufs Konto. Ganz oben auf der Ausgabenhitliste stehen Ferien, Shopping, der Ausgang, Handys, Alkohol und andere Drogen.

Wen wundert, dass viele beim Spagat zwischen Vernunft und Versuchung gehörig auf die Nase fallen, Bussen und Rechnungen nicht rechtzeitig bezahlen und Konten überziehen. Eltern geben Überbrückungsgelder, von Kollegen leiht man hier und da. Die Jugendlichen handeln, wie es ihnen die «Alten» vormachen: Immerhin hat jeder fünfte Schweizer Schulden.

Persönliche Sparstrategie finden
Wie viele Lehrlinge mit Geldsorgen kämpfen, darüber gibt es hierzulande keine genauen Zahlen. Experten greifen deshalb auf eigene Erfahrungswerte zurück. «30 Prozent der Jugendlichen leben auf Pump, 80 Prozent der Erwachsenen machen ihre ersten Schulden vor dem 25. Lebensjahr», sagt Michael Claussen, Stellenleiter der Basler Budgetberatung Plusminus.

Der Blick in die Nachbarländer bestätigt diese Aussage. Das Münchner Institut für Jugendforschung fand heraus, dass 13 Prozent der 18- bis 20-Jährigen mehr ausgeben, als sie haben. In Österreich beruft sich eine Lehrlingsstudie darauf, dass für 44 Prozent der 16- bis 29-Jährigen das Schuldenmachen «etwas Alltägliches» sei und 38 Prozent der Lehrlinge «Geld ausgeben müssen, wenn sie es haben». Auf die Schweiz seien diese Fakten wohl übertragbar, so Schuldenexperte Claussen.

Diesen Satz würde die 18-jährige Ramona unterschreiben. Knapp bei Kasse zu sein, das kenne jeder. Und jeder habe einen Kollegen oder eine Kollegin, die mit dem Geld nicht wirklich zurechtkomme. Die junge Schwyzerin ist im zweiten Lehrjahr bei einem EDV-Dienstleistungsbetrieb tätig. Ihr Lohn: 850 Franken. Ihre Ausgaben: Bis zu 150 Franken für ein Weekend, monatlich je 160 Franken für Essen und 50 Franken fürs Mobiltelefon und andere Kleinigkeiten.

Früher, im ersten Lehrjahr, war Sparen für Ramona fast unmöglich. Was sie hatte, war rasch verbraucht, das Konto überzogen. Heute kommt sie mit ihren Finanzen klar: dank einem monatlichen Dauerauftrag über 200 Franken auf ein Sparkonto und weiteren 150 Franken, die sie an ihre Eltern abgibt. Die halten für sie das Geld zusammen, das sie für Schulmaterial und anderes braucht. «Eine gute Sache», lobt Budgetfachmann Claussen. Wer nur gratis im Hotel Mama lebe, könne nicht haushalten lernen.

«Wenn ich alles Geld auf dem Lohnkonto hätte, wäre es weg», weiss Ramona. «Es ist eine grosse Umstellung, wenn man eigenes Geld verdient. Wir haben zu Hause viel diskutiert. Heute bin ich froh über die Sparlösung.» Bei der Erfüllung von grösseren Wünschen allerdings ist es mit ihrer Zurückhaltung doch vorbei, dann plündert sie das Reservekonto, wie kürzlich für eine neue E-Gitarre.

Zwei Dinge versucht Ramona zu vermeiden: ihr Lohnkonto um mehr als 80 Franken zu überziehen und Rechnungen liegen zu lassen. Wenn es an Geld mangelt, redet sie mit Kollegen darüber. Konzerttickets und CDs bestellt sie online. Das ist billiger. Die EC-Karte wird nur benutzt, wenn sie gezielt einkaufen geht, denn mit Plastikgeld geht der Finanzdurchblick flöten. Kreditkarten braucht sie nie: «Ich hab einen Riesenrespekt vor roten Zahlen, weil ich Angst davor habe, aus Schulden nicht mehr rauszukommen.»

Ramonas Furcht ist nicht unbegründet, denn «wer nicht bezahlt, wird als schlechter Zahler registriert», weiss Thomas Kast, Präsident vom Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute. Will sagen: Mit einem Kredit fürs Auto oder Haus wird es später schwierig.

Mit dem ersten Verdienst kommen finanzielle Pflichten auf Lehrlinge zu: Steuern, Krankenkassenprämien, Arztrechnungen. «Damit sind sie nicht vertraut. Teils, weil das bisher die Eltern bezahlten, teils, weil sie nicht daran denken», erläutert Schuldenfachmann Claussen. Ein Budget aufzustellen, also Ausgaben und Einnahmen gegenüberzustellen, wäre das Ideale, um Finanzmiseren vorzubeugen. «Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was man braucht und was nicht.» Einzeln betrachtet sei jede Ausgabe gerechtfertigt. Aber erst im Gesamtbild merke man, ob die Rechnung aufgehe.

Doch mal ehrlich, wer macht schon ein Budget und hält sich auch noch daran? Deshalb hat Claussen vier Tipps, die viel bringen, zusammengestellt:

  • Steuern akonto bezahlen, also in monatlichen Anteilen, ab dem ersten Lohn, damits keine böse Überraschung gibt.
  • Rechnungen nicht verschieben, sondern sofort nach Eintreffen des Lohns zahlen.
  • Alles, was regelmässig anfällt, mit einem Dauerauftrag lösen. Dann muss man nicht dran denken.
  • Das Konto nie plündern und auf den nächsten Lohn spekulieren. Sonst wird es im Fall einer vergessenen Rechnung eng.


Nur so macht es Spass, das übrige Geld auszugeben – auch wenn es etwas weniger ist.

«Eben», nickt Irene, 18, Lehrtochter eines Treuhandbüros. «Wenn ich verschuldet bin, kann ich mir nichts Spezielles leisten, Freunde nicht einladen, keine Fahrprüfung machen, ohne wieder Geld zu borgen.» Geld zu haben ist ihr wichtig, deshalb spart sie ein Drittel ihres 800-Franken-Lohns auf einem separaten Konto. Ob andere das bünzlig finden, ist ihr egal. Sie hat gelernt, mit Geld umzugehen – von den Eltern und weil sie früher schon jobbte. Im Ausgang hat Irene gut lachen. Gespart wird dabei ebenso wenig wie beim Shopping. «Ich nehme einen Betrag mit, und den kann ich raushauen», lacht die Schwyzerin. Mehr gibts nicht.

Nicht ganz so streng hält der 19-jährige Göksel sein Geld zusammen. 600 Franken hat der Verkaufslehrling aus Zürich im Monat für sich, und doch ist sein Portemonnaie voll. «Ich habe immer Reserven, ob in meinem zweiten Geldbeutel oder auf meinem Sparkonto.» Auch, um sein Liebstes zu finanzieren: den Ausgang und die Handys. Neun Stück hat er. Und Schulden? «Hasse ich», sagt er.

Rechnungen bezahle er, bevor die Mahnung eintrudle. Und wenn es im Ausgang mal richtig zu und her gegangen sei, 300 Franken den Besitzer wechselten, na und? Dann gebe es eben weniger Klamotten, und die Reserve sei auch noch da. «Das klappt, weil ich mein Lohnkonto auf eigenen Wunsch nicht überziehen kann», erzählt er. Seinem Kollegen gab er den Tipp: Karte ja, aber eine, mit der man nur am Schalter Geld bekommt. «Wenn er morgens Geld für den Ausgang holt, überlegt er, ob er es für etwas anderes ausgibt. Abends sind die Banken zu, der Ausgang wäre gestrichen.»

Guter Tipp! Man kann lernen, wie man mit Geld umgeht und dennoch nicht auf alles verzichten muss, davon ist das Team der Budget- und Schuldenberatungsstelle Plusminus überzeugt. Wie es geht und wo die Fallen liegen, verraten die Plusminus-Experten in der neuen Kampagne max.money. Ab 4. November laufen die Eröffnungsevents. Anhand eines Handbuchs und einer CD-ROM für Eltern und Lehrer sowie eines lockeren Gratismagazins für Jugendliche will Plusminus der Finanzproblematik die moraline Ernsthaftigkeit nehmen und dennoch aufklären. Motto: Kohle haben ist cool, besonders wenn man damit umgehen kann!

Achtung, Schuldenfalle!

  • Darlehen: Wenn schon Geld pumpen, dann bei Eltern, Kollegen, Verwandten. Um Moralpredigten oder dicke Luft zu vermeiden, gemeinsam und mit Hilfe eines realistischen Budgets festlegen, wann und wie die Schulden zurückgezahlt werden.

  • Kontolimite: Für die Banken lohnt sich ein Kontoüberzug, weil die Verzugszinsen um die 9,5 Prozent betragen. Drum am besten freiwillig eine Nulllimite setzen, dann aber genug Geld auf dem Konto haben, damit Daueraufträge abgebucht werden können. Konto mit niedrigen Spesen wählen.
  • Plastikgeld: Bei Kundenkarten, Kredit- und Debitkarten heisst es vor allem: Überblick bewahren! Deshalb, wenn schon, dann nur eine Karte. Am besten eine Debitkarte ohne Kreditlimite – EC-Direct oder Postcard.
  • Leasing: Auch teure Produkte erscheinen mit Leasing billig. Aber: Es ist eine Zwangsmiete mit vielen Auflagen. Kündigen ist schwer – meist wird man dann mit höheren Raten bestraft. Gut informieren und auch an Kosten denken, die beispielsweise ein geleastes Auto zwangsweise verursacht.
  • Kredit: Geld von der Bank bekommt man nicht geschenkt. Man zahlt es mit Zinsen zurück – die sind hoch, bis zu 15 Prozent. In der Regel ein schlechtes Geschäft. Hände weg!
  • Steuern: Ab 1000 bis 2000 Franken Monatslohn geht es los mit der Steuerpflicht. Unbedingt akonto bezahlen, denn Steuern sind obligatorisch.

Hier gibt es Hilfe, wenn es mit dem Geld nicht mehr klappt - Adresslisten Budgetberatungsstellen, Budgetbeispiele, Musterbriefe:

  • www.plusminus.ch
  • Hilfestellung bieten auch die Jugendberatungsstellen und -sekretariate


So spart man Geld:


Quelle: Plusminus