«Reise vor dem Sterben, sonst reisen deine Erben», steht in grossen Buchstaben über die ganze Rückseite eines Wohnmobils geschrieben. Der Satz, den es auch als T-Shirt-Aufdruck gibt, fasst zusammen, worum es beim Erben geht: um Materielles, um Gefühle und vielleicht auch um verpasste Gelegenheiten.

Kein Wunder, inspirieren Erbschaftsgeschichten seit jeher Schriftsteller und Drehbuchautoren zu Büchern und Filmen. Oder liefern Stoff für Krimispielabende: «Das 13. Testament des Herrn Buchholz» heisst etwa das Krimidinner eines Spieleverlags, an dem bis zu zehn Leute miträtseln können, wer den vermögenden Herrn in seiner Villa umgebracht hat.

Der verlorene Sohn

Einer der ersten Erben in der Literatur kommt in der Bibel vor. Die Geschichte des verlorenen Sohns ist eine der bekanntesten des Alten Testaments: Der jüngere von zwei Söhnen verlangt von seinem Vater einen Erbvorbezug , geht in die Welt hinaus, gibt alles aus, kehrt mittellos zurück und wird vom Vater trotzdem gefeiert – sehr zum Missfallen des anderen Sohnes.

Gefühle wie Eifersucht, Neid, Freude, Hass oder Ohnmacht löst das Erben bis heute aus. Wer was erbte, wurde in der Vergangenheit höchst unterschiedlich geregelt. Das Erben verlief nach Gewohnheitsrecht ohne Gesetzesparagrafen oder nach einem spezifischen Erbrecht.

Im Laufe der Zeit ging das Vermächtnis je nach Kultur nur an bestimmte Erben – auf dem Land etwa an den jüngsten Sohn, um eine wirtschaftlich sinnvolle Grösse von Bauernhöfen zu bewahren.

Söhne und Töchter gleichgestellt

Die städtische Praxis war hingegen freier: St. Gallen stellte die Söhne und die Töchter bereits im 15. Jahrhundert gleich. Schon davor, im 13. und 14. Jahrhundert, waren Testamente aufgekommen, in denen gern die Kirche begünstigt wurde.

Zum Schutz der Erben mussten die Testamente in einigen Städten erst vom Gericht oder vom Rat geprüft werden. Lange war das Erben nach kantonalem Recht geregelt, bis mit dem Zivilgesetzbuch 1912 ein für die ganze Schweiz geltendes Erbrecht entstand.

Grosses Thema in der Literatur

Vor der Frage, welche der drei Töchter das Königreich erbt, steht König Lear im gleichnamigen Shakespeare-Stück. Vorangetrieben wird das Drama durch Motive wie Rebellion, Konflikte, Mord und Intrigen.

Ums Erben dreht sich auch der Roman «Verstand und Gefühl», den Jane Austen 1811 veröffentlichte und der 1995 unter dem Titel «Sinn und Sinnlichkeit» verfilmt wurde. Eigentlich geht es hier um das Nichterben, denn zwei Schwestern sind nur deshalb mittellos und auf eine Verheiratung angewiesen, weil das Erbe hauptsächlich an den Sohn aus erster Ehe des Vaters gegangen ist.

Mit dem Essay «Vaters Kiste. Eine Geschichte über das Erben» hat der Schweizer Autor Lukas Bärfuss dem Thema ein Buch gewidmet. Darin setzt er sich kritisch mit der eigenen Geschichte und mit dem gesellschaftlichen Aspekt des Erbens auseinander.

Bei der Kiste handelt es sich nicht um die umgangssprachliche Million, sondern um einen Umzugskarton – das Erbe des mittellosen Vaters hat Bärfuss ausgeschlagen.

Schockmomente für die Erben

Die Frage, ob es etwas zu erben gibt oder nicht, ist ein beliebtes Sujet: Etliche Filme und Romane beginnen mit der Testamentseröffnung des Notars vor den gespannten Angehörigen, die böse oder schöne Überraschungen erleben.

Etwa der Krimiklassiker «Der Wachsblumenstrauss» von Agatha Christie, der 1963 verfilmt wurde und in dem ein Erbe nach dem anderen in Verdacht gerät, den gerade Verstorbenen umgebracht zu haben.

Zurück in die Wirklichkeit

«Solche filmischen Testamentseröffnungen haben wenig mit der Realität zu tun», sagt Gabrielle Sigg, Leiterin der Abteilung Willensvollstreckung des VZ Vermögenszentrums. Mandate als Willensvollstreckerin gehören zu ihrem täglichen Brot.

Gemäss Zivilgesetzbuch ist es eigentlich vorgeschrieben, dass das Testament im Beisein der Erben eröffnet wird. Die meisten Kantone würden das jedoch schriftlich machen, erklärt Sigg. Ein Willensvollstrecker kann den Erben schon vor oder während des laufenden Eröffnungsverfahrens eine Kopie des Testaments zustellen oder persönlich vorlegen.

Filmreife Szenen

Solche Sitzungen, sogenannte Privateröffnungen, gehen gemäss Gabrielle Sigg eher in Richtung der vertrauten Filmszenen. Relevant dafür ist der Zeitpunkt. Denn die Erben können innert einer bestimmten Frist nach Kenntnisnahme gegen das Testament klagen. Während Privateröffnungen hat Gabrielle Sigg schon lange Gesichter bei den Angehörigen erlebt. Gibt es bei grossen Erbschaften mehr Konflikte? Die Nachlassspezialistin schüttelt den Kopf: «Nein, es gibt auch Situationen, in denen um einen Toaster gestritten wird.» Meist laufe die Willensvollstreckung aber ohne grosse Misstöne ab, da eine Nachlassplanung vorangegangen sei.

Anekdoten, die das Leben schrieb

Ein Testament ermöglicht es, auch nach dem Tod eine gewisse Macht auszuüben und das Geschehen zu beeinflussen. Manche Menschen legen dabei Sinn für Humor oder Theatralik an den Tag, wie Anekdoten aus Gabrielle Siggs Arbeitsalltag zeigen.

So vermachte ein Erblasser zwei Personen je einen mittleren fünfstelligen Betrag mit der Auflage, das Geld für eine Schiffsreise von Hamburg nach New York zu verwenden, um mitten im Nordatlantik eine rote Rose in Gedenken an ihn ins Meer zu werfen.

Ein anderer bestimmte, das ganze Vermögen solle für die Pflege und die Betreuung seines Pferdes eingesetzt werden. Die Erben sollten erst nach dem Ableben des Tieres den Rest erhalten.

Orchideenpflege als letzter Wunsch

Manchmal werden Gabrielle Sigg und ihr Team als Willensvollstreckerinnen auch für Spezialaufgaben auserkoren: Einem Erblasser mussten sie versprechen, gemäss seiner Anleitung seine Orchideen zu hegen und zu pflegen.

Diesen letzten Wunsch erfüllten die Willensvollstreckerinnen sehr gerne.