«Der Ehemann wird es dann schon richten, reicht heute als Strategie nicht mehr.» Was sich anhört wie aus den 1960er-Jahren, steht im Blog von «Miss Finance» Angela Mygind – und ist offenbar eine nötige Ansage zum Thema Finanzen.

Frauen haben, besonders mit Kindern, häufiger Lücken in der Vorsorge als Männer und nicht nur deswegen ein höheres Risiko für Altersarmut. Trotzdem geben in einer UBS-Studie nur 20 Prozent der Frauen an, sich für Vermögensaufbau zu interessieren. 85 Prozent der Frauen setzen sich überhaupt nicht mit den Finanzmärkten auseinander.

Das war auch Angela Mygind bis vor wenigen Jahren der Fall. Die gelernte Buchhändlerin arbeitete als Direktionsassistentin auf Konzernebene, verdiente gut und hatte sich eine für ihr Alter ansehnliche 3. Säule aufgebaut. Doch irgendwann fiel ihr auf, dass die Inflation ihr die Zinsen wegfrass. Ohne sich gross mit dem Angebot auseinanderzusetzen, legte sie das Geld auf Empfehlung hin in einem Versicherungsprodukt an. Und verlor 6000 Franken. Ihr Wissen über den Finanzmarkt sei damals praktisch null gewesen, doch der Ärger über den Verlust war Grund genug, sich ins Thema einzuarbeiten, sagt die 34-Jährige. «Sobald ich anfing, es zu verstehen, wuchs mein Interesse immer mehr.»

Einschneidende Konsequenzen

In der gleichen Zeit begann in ihrem Freundeskreis das Kinderkriegen. «Ich sah bei so vielen Frauen, wie sie sich abhängig machten und die Verantwortung für ihre finanzielle Absicherung an ihre Partner abgaben. Es war kein gutes Gefühl, das zu beobachten», sagt Mygind. «Wenn ich als Frau unabhängig sein will, muss ich mich um meine Finanzen kümmern.» Denn für Frauen seien die Konsequenzen besonders nach einer Familiengründung wegen der gesellschaftlichen Strukturen viel einschneidender als für Männer.

Doch missionieren habe sie im privaten Umfeld dann doch nicht wollen. Für ihre eigenen Finanzen aber informierte sich die Luzernerin weiter, recherchierte, machte Notizen zu Anlagen und Investitionen. Dann kam die Pandemie, leere Zeit und damit die Idee, ihr Wissen in einem Blog weiterzugeben. «Miss Finance ist ein Corona-Baby», sagt Mygind. Sie wirkt entspannt beim Kaffee, obwohl eine Reihe Termine auf sie wartet. Ihre Worte aber scheint sie doch geübt und mit Bedacht zu wählen.

Sie habe den Blog ohne Strategie begonnen und habe damit auch nicht die Öffentlichkeit suchen wollen. Doch bald wuchsen die Zahlen, und sie konnte immer mehr Kontakte mit der Start-up-Bubble knüpfen. Heute zählt Mygind mit ihrem Blog und dem Podcast zu den bekanntesten sogenannten Finfluencerinnen der Schweiz.

«Mein Tipp lautet grundsätzlich ­immer: Wenn es zu schön klingt, um wahr zu sein, dann ist es das auch.»

Angela Mygind

Finfluencer – schon fast ein Reizwort, wenn man sich die Berichterstattung der vergangenen Monate anschaut. Besonders aus der Banken- und Versicherungswelt kommen kritische Worte. «Es gab gar Workshops für Finanzberater, in denen gezeigt wird, wie man mit Finanzbloggern umgehen soll», so Mygind. Natürlich verstehe sie, dass man kritisch sei, doch oft werde ein sehr einseitiges Bild vermittelt.

Wer sich in Dubai vor den Lamborghini stelle und verspreche, dass eine Aktie bald durch die Decke gehe, sei eine komplett andere Person als diejenigen, die in der Schweiz über Finanzen bloggen. Hier sei man eher konservativer unterwegs. Zudem sind die Vorgaben zu Werbung, Beratung und zum Anbieten von Finanzdienstleistungen ziemlich strikt. Anlageberatungen etwa sind nur mit einem Eintrag im Beraterregister möglich.

«Mein Tipp lautet grundsätzlich immer: Wenn es zu schön klingt, um wahr zu sein, dann ist es das auch», sagt Mygind. Zudem solle man stets überprüfen, ob der Sitz eines Anbieters in der Schweiz sei und ob Geld ins Ausland überwiesen werde. Das Wichtigste dabei: «Sich stets fragen: Habe ich alles verstanden?» Der Rat, sich mit Finanzen vertieft auseinanderzusetzen, ist für Mygind ein Grund dafür, dass sich einige Berater der älteren Generation gegen Finfluencer stellen. «Mehr finanzielle Bildung der Bevölkerung führt natürlich auch vermehrt zu kritischen Fragen. Das kann unbequem sein, wenn man der Kundin gern das neuste Produkt andrehen möchte.»

Kritik und Druck

Grundsätzlich gebe es zwei Lager, sagt Mygind. «Die einen fühlen sich von uns bedroht, die anderen sehen es positiv, dass dank Finanzblogs mehr Menschen finanzielle Bildung erhalten – und der Kuchen damit grösser wird.» Kritik komme sowieso, sobald man als Frau, besonders als junge Frau ohne Finanzausbildung, zum Thema Auskunft gebe. «Die Leute trauen es einem schlicht nicht zu.»

Druck erlebt Mygind auch von ihren Followerinnen. Sie sagen ihr, worüber sie sprechen, wofür sie sich einsetzen soll. «Man wird zur Projektionsfläche.» Natürlich bringe Sichtbarkeit auch Verantwortung mit sich. «Aber es ist meine Plattform und meine Entscheidung, worüber ich schreibe und spreche», betont sie.

«Zu 80 Prozent sind es Frauen, die mir folgen», sagt sie und ist überzeugt, dass es an der Art liegt, wie sie das Wissen vermittelt. «Es geht darum, alltägliche Anknüpfungspunkte und konkrete Situationen und Fakten zum Thema Finanzen miteinander zu verbinden. Erst dann wird es nahbar und spannend.»

Das Geld arbeiten lassen

Gibt es Interessenkonflikte und Abhängigkeiten von Sponsoren? Wichtig sei, dass man transparent mache, von wem man gesponsert werde, sagt Mygind. «Werbung wird gekennzeichnet, und ich arbeite nur mit langfristigen Partnern.» Es gehe auch nicht darum, ein Produkt zu verkaufen. Sie vergleicht Angebote, die für unterschiedliche Lebenssituationen geeignet sind, und erklärt, wann welches sinnvoll ist. «Schlussendlich ist es wichtig, das eigene Finanzwissen aufzubauen und die eigenen Bedürfnisse zu kennen.»

Sie selbst investiert mittlerweile relativ langweilig. «Buy and hold.» Das war nicht immer so. Erst hatte sie es mit häufigem Kaufen und Verkaufen versucht, doch das war ihr zu stressig und zu unsicher. «Ich habe viel experimentiert und einiges an Lehrgeld bezahlt.» Über Verluste und Fehler zu sprechen, sei wichtig, findet Mygind.

Sie verdient heute weniger als damals, als sie ihren Blog gestartet hat. Sie hat ihren Job auf Teilzeit reduziert und investiert die freie Zeit in «Miss Finance». «Ich weiss, das mutet im Zusammenhang mit Finanzen seltsam an, aber ich bin nicht einfach hinter mehr Geld her. Ich will bloss das Geld, das ich habe, bestmöglich arbeiten lassen.» Sie selbst arbeitet derzeit an einer besseren Work-Life-Balance. «Ich muss mich immer mal wieder selbst daran erinnern, dass für mich persönlich stetiges Wachstum nicht das Ziel ist.»