Der Zürcher Szeneklub Abart und die Wohngemeinschaft für Jugendliche in Rafz haben etwas gemeinsam: Sie verbuchten die ersten Rekorde auf Schweizer Plattformen für Crowdfunding. Das «Abart», das Ende 2012 seine Türen schloss, ergatterte auf Wemakeit.ch 34'000 Franken für ein Buchprojekt. Die Höchstsumme von 54' 000 Franken kam für das Projekt «Betreutes Wohnen Rafz» auf 100-Days.net zusammen.

Dass das Geld dermassen fliesst, überrascht selbst die Initianten, die erst vor einem Jahr die Schweizer Plattformen aufschalteten. «Unsere Erwartungen wurden übertroffen», sagt Rea Eggli, die mit zwei Partnern Wemakeit.ch («We make it») betreibt. Innerhalb eines Jahres liessen Kulturkonsumenten 1,5 Millionen Franken springen und verhalfen so 289 Projekten zum Durchbruch.

Vertrauen von Beginn an

Bei 100-Days.net, vom Lifestyle-Newsletter «Ron Orp» fast zeitgleich ins Leben gerufen, kann sich die erste Jahresbilanz ebenfalls sehen lassen: 600'000 Franken ausgeschüttete Crowd-Gelder für insgesamt 89 Projekte. «Für uns war die Plattform zuerst ein Experiment», sagt Mitgründer Romano Strebel, «und wir staunten nicht schlecht, wie schnell das Zusammenspiel zwischen Machern und Unterstützern funktionierte und das Vertrauen da war.» Dass «Ron Orp» bereits über eine Community von 170'000 Newsletter-Abonnenten verfügte, sei dabei «matchentscheidend» gewesen.

Crowdfunding, zu Deutsch Schwarmfinanzierung, gibt es im Ausland bereits seit rund zehn Jahren. Die Idee stammt aus den USA. Das Prinzip: Wer eine gute Idee hat und ein entsprechendes Projekt auf einer Crowdfunding-Plattform aufschaltet, erhält die Chance, das nötige Startkapital über die Internet-Community hereinzuholen. Im Gegenzug muss der Urheber seinen potentiellen Spendern ein Dankeschön-Geschenk anbieten.

Als erfolgreich gilt eine Kampagne, wenn sie innerhalb der Laufzeit das selbstgesteckte Finanzierungsziel erreicht. Dann darf die komplette Summe in die eigene Tasche gesteckt werden. Bleibt die Kampagne hingegen hinter den Zielvorgaben zurück, werden die Gelder den Spendern, den sogenannten Boostern, zurückerstattet – und die Kreativen gehen leer aus.

Die Schriftstellerin Milena Moser hat als Unterstützerin bereits viermal je 250 bis 500 Franken in ein kulturelles Projekt auf Wemakeit.ch gesteckt. Zwei dieser Projekte wurden realisiert, zwei scheiterten an der finanziellen Hürde, die man sich auferlegt hatte. «Persönlich tut es meinem Karma gut, wenn ich teile, was ich habe», begründet die Autorin ihre Spendebereitschaft. Die neuzeitliche Form des Geldsammelns sei zudem eine sehr direkte Art der Unterstützung. «Ich weiss, was mit meinem Geld konkret realisiert wird, und kriege zugleich ein persönliches Geschenk.» Bei grossen Organisationen, wo nicht klar sei, welcher Betrag am Schluss tatsächlich bei den Hilfsbedürftigen ankomme, habe ihr diese Transparenz gefehlt.

Kommerz allein ist unerwünscht

Die Macher von Wemakeit.ch konzentrieren sich auf Projekte aus dem Kulturbereich. Bei 100-Days.net hat jede gute Idee eine Chance – sofern sie nicht rein kommerziell ist. So habe man eine Sammelaktion für einen privaten Dachstockausbau abgelehnt, weil der Urheber als Dankeschön mit Zeichnungen seines Sohnes warb, sagt Romano Strebel von 100-Days.net. «Bei der hohen Geldsumme, die die Eingabe benötigte, schienen uns Kinderzeichnungen zu wenig reizvoll als Goodie – und das Kind wurde für unseren Geschmack zu sehr instrumentalisiert.»

Trotz Einschränkungen dieser Art gibt es bei 100-Days.net eine Vielfalt an Kampagnen. So wollen die Eltern des fünfjährigen Mael, der an der seltenen Niemann-Pick-Krankheit leidet, einen Verein gründen, der die Unterstützung von Menschen mit solch seltenen Krankheiten zum Ziel hat. Sechs Tage vor Abschluss betrug die gesammelte Summe für das soziale Projekt bereits 16'796 Franken.

Eher harzig angelaufen ist hingegen das Vorhaben «Trüffelplantage». Nach 45 Tagen Laufzeit mochten erst fünf Booster für insgesamt 2900 Franken Teilhaber einer entsprechenden Plantage werden, was bei Halbzeit erst zehn Prozent des angepeilten Totalbetrags entspricht.

Deutlich mehr Geld als im Beschrieb erwünscht bekam das Projekt «Ein Therapiehund für Nikolaj». Der zweijährige Knabe leidet am Dravet-Syndrom, und der gesponserte Therapiehund reagiert auf Nikolajs Epilepsie, bevor die Anfälle eintreten. 3000 Franken wurden angepeilt, 10'929 kamen zusammen.

Das private Umfeld zahlt das meiste Geld

Eine originelle Idee oder ein sinnvolles soziales Projekt, eine pointierte Eingabe und ein paar exklusive Belohnungen genügen aber nicht, um zu Geld zu kommen. «Die Ideengeber müssen eine Kampagne fahren und alle Quellen anzapfen, die ihnen zur Verfügung stehen», sagt Romano Strebel von 100-Days.net. Auch Rea Eggli von Wemakeit.ch betont, das A und O jeder Kampagne sei die Mobilisierung des eigenen Netzwerks. «Der Urheber muss während der Laufzeit bereit sein, sein Vorhaben über alle Kanäle zu verbreiten, via Facebook, Twitter, Blogs oder Briefpost.» Nach Einschätzung der Macher stammen 30 bis 50 Prozent der Sponsoren aus dem privaten Umfeld der Geldsucher. Oder gar 100 Prozent.

Mario Schmidli, Vorstandsmitglied des Vereins Betreutes Wohnen Rafz, der mit seinem Projekt die Rekordsumme von 54'000 Franken sammelte, fand unter den Spendern keinen einzigen Namen, den er nicht kannte. «Diese Erfahrung war eher ernüchternd, hatte ich mir doch erhofft, über Crowdfunding zu neuen Geldgebern zu kommen.» Positiv wertet er, dass er dank der professionell aufgezogenen Internetplattform viel administrativen Aufwand einsparen konnte.

Der Zürcher Musiker Ephrem Lüchinger, der über Wemakeit.ch soeben sein Klavierwerk «Are You Prepared?» finanziert bekam, fand es spannend, zu sehen, wie viele Leute sich im Vorfeld für sein Projekt interessierten. Künstler, die Mühe haben, persönlich auf der Plattform als «Bettler» aufzutreten, haben das Prinzip der Schwarmfinanzierung nicht verstanden, findet er: «Als Musiker bitte ich ja nicht um Almosen, sondern liefere den Geldgebern einen Gegenwert. Ausserdem erweitere ich zugleich meine Fangemeinde – und die kommt später im besten Fall auch an meine Konzerte.» Der Aufwand für die Kampagne sei nicht zu unterschätzen, zahle sich für ihn nun aber aus. Lüchinger verschenkt unter seinen Unterstützern signierte Doppel-CDs, erteilt Klavierstunden und gibt Privatkonzerte. Crowdfunding, das er zum ersten Mal nutzte, sieht der Pianist als Alternative zu den öffentlichen Kulturfördergeldern. Aber: «Das eine ersetzt das andere nicht.»

Susanne Spreiter, Leiterin des Popkredits der Stadt Zürich, der Förderstelle für Pop und Jazz, sieht das ähnlich. «Crowdfunding ist für uns eine sinnvolle Ergänzung zur öffentlichen Kulturförderung.» Die Erfahrung habe aber auch gezeigt: «Wer nicht über ein gutes Netzwerk verfügt, hat auf diesem Weg keine Chance, zu Geld zu kommen.» Und nicht jeder vielversprechende Künstler habe auch ein vielversprechendes Netzwerk.

In der Schweiz verzeichnet das Geschäft mit dem Online-Geldsammeln vorerst höhere Durchschnittswerte als in Deutschland, wo die erste Euphorie bereits wieder ein wenig verflogen zu sein scheint: Sowohl auf Wemakeit.ch wie auch auf 100-Days.net erreichen rund 60 Prozent der Bewerber das Sammelziel. Auf den zwei erfolgreichsten Plattformen Deutschlands – Startnext.de und Kickstarter.com – sind es immerhin noch 54 beziehungsweise 44 Prozent.

In Europa gibt es rund 300 Crowdfunding-Plattformen. Längst werden nicht mehr nur Projekte aus dem Kultur- und Sozialbereich sowie private Start-ups mittels Crowdfunding gefördert – das Prinzip schwappt vermehrt auf die Wirtschaft über. Die junge Schaffhauser Firma Urban Games etwa sucht via Schwarmfinanzierung auf Gambitious.com die Summe von 250'000 Euro für ihr Computergame «Train Fever». Mit einigem Erfolg: 16 Tage vor Ablauf der Kampagne waren mehr als 80 Prozent der Summe zugesagt.

Für Aufsehen sorgte der Hilferuf der seit 1785 existierenden Uhrenmarke DuBois et Fils aus Le Locle: Über 220 Uhrenfans aus 19 Ländern haben Aktien gezeichnet. Mit den 1,5 Millionen Franken, die bei dieser ungewöhnlichen Rettungsaktion zusammenkamen, produziert DuBois nun eine neue Uhrenkollektion.

Die Masse machts möglich. Und nicht mehr die Bank.