Als Marianne Hofstetter* (Name geändert) die Rechnungen der Krankenkasse studierte, traute sie ihren Augen nicht. Für die Behandlung ihres Mannes verlangte das Spital Zollikerberg von der Grundversicherung 14'060 Franken. Zusammen mit dem Anteil, den der Kanton bei stationären Behandlungen übernimmt (55 Prozent), beliefen sich die Gesamtkosten auf 31'230 Franken. Diesen Betrag konnte Hofstetter nachvollziehen, immerhin war ihr Mann vier Wochen im Spital gewesen.

Für Unverständnis sorgt aber die zweite Rechnung, die an die Zusatzversicherung ging. Von ihr verlangte das Spital weitere 33'130 Franken, mehr als von der Grundversicherung. «Diese Tarife sind komplett übertrieben», sagt Hofstetter. 

Verständliche Empörung

Die Grundversicherung übernimmt die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose und der Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen. Die Verfassung verlangt, dass diese medizinischen Dienstleistungen ein hohes Qualitätsniveau haben. Wenn nun die qualitativ hochwertige medizinische Behandlung mit den der Grundversicherung verrechneten 31'230 Franken abgegolten ist, welche Leistungen wurden dann für die der Zusatzversicherung verrechneten 33'130 Franken erbracht?

Das Spital Zollikerberg begründet die hohe Rechnung an die Zusatzversicherung mit Arzthonoraren sowie Zusatzleistungen in der Pflege und in der Hotellerie. Privatversicherte hätten etwa Anspruch auf eine persönliche Ansprechperson im Pflegeteam, auf freie Arztwahl sowie auf die Behandlung durch einen leitenden Arzt oder eine Chefärztin. Hinzu kämen Zusatzleistungen der Physio- oder Ergotherapie sowie ein Einzelzimmer, unentgeltliche Übernachtung für Angehörige und ein besonderes Verpflegungsangebot. «Dafür verrechnen wir vertragsgemäss 1058 Franken pro Nacht, die zusätzlichen Arzthonorare machen 6704 Franken für 27 Tage aus», sagt eine Sprecherin des Spitals.

Die Tarifstruktur des Spitals Zollikerberg passt ins Schema, andere Kliniken haben ähnliche Ansätze. Der Preisüberwacher kam in einer Analyse zum Schluss, dass die Spitäler im Durchschnitt den Zusatzversicherungen ihrer Patientinnen und Patienten eine Rechnung schicken, die nahezu gleich hoch ist wie die Rechnung, die sie der Grundversicherung stellen. «Es ist aus Sicht des Preisüberwachers äusserst fraglich, ob die von den Spitälern erbrachten Mehrleistungen gegenüber den bereits von der Grundversicherung bezahlten Leistungen so viel wert sein können», heisst es in der Analyse.

Lange war das Geschäft mit den Zusatzversicherungen eine Blackbox, die Verträge ein gut gehütetes Geheimnis. Anders als bei der Grundversicherung gibt es bei den Zusatzversicherungen keine klar geregelten Tarifstrukturen, die Partner sind in der Ausgestaltung der Verträge weitgehend frei. So manches Spital und so manche Medizinerin scheinen gemäss der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) diese Freiheit in der Vergangenheit arg strapaziert zu haben – zu Lasten der Versicherten.

Anreiz für unnötige Behandlungen

Privatversicherte zahlen häufig nicht nur zu viel, sie haben für manche Eingriffe wie das Setzen eines Stents oder das Entfernen der Prostata auch ein höheres Risiko, Opfer einer Überbehandlung zu werden. So lautet das Fazit einer Untersuchung der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Grund für das erhöhte Risiko: Die finanziellen Anreize sind stark. Die Vergütung etwa für das Entfernen der Prostata ist bei einem Privatpatienten viermal höher.

Überbehandlungen von Zusatzversicherten schlagen aber auch auf die Prämien der Allgemeinversicherten durch, denn grundversicherte Leistungen werden auch bei Privatpatienten von der Grundversicherung bezahlt. 

Nicht zuletzt darum gerät das Geschäftsmodell der Zusatzversicherungen immer stärker in den Fokus behördlicher Kritik. Vor drei Jahren monierte die Finma eine besonders dreiste Masche von Spitälern und Ärzten: Sie stellten Leistungen sowohl der Grund- als auch der Zusatzversicherung in Rechnung. Der Beobachter berichtete bereits 2018 darüber Spital-Tricks Doppelt abkassiert . Im Dezember 2020 legte die Finma nach: Rechnungen der Zusatzversicherung seien häufig intransparent, unbegründet hoch oder ungerechtfertigt.

Noch dezidierter äusserte sich der Preisüberwacher vor einigen Wochen: «Angesichts der Kosten, welche die Spitäler für die zusatzversicherten Leistungen ausweisen, bestehen starke Indizien, dass die Tarife für die Krankenzusatzversicherung in der Schweiz flächendeckend überhöht sind.» Die Situation müsse rasch und umfassend bereinigt werden.

  • Hinweis: Lesen Sie demnächst hier auf beobachter.ch, wie sich ein Berner Spital weigert, der Krankenkasse eine transparente und detaillierte Abrechnung zu liefern.
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