Käse, Uhren, Banken. Dafür ist die Schweizer Wirtschaft bekannt. Ein Blick in die Statistik offenbart, welcher dieser drei Wirtschaftszweige der wichtigste ist: der Finanzsektor. Er trägt rund zehn Prozent zur Wirtschaftsleistung bei, fünfmal so viel wie Landwirtschaft und Uhrenindustrie zusammen. Letzte Zweifel daran, was für eine herausragende Bedeutung die Banken für die Schweiz haben, wurden dieser Tage ausgeräumt.

Die UBS musste ihre strauchelnde Rivalin Credit Suisse übernehmen und so ihre Pleite verhindern – auf Anweisung des Bundes und mit dessen finanzieller Unterstützung. Keine Schweizer Grossbank darf untergehen. Das haben die Behörden mit ihrem Entscheid unmissverständlich klargemacht. Nicht weil das technisch nicht möglich wäre: Das Parlament hat im Anschluss an die Finanzkrise Pläne ausgearbeitet, die eine geordnete Abwicklung von systemrelevanten Banken eigentlich erlauben würden.

Nein, die CS wurde gerettet, weil es die Staatsräson verlangt hat. Es gehe darum, «den Finanzplatz und die Volkswirtschaft der Schweiz zu schützen», sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter, als sie dem Land die schlechte Nachricht überbrachte. Auf dem Spiel standen die Stabilität des globalen Finanzsystems und der gute Ruf des Schweizer Finanzplatzes.

Man sah sich gezwungen, übers Wochenende und per Notrecht einen Deal einzufädeln, damit Banken und Börsen am Montag wieder öffnen konnten. Die Aktion hat die Öffentlichkeit nicht nur vor den Kopf gestossen. Sie hat auch die Illusion zerstört, der sich die Schweiz seit der Rettung der UBS vor 15 Jahren mit dem neuen «Too big to fail»-Regelwerk hingegeben hat. Man dachte, man müsse künftig keine Grossbanken mehr retten.

Ein Trugschluss: Die Schweiz und die Finanzbranche sitzen im selben Boot. Ginge eine Milchverarbeiterin wie Emmi oder die Uhrenfabrikantin Swatch in Konkurs, wäre dies für die Volkswirtschaft wohl verkraftbar. Den Konkurs einer Grossbank kann die Schweiz dagegen nicht hinnehmen – nicht, wenn dies wie jetzt die Credit Suisse betrifft, und erst recht nicht, wenn es in Zukunft erneut die UBS treffen sollte, die nach der Einverleibung der CS ein Gigant geworden ist.

Viel mehr Eigenkapital

Es liegt auf der Hand, dass die Politik nun die Bankenregulierung überarbeiten muss. Die bestehenden «Too big to fail»-Vorschriften sind nun aber nicht hinfällig. Im Gegenteil: Sie sind das Fundament, auf dem die Gesetzgebung aufbauen kann. Dabei stehen zwei Ziele im Vordergrund: die Risiken minimieren, dass man eine Bank retten muss, und den Schaden minimieren, wenn man eine Bank retten muss.

Das einfachste Instrument dafür ist: mehr Eigenkapital. Grossbanken müssen aktuell etwa fünf Prozent ihrer Anlagen aus eigenen Mitteln finanzieren. Das ist viel zu wenig. Forschende wie Anat Admati und Martin Hellwig haben nach der Finanzkrise vorgeschlagen, diese Kapitalquote bei 20 bis 30 Prozent anzusetzen. Mit gutem Grund: Eigenkapital ist die ultimative Sicherheitsvorkehrung. Mehr davon in den Büchern zu haben, macht eine Bank sicherer, egal, welche Art von Krise am Finanzmarkt tobt.

Dagegen liesse sich einwenden, dass die Credit Suisse nicht an einem Mangel an Eigenkapital zugrunde gegangen ist. Nicht finanzielle Verluste und eine Überschuldung waren das Problem, sondern ein genereller Vertrauensverlust der Kundschaft und von anderen Banken. Niemand mehr wollte der Credit Suisse Geld leihen, alle wollten ihr Geld zurück – ein klassischer Bank-Run.

Doch dieses Argument greift zu kurz. Denn die Wahrscheinlichkeit eines Bank-Runs wäre von vornherein viel geringer gewesen, wenn die Credit Suisse mit deutlich mehr Eigenkapital unterwegs gewesen wäre. Mehr Eigenmittel nützen nicht nur den einzelnen Banken, sondern dem ganzen System. Denn: Wenn ein Institut wie die CS pleitegeht, zieht das andere Banken unweigerlich in Mitleidenschaft.

Höhere Kapitalquoten helfen auch ihnen, den Sturm zu überstehen, der vom Untergang einer einzelnen Bank ausgeht. Sie entschärfen das verhängnisvolle «Too big to fail»-Problem damit global. Und nicht zuletzt sind Eigenmittel auch bei der Abwicklung einer Bank von Vorteil.

Dass der Bund die Credit Suisse nicht verstaatlichen wollte, dürfte am finanziellen Risiko gelegen haben: Man befürchtete, dass sich eine Übernahme am Ende als Verlustgeschäft herausstellen könnte und schlussendlich die Steuerzahler für die Fehler des CS-Managements geradestehen müssten.

Hätte die Credit Suisse mehr Eigenkapital zur Verfügung gehabt – zum Beispiel doppelt oder dreimal so viel wie die rund 50 Milliarden Franken, die es gemäss letzten Angaben waren –, wäre damit auch ein viel grösserer Puffer vorhanden gewesen gegen allfällige Verluste. Das bedeutet: Der Bund hätte eine besser kapitalisierte Credit Suisse mit gutem Gewissen übernehmen und ordnungsgemäss abwickeln können – unter Berücksichtigung der Notfallpläne und mit einer Weiterführung der profitablen Schweiz-Einheit der Bank.

Investmentbanken abspalten

Ein weiterer Hebel sind die sogenannten Liquiditätsvorschriften. Erst letztes Jahr hat der Bundesrat beschlossen, dass Grossbanken künftig mehr flüssige Mittel halten müssen – also Bargeld und andere Wertpapiere, die sich im Notfall rasch und ohne grossen Wertverlust verkaufen lassen. Damit sollten sie eine Liquiditätskrise von 90 statt wie bisher nur 30 Tagen überstehen können.

Offensichtlich genügt aber auch dieser Schwellenwert nicht. Eine Verschärfung drängt sich auf.

Eine letzte Option schliesslich wäre, das riskante Investmentbanking ganz abzuspalten. Dieser Modus ist als Trennbankensystem bekannt. In einem solchen System dürfte die UBS nach der Übernahme der Credit Suisse nur noch aus dem Schweizer Retailgeschäft mit Privatkunden und Firmen sowie der globalen Vermögensverwaltung bestehen. Bedeutende Teile der Investmentbank müsste sie dagegen in eine unabhängige Gesellschaft ausgliedern oder verkaufen.

Diese Gesellschaft wäre vermutlich in den USA oder in Grossbritannien domiziliert, wo schon heute ein Grossteil der Investmentbanking-Angestellten der beiden Grossbanken arbeitet. Damit wäre sie auch nicht länger der Schweizer Aufsicht unterstellt. Eingeführt werden könnte ein solches System über eine explizite Trennbankenregel, die Investmentbanking und Retailbanking unter einem Dach verbietet.

Alternativ könnte man riskante Geschäfte auch einfach aus der Schweiz «wegmobben», indem man für sie prohibitiv hohe Kapitalvorschriften erlässt und sie damit unrentabel macht. So oder so wäre ein Trennbankensystem die konsequenteste Variante, um das «Too big to fail»-Problem zu entschärfen. Die Schweiz wäre es allerdings nicht ganz los – schliesslich gibt es auch inlandorientierte Banken wie Postfinance oder Raiffeisen, die als systemrelevant gelten.

Doch mit diesem Schritt wäre das Problem um einige Dimensionen weniger bedrohlich. Käse, Uhren, Banken. All diese Branchen haben für die Schweiz einen hohen Symbolwert. Doch nur die Banken scheinen für das Land unverzichtbar. Nun muss sich die Schweiz überlegen, wie sie in Zukunft damit klarkommen kann.