Vor zwölf Jahren verliebte sich Peter Graber (Name geändert) Hals über Kopf, heiratete und wurde Vater. Für seine Familie mietete der Mittdreissiger ein grosses Haus und ein Auto. Dass dies finanziell überhaupt nicht aufgehen würde, spürte er zwar. Doch Graber brachte es nicht übers Herz, etwas zu sagen: «Ich befürchtete, dass ich damit das Familienglück zerstören würde», erzählt der Berner. Und so machte er einfach weiter.

Schon davor war der Postangestellte immer knapp bei Kasse gewesen. Doch er wollte für seine Frau und das Kind sorgen – und das fast allein. Die Gattin arbeitete nur noch Teilzeit und kümmerte sich um das Baby.

Lange konnte Graber die Geldsorgen vertuschen. Doch eines Tages klingelte der Betreibungsbeamte an der Tür Betreibungen Wie Sie das Schlimmste verhindern . Es hatten sich 100'000 Franken Schulden angehäuft: offene Mietzinsen, Leasingraten, Krankenkassenprämien, Arztrechnungen, Steuern und Darlehen bei Kolleginnen und Kollegen. «Endlich war es raus, eine grosse Last fiel von mir ab.»

Privatkonkurs nicht immer sinnvoll

Peter Graber kündigte das Haus, versuchte mit dem Leasinggeber wegen des Autos zu verhandeln und wandte sich an die Berner Schuldenberatung.

Als Erstes nahm die Beratungsstelle Grabers Finanzen unter die Lupe. Und fand genau die Konstellation vor, in der ein Privatkonkurs sinnvoll ist: Graber verdiente zu wenig, um die Schulden zu bezahlen, aber genug, um keine neuen Schulden zu machen.

Sein Fall ist aber eher selten – meist ist der Privatkonkurs nicht das Richtige. Etwa bei sehr tiefen Einkommen Schulden Zu arm für den Privatkonkurs . Wenn ständig neue Schulden hinzukommen, nützt der Privatkonkurs nichts – weil er die Schuldenspirale nicht unterbrechen kann. Und wer mehr verdient, als er braucht, versucht besser, seine Schulden ganz loszuwerden. Dazu muss man den Gläubigerinnen und Gläubigern ein akzeptables Auszahlungsangebot machen können. Die Schuldenberatungsstellen rechnen dabei mit dem Geld, das in den nächsten 36 Monaten übrig bleibt. Denn drei Jahre lang können die meisten den Gürtel eng schnallen – länger ist nicht realistisch.

Durch einen Privatkonkurs lässt der finanzielle Druck zwar sofort nach. Alle Lohnpfändungen Schulden Pfändung – was heisst das? sind aufgehoben, Gläubiger erhalten einen Konkursverlustschein. Die verschuldete Person darf vom Einkommen wieder viel mehr behalten, sich ein «standesgemässes Leben» finanzieren. In den meisten Kantonen bedeutet das einen höheren Grundbetrag, man kann sich ein günstiges Auto leisten oder eine kleine Geldreserve. Meist darf man auch Geld behalten, um die Steuern zu bezahlen.

Nichts für Chaotische

Es gibt aber auch die Kehrseite, die viele Schuldnerinnen und Schuldner nicht kennen: Sie müssen ihre Unterlagen penibel sammeln, ordnen und aufbewahren – mindestens 20 Jahre lang. Denn die Schulden sind immer noch da, und langjährige Gläubiger können mit dem Verlustschein jederzeit wieder betreiben Verlustschein Was passiert, wenn ich erneut betrieben werde? .

Schuldner mit chaotischen Papieren kommen dann in Teufels Küche. Sie können zwar Rechtsvorschlag mit der Begründung «kein neues Vermögen» erheben und so vorbringen, dass sie sich finanziell noch nicht erholt haben und nebst ihrem «standesgemässen Lebensunterhalt» keine Rücklagen, eben kein «neues Vermögen», bilden konnten.

Das müssen sie aber bei jedem Rechtsvorschlag vor Gericht bis ins Detail beweisen. Sämtliche Einnahmen und Ausgaben der letzten zwölf Monate müssen anhand von Unterlagen nachvollziehbar sein.

Buchtipp
eRatgeber: Betreibung – Was kann ich tun?
eRatgeber: Betreibung – Was kann ich tun?

Wenn Belege fehlen, lehnt das Gericht allenfalls den «Rechtsvorschlag neues Vermögen» ab. Dann sind Betroffene wieder normal pfändbar, und das normale, deutlich tiefere betreibungsrechtliche Existenzminimum gilt. Darin werden etwa Steuerschulden nicht mehr berücksichtigt. Damit sind alle Vorteile des Privatkonkurses dahin. Schlimmer: Es drohen neue Schulden.

Erst nach 20 Jahren ist die Gefahr gebannt. Dann verjähren die Verlustscheine – falls kein Gläubiger vorher Betreibung einleitet, denn damit beginnt die Frist von neuem zu laufen . Viele Gläubigerinnen und Gläubiger betreiben kurz vor Eintritt der Verjährung, um sich nichts zu vergeben.

Die Schulden bleiben bestehen, trotz Konkurs. Das ist auch für Gläubiger unangenehm. Denn es kostet Geld und Zeit, dem Geld hinterherzurennen. Betreibungskosten muss man vorschiessen, und allenfalls kommen Gerichtsgebühren dazu – wenn verschuldete Personen beweisen können, dass sie kein neues Vermögen haben.

Darum streichen sich einige Gläubiger lieber einen grossen Teil der Forderung ans Bein, wenn sie dafür den anderen Teil sofort ausbezahlt erhalten und so die Sache abschliessen können. Mit diesem Argument kann es verschuldeten Personen gelingen, Konkursverlustscheine für einen Bruchteil zurückzukaufen. Aber: Die Zahlung muss für sie verkraftbar sein. Es bringt nichts, sich zu sehr einzuschränken und damit wieder in neue Schulden zu fallen.

Merkblatt «Privatkonkurs» bei Guider

Beobachter-Abonnenten erhalten mit dem Merkblatt «Privatkonkurs» nicht nur nützliche Infos, wie das Verfahren abläuft, sondern zeigt auch, welche Wirkungen ein Privatkonkurs hat und wie es danach für sie weitergeht.

Schulden weg, Ehe kaputt

«Lustig ist das Konkursverfahren bestimmt nicht», sagt Graber. Und kompliziert ist es auch.

Als Erstes beantragt die verschuldete Person beim Gericht den Privatkonkurs, legt die finanzielle Situation dar und bezahlt den Vorschuss für die Verfahrenskosten. Der ist kantonal unterschiedlich, meist über 5000 Franken.

Das Gericht eröffnet den Konkurs, das Konkursamt nimmt das Inventar auf, veröffentlicht den Konkurs im Schweizerischen Handelsamtsblatt und im kantonalen Amtsblatt und fordert Gläubigerinnen und Gläubiger auf, ihre Forderung beim Amt einzugeben. «Die Publikation war mir schon sehr unangenehm», erinnert sich Graber. Wer am Schluss des Verfahrens nur einen Teil seiner Forderung ausbezahlt erhält, bekommt einen Konkursverlustschein.

Heute kann Graber wieder ruhig schlafen: «Es hat sich gelohnt, die Zähne zusammenzubeissen.» Betreibungen hat er keine am Hals, und er zahlt ab, was er kann – den Kollegen hat er schon fast alles zurückgegeben. Auch mit seiner Ex-Frau versteht sich Graber gut, er sieht sein Kind regelmässig. Aber trotzdem: «Die Geldsorgen haben meine Ehe zerstört.»

Gibt es bald ein neues Gesetz?

Wer in der Schweiz mittellos und verschuldet ist, bleibt es häufig ein Leben lang. Der Privatkonkurs ist ein umständliches und teures Verfahren, das die Situation nur wenig verbessert. Häufig lasten die Verlustscheine schwer auf den Betroffenen und ihren Familien, machen sogar krank. Das weiss auch der Bundesrat Privatkonkurs Wie der Bundesrat verschuldeten Personen helfen will . Im Jahr 2018 hielt er fest, dass das Gesetz angepasst werden müsse. Das Bundesamt für Justiz arbeitete über die letzten Jahre an einem Gesetzesentwurf. Er wird nächstens bekannt gemacht.

Kern des neuen Gesetzes dürfte die sogenannte Restschuldbefreiung sein. Dabei wird ein Teil der Schulden endgültig erlassen. Diese «zweite Chance» soll Betroffenen helfen, ihre Finanzen langfristig in den Griff zu bekommen. Der Gesetzesentwurf kommt nach der Veröffentlichung in die Vernehmlassung. Dann berät das Parlament. Bis das neue Gesetz in Kraft tritt, kann es allerdings noch Jahre dauern.

Mehr zu Schuldenberatung bei Guider

Wenn sich der Schuldenberg anhäuft, nutzen meist dubiose Sanierungsbüros die Unwissenheit der Schuldner. Beobachter-Abonnenten erfahren, wie das Verfahren eines Privatkonkurses aussehen könnte, welche Rechte bei einer Pfändung gelten und erhalten in einer Schuldenberatung weitere Handlungsanweisungen.

Den besten Rat – jede Woche per Mail
«Den besten Rat – jede Woche per Mail»
Nicole Müller, Ressortleiterin
Der Beobachter-Newsletter