Die Schweiz arbeitet derzeit die Schande der administrativ Versorgen auf Verdingkinder Abschluss der Aufarbeitung – ist jetzt alles gut? . Gleichzeitig hat der Kanton Aargau eine Verordnung erlassen, die hart an diese Zeiten erinnert.

Danach sollen Sozialhilfeempfänger dank des neuen Paragraphen «zur Umsetzung entsprechender Betreuungs- oder Integrationsmassnahmen einer Unterkunft zugewiesen werden können». Konkret: Sie dürfen nicht mehr zwingend frei wählen können, wo sie wohnen wollen, und können in ein Heim oder eine andere kantonale Unterkunft abgeschoben werden.

Auf Flüchtlinge gezielt

Am Beginn des Sündenfalls steht eine Interpellation der Aarburger Grossrätin Martina Bircher vom 9. Januar 2018. Die SVP-Politiker hatte schon vor zwei Jahren mit einer Motion versucht, die Sozialhilfe auf das Existenzminimum zu drücken Sozialhilfe radikal kürzen? Ein teurer Fehler .

Diesmal störte sich Bircher daran, dass vorläufig aufgenommene Status F Unsicherheit in der sicheren Schweiz und anerkannte Flüchtlinge den Status von Sozialhilfeempfängern haben. Damit erhielten sie automatisch die gleichen Rechte, insbesondere bei der Wahl ihrer Wohnung. Das wiederum fördere Mietzinswucher und verursache der öffentlichen Hand viel zu hohe Kosten. Bircher verlangte darum eine Anpassung der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung: Flüchtlinge, die Sozialhilfe beziehen, sollten einer kantonalen Unterkunft zugewiesen werden können.

Umformuliert auf alle Sozialhilfebezüger

Der Aargauer Regierungsrat antwortete, die freie Wohnortswahl sei auch für anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge gesetzlich verankert. Dennoch verfolgte das zuständige Departement für Gesundheit und Soziales die Idee weiter. Es wurde noch von der mittlerweile in ihrer eigenen Partei in Ungnade gefallenen damaligen SVP-Regierungsrätin Franziska Roth geführt.

Die Juristen ihres Departements und des Regierungsrats beanstandeten zwar, man könne innerhalb der Verordnung keine Zweiklassengesellschaft einführen, also Flüchtlinge und Sozialhilfeempfänger unterschiedlich behandeln. Deshalb wurde der neue Paragraph kurzerhand so formuliert, dass er für alle Sozialhilfebezüger Existenzsicherung Sozialhilfe von A bis Z gilt.
 

«Hier haben so ziemlich alle Kontrollmechanismen versagt.»

Andreas Hediger, Unabhängige Geschäftsstelle für Sozialhilferecht


Was die Regierung ignorierte: Die freie Wohnortwahl ist im Bundesgesetz verankert, das über kantonalen Gesetzen oder Verordnungen steht. Trotzdem trat der Paragraph am 1. März 2019 in Kraft, von der Öffentlichkeit und den meisten Aargauer Politikern weitgehend unbemerkt.

Keine Handhabe

Mittlerweile formiert sich Widerstand dagegen. «Wir finden es unsäglich, dass eine solche Verordnung überhaupt erlassen werden konnte. Hier haben so ziemlich alle Kontrollmechanismen versagt, insbesondere die Rechtsabteilungen des Departements und des Regierungsrats. Und das, obwohl im Regierungsrat als auch an der Spitze der Aargauer Sozialdienste etliche Juristen sitzen», sagt Andreas Hediger, Geschäftsführer der Unabhängigen Geschäftsstelle für Sozialhilferecht UFS.

In Erklärungsnotstand geraten, betont der Regierungsrat jetzt, dass die Verordnung lediglich auf Flüchtlinge abziele und man keineswegs die Absicht hege, andere Sozialhilfebezüger in Heime abzuschieben Sozialhilfe Das sind die Spartricks der Behörden . Nur ist der neue Paragraph genauso formuliert, dass die Gemeinden genau das tun können.

Betroffene hätten vor Gericht beste Chancen, gegen einen solchen Entscheid vorzugehen. Stefan Ziegler, Leiter der Sozialdienste Kanton Aargau, räumt gegenüber dem Beobachter denn auch ein: «Es gibt keine Handhabe, die Leute zu zwingen.» Das sei aber auch nicht die Absicht.

Von Milizpolitikern lange übersehen

Doch wie schaffte es die Interpellation von Martina Bircher überhaupt, unbemerkt durch die Vernehmlassung zu kommen? Verordnungen abzuändern liegt in der Kompetenz des Regierungsrats, sagt CVP-Grossrat Andre Rotzetter. Er habe zwar sicher über die Änderung informiert. «Milizpolitikern fehlt aber oft die Zeit, um die jeweils sehr grossen Menge an Traktanden, Infos und Berichte vertieft zu prüfen.»Meist studiere man aus den wöchentlich über 300 Seiten jene Geschäfte, für die man zuständig sei. «Beim Rest verschafft man sich nur einen Überblick», so Rotzetter.

CVP, SP, Grüne und EVP wollen jetzt gemeinsam gegen den Paragraphen vorgehen. Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS sammelt per Online-Petition Unterschriften.

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