Keine Auftritte, kein Publikum, das CDs kauft oder ein T-Shirt. Keine Urheberrechtsentschädigungen für das Aufführen eigener Kompositionen. Keine staatlich subventionierte Kurzarbeit Kurzarbeit Ihre Rechte bei reduzierter Arbeitszeit , kein Geld vom RAV. Noch schlimmer: Es gibt kaum Aussicht auf Besserung, weil Anlässe bis weit in den Herbst hinein abgesagt sind. Musikerinnen und Musiker trifft die Corona-Krise besonders hart. Auch deshalb, weil viele durch alle Maschen fallen, wenn es um Unterstützungsbeiträge geht.

«Die Kultur ist der Kanarienvogel in der Mine», sagt Christoph Trummer von Sonart, dem Berufsverband freier Musiker. Und meint damit, dass in schlechten Zeiten zuerst ihnen die Luft ausgehe. Theoretisch sei Hilfe zwar zugesichert: Wer von den bundesrätlichen Corona-Massnahmen betroffen ist, kann sich bei den Sozialversicherungsanstalten (SVA) melden und bekommt ein Taggeld.

Die Praxis ist jedoch trist, wie eine kleine Umfrage unter Musikerinnen und Musikern zeigt: Alle haben Formulare ausgefüllt, Flyer kopiert, Verträge gescannt. Die meisten haben aber noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung der SVA erhalten.

Kein Ende der Krise

Von Live-Auftritten leben die meisten professionellen Musikerinnen und Musiker nur zum Teil, viele unterrichten privat oder an einer Musikschule. Live-Konzerte machen 30 bis 70 Prozent des Jahreseinkommens aus. Hinzu kommt: Viele arbeiten von einem Engagement zum nächsten, erfüllen also streng genommen weder alle Kriterien von Angestellten noch von Selbständigen. Christoph Trummer sagt: «Die Rückmeldungen zeigen: Es geht sehr lang, bis man Erwerbsersatz bekommt. Und dann ist es sehr wenig.»

Basis für die Berechnung der Entschädigung sind 80 Prozent des im vergangenen Jahr versteuerten Nettoeinkommens. Oder 80 Prozent der Anfang Jahr an die SVA gemeldeten Schätzung. Die meisten freien Kulturschaffenden setzen diese sehr tief an, damit sie nicht Beträge zahlen zu müssen für Einnahmen, die sie noch nicht verdient haben. Es gibt Musikerinnen, die zurzeit 150 Franken bekommen. Im Monat.

Im besten Fall beträgt das Taggeld 196 Franken. Der Innerschweizer Singer-Songwriter Reto Burrell sagt dazu: «Ich lebe vom Musikmachen und Produzieren. Im Frühling hätte ich rund 20 Konzerte spielen sollen. In dieser Zeit habe ich im Studio keine Arbeit gebucht.» Die ausgefallenen Konzerte kann er zwar geltend machen, nicht aber die Ausfälle im Studio. «Dazu kommt, dass Konzerte nicht nur aus Gagen bestehen. Auch der Merchandise-Verkauf steht still, und nächstes Jahr werden die Urheberrechtsvergütungen geringer sein, weil wir unsere Songs weniger oft live spielen. Davon redet im Moment noch gar keiner.»

«Es geht sehr lange, bis man Erwerbsersatz bekommt. Und dann ist es sehr wenig.»

Christoph Trummer, Singer-Songwriter

Inzwischen machen Musiker das, was sie ganz am Anfang ihrer Karriere machen mussten: Sie betteln, von zu Hause aus per Live-Stream. Sie verschenken ihre Musik, weil sie sonst beim Publikum in Vergessenheit geraten, und kämpfen damit auch um ihre Zukunft nach der Krise. Manche bitten verschämt um Spenden via Paypal, andere machen nicht einmal das. Viele freie Musikerinnen fürchten, dass diese Krise nur die grossen und voll subventionierten Musikinstitutionen überleben und sie in kleinen Lokalen für ein Trinkgeld spielen müssen. Dann werde es so, wie das in Amerika gang und gäbe sei und worüber man in der Schweizer Kulturszene bisher gern mitleidig den Kopf geschüttelt habe.

Bettina Uhlmann, die in Zürich seit mehr als 20 Jahren die Kulturagentur Stage Coach führt, sorgt sich nicht grundsätzlich um die Zukunft von Live-Musik: «Ich bin der festen Überzeugung, dass das Live-Erlebnis durch nichts zu ersetzen ist.» Ändern werde sich aber womöglich das Online-Verhalten der Musikkonsumentinnen und -konsumenten. «Es kann sein, dass das Publikum für etwas, was es im Moment in rauen Mengen gratis bekommt, in Zukunft nicht mehr bezahlen will.»

Zurzeit herrscht in der Schweizer Musikszene eine immense Unsicherheit. Niemand weiss, wie es im Herbst aussehen wird. Deshalb sind alle – Veranstalter, Institutionen, Stiftungen und nicht zuletzt das Publikum – im Moment sehr zurückhaltend mit Zusagen, Engagements und Ticketkäufen. Bettina Uhlmann sagt: «Es wird Veranstalter und Festivals geben, die diesen Einschnitt nicht überleben. Und es wird ein massiver Druck auf Engagements und Gagen entstehen.» Für die freie Szene heisse das, der Druck und der Aufwand zum Überleben werden noch grösser, und die Schere zwischen den Institutionen und freischaffenden Musikern gehe noch viel weiter auf, als das vor der Krise der Fall war.

Hilfe bis zum Normalbetrieb

Am 20. Mai laufen die ersten Unterstützungsmassnahmen aus. Zu einem Zeitpunkt, in dem die einzige Planungssicherheit darin besteht, dass Grossveranstaltungen mit über 1000 Menschen bis mindestens Ende August nicht stattfinden.

Damit man auch in Zukunft Theater spielen, Musik machen und fotografieren könne, brauche es längerfristige Massnahmen. Dafür setzt sich die Taskforce Kultur ein, ein Team unter der Ägide von Suisseculture, dem Dachverband der Kulturverbände. Anfang Mai hat sie beim Bundesamt für Kultur eine Liste mit Erwartungen deponiert. So sollen die Unterstützungsmassnahmen nicht nur bis zum Ende des Veranstaltungsverbots weitergeführt werden, sondern bis für die Schweizer Kulturschaffenden faktisch wieder Normalbetrieb herrscht.

Auch soll die staatliche Nothilfe für Kulturschaffende zugänglich sein, die bei den Ausgleichskassen durch die Maschen fallen. Für die Berechnung der SVA-Taggelder sollen Brutto- und nicht Nettoeinkünfte massgebend sein. Andernfalls müssten wohl alle ihre Probelokale und Studios künden. Erspartes haben die wenigsten Kulturschaffenden.

Das ist «vielleicht das einzig Positive an der ganzen Sache», sagt Christoph Trummer. «Aus Einzelkämpfern wird ein Team. Wir alle realisieren, wie wichtig der Zusammenhalt ist und wie fragil wir wirtschaftlich aufgestellt sind. Um nicht zu sagen: prekär.»
 

Aus der Krise in die Zukunft

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