Das Gewicht einer Schweizer Kuh: 729 Kilo. So viel Abfall schmeisst jeder und jede in der Schweiz jährlich in den Kübel. In Kehrichtsäcke, Altglascontainer, Kompostkübel – und der Güselberg wächst von Jahr zu Jahr. Seit 1980 haben sich die Siedlungsabfälle verdoppelt. Damit ist die Schweiz zum unrühmlichen Weltmeister aufgestiegen. Es ist die Kehrseite der Wohlstands-Medaille: «Wo viel konsumiert wird, gibt es eben auch viel Abfall», sagt Michael Hügi, Abfallspezialist beim Bundesamt für Umwelt.

Weltklasse ist das Land allerdings auch in anderer Hinsicht. Mittlerweile trennen wir den Müll in zwei Dutzend Unterkategorien, von PET bis Kork. Gesamthaft beträgt die Recyclingquote 54 Prozent. «Auch hier gehören wir zur Spitze», sagt Hügi. In Europa sind lediglich die Belgier, die Österreicher und die Deutschen konsequenter, mit Recyclingquoten bis zu 65 Prozent.

Ein Rückführanteil von 394 Kilogramm pro Kopf und Jahr – das lässt sich allemal sehen. Aber wenn man die Kehrichtsäcke aufschlitzt, zeigt sich: Es liesse sich noch mehr Abfall der Wiederverwertung zuführen (siehe Infografik, ganz unten an der Seite). 

«Wo viel konsumiert wird, gibt es eben auch viel Abfall.»

Michael Hügi, Abfallspezialist beim Bund

Vier Rezepte für weniger Abfall

Am besten wäre freilich, an der Quelle anzusetzen – also weniger wegzuwerfen. «Damit erzielt man den grössten Hebel», sagt Hügi. Dazu stehen vier Rezepte im Vordergrund:

  1. Reduktion: Ein Sechstel des Abfalls ist noch essbar

    Das grösste Reduktionspotenzial besteht bei den Grün-, Rüst- und Lebensmittelabfällen. Sie sind mit 32 Prozent der gewichtigste Anteil im Abfallberg, haben seit 2002 um fünf Prozent zugenommen – und bestehen «zur Hälfte aus weggeworfenen, aber durchaus noch geniessbaren Lebensmitteln», heisst es in der aktuellen Bundeserhebung über die Zusammensetzung des Kehrichts.

    Konkret: Ein Sechstel unseres Kehrichts enthält noch Essbares. «Die Herausforderungen unter dem Schlagwort ‹Food Waste› sind hinlänglich bekannt», sagt Christoph Hugi. «Die Erkenntnis allein jedoch reicht nicht aus, wie die Zahlen leider zeigen.»

    Hugi ist Mitte 50 wie Michael Hügi, sein Fast-Namensvetter beim Bundesamt für Umwelt, und stochert ebenfalls schon ein halbes Leben im Abfall. Heute ist Hugi Experte für nachhaltiges Ressourcen-Management an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

    Nicht zuletzt die strengen und für viele unklaren Schweizer Haltbarkeitsregelungen tragen Mitschuld an der Lebensmittelverschwendung, sagt Hugi. «Die meisten Nahrungsmittel, deren Datum abgelaufen ist, kann man noch problemlos essen.» Er greift erst bei üblem Geruch oder Schimmel nicht mehr zu. Letztlich liege es an jedem Einzelnen, die Verschwendung zu stoppen. «Ich achte auf frische, regionale Produkte und versuche nur so viel zu kaufen, wie die Familie zu essen vermag.»

  2. Langlebigkeit: Ausgiebig benutzen, dann weitergeben

    Auch in den Non-Food-Bereichen lässt sich Abfall problemlos reduzieren. Christoph Hugis wichtigster Tipp hier: hochwertige, langlebige, reparierbare Produkte wählen. «So kann man den Abfallkreislauf entschleunigen und den Bedarf an Ressourcen spürbar senken.»

    Zum Beispiel die Raffelmaschine, die er von seiner Grossmutter übernommen hat. «Aus Metall, mit Schraubzwinge, ohne Plastikteile, ohne Motor – da kann nichts kaputtgehen.» Oder Schuhe: «Ich kaufe nur solche, die man flicken kann.»

    Am meisten Freude aber hat Hugi an seiner Freitag-Tasche aus gebrauchten Lastwagenblachen. Sie ist inzwischen 20 Jahre alt. «Das Paradebeispiel eines sogenannten Upcyclings, bei dem aus Abfall ein höherwertiges Produkt entsteht.» Qualitativ gute Produkte kosten mehr. Hugi zitiert dazu, ebenfalls aus der Generation seiner Grossmutter: «Ich bin nicht reich genug, um billig einzukaufen.»

    Der Markt steuert allerdings in eine andere Richtung. Masse zählt mehr als Qualität. Mehr noch: Nicht selten werden Einzelteile mit kurzer Lebensdauer in Geräte eingebaut oder solche, die Laien nicht ersetzen können. «Umso wichtiger ist es, dass man sich beim Kauf mit der Qualität und der Lebensdauer eines Produkts auseinandersetzt», so Hugi.

    Wo ein Trend ist, ist immer auch ein Gegentrend: Repair Cafés, eine holländische Erfindung, gibt es bereits an 30 Orten in der Schweiz. Das Prinzip: An einer Art Börse bieten Fachleute kostenlos ihre Dienste an. Wer Föhn, Kleid, Spielzeug, Stuhl oder was immer flicken möchte, sucht sich die entsprechende Fachperson und kauft die nötigen Ersatzteile gleich vor Ort. In den letzten Jahren sind auch zahlreiche Kleinstbetriebe entstanden, die gegen Bezahlung das defekte Smartphone oder Notebook fixen.

    Langlebig wird ein Gegenstand zudem, wenn man ihn weitergibt, verschenkt, ins Brockenhaus, zum Flohmarkt, in die nahe Secondhand-Boutique. So bleiben die Wege kurz. Oder man verkauft ihn gleich selber auf einer der vielen spezialisierten Internetplattformen.

    Dank dem Trend zum Teilen wiederum muss man vieles nicht selber anschaffen. Die Schweiz hat darin Tradition: Mieter nutzen gemeinsam Waschmaschinen, und Mobility wurde mit Autoteilet gross. Velos zur gemeinsamen Nutzung gibt es in einem Dutzend Städten, und via Internetplattformen kann man sogar Bohrmaschinen, Gitarren oder Kanus teilen.

  3. Wiederverwertung: Neu rezykliert man auch Plastikflaschen

    Mit konsequenter Trennung und Wiederverwertung lässt sich eine beachtliche Menge an Grundstoffen zurückgewinnen. Der Staat fördert das mit Vorgaben, die den Handel und die Konsumenten in die Pflicht nehmen: 
    Mit dem Umweltschutzgesetz von 1983 wurde das Verursacherprinzip eingeführt. Die meisten Gemeinden haben mittlerweile auf gebührenpflichtige Kehrichtsäcke und Abfallmarken umgestellt.

    Die Ersten waren die St. Galler: Die Stadt gilt als Erfinderin des Schweizer Gebührensacks. Sie führte ihn bereits 1975 ein. Damals stopften die St. Galler 214 Kilo Kehricht pro Kopf und Jahr hinein – etwa so viel wie heute und deutlich unter dem Schweizer Schnitt von 335 Kilo.

    Seit 1998 bezahlen die Konsumenten bei Elektrogeräten einen vorgezogenen Recyclingbeitrag. Die Händler sind verpflichtet, Altgeräte zurückzunehmen. Das hat dazu geführt, dass kaum mehr Elektroschrott im Abfall landet. Auch bei den Batterien sind es weniger als ein Prozent.

    Die Altgeräte werden zerlegt, um Metalle wie Kupfer, Silber, Gold, Tantal, Aluminium und Zinn zurückzugewinnen. Nicht verwertbare oder giftige Stoffe müssen fachgerecht entsorgt werden. Durch die rasante technische Entwicklung wurde der Absatz angeheizt. Entsprechend ist die Menge der abgegebenen Geräte gestiegen. Weniger wäre auch hier mehr. «Ich habe mit meinen Töchtern immer wieder Diskussionen», sagt Abfallexperte Christoph Hugi. «Jedes Jahr ein neues Handy – das liegt nicht drin.»

    Seit dem Jahr 2000 gilt: Der Handel muss mindestens 75 Prozent der Getränkeflaschen aus PET, Glas und Alu zurücknehmen und wiederverwerten, sonst kann der Bund ein Pfand einführen. Der Konsument zahlt dafür eine vorgezogene Entsorgungsgebühr von ein paar Rappen. Erfreulicherweise sind die Rückgabequoten seither stetig gestiegen: 2014 betrugen sie bei PET 
    82 Prozent, bei Aludosen 92 und bei Glas sogar 96 Prozent. Noch immer aber landen rund 60'000 Tonnen Glas pro Jahr im Müll.

    Zu Kunststoffen gibt es keine Bundesvorgaben. Die meisten Plastikarten sind nicht abbaubar, und im Meer kommt es vermehrt zu riesigen Teppichen aus Plastikmüll. Der wird nach und nach in feinste Teile zerrieben. Umweltschützer fürchten, Meerestiere würden die Plastikpartikel schlucken. So gelangt Plastik in den Nahrungskreislauf und hemmt das Algenwachstum – die Basis allen Lebens im Wasser. Abklärungen für ein Recycling von Kunststoffen seien im Gang, sagt Michael Hügi vom Bafu.

    Leere Plastikflaschen von Milch, Shampoo oder Putzmitteln kann man bereits heute bei Migros und Coop abgeben. Handlungsbedarf besteht dagegen bei Plastikverpackungen. Heute versiegelt der Handel noch mehr Lebensmittel als früher. Ökologischer ist es, Früchte und Gemüse offen am Markt oder ab Ladentheke zu kaufen.

  4. Verbrennung: So viel Kupfer wie im Kongo

    Am Ende der Kette wird der Müll in einer der 30 Verbrennungsanlagen des Landes verbrannt. Dabei wird die Abwärme genutzt und die Schlacke auf letzte Reste gefiltert, bevor sie auf die Deponie kommt.

    Zürich ist bei der Verwertung letzter Reste besonders innovativ. In Hinwil wird eine Aufbereitungsanlage eröffnet, die Metalle aus der Schlacke rückgewinnen soll; bisher gelang das nur beim Eisen. Aus 43'000 Tonnen Schlacke sollen 6000 Tonnen Metall gewonnen werden, sagt Leta Filli von Entsorgung und Recycling Zürich: «Die Schlacke hat etwa die gleiche Kupferkonzentration wie Kupfererz aus einer Mine im Kongo.» 
    Die Zeit des Urban Mining bricht an, «städtischer Bergbau», der Wertvolles aus städtischem Müll birgt.

«Jedes Jahr ein neues Handy – das liegt einfach nicht drin.»

Christoph Hugi, Abfallexperte

Jeder der vier Schritte soll Besserung bringen. Denn so wie bisher kann es nicht weitergehen, nicht in der Schweiz, nicht global: 2010 hat die Weltbevölkerung die unvorstellbare Menge von rund 3,5 Millionen Tonnen Siedlungsmüll angehäuft – jeden Tag. Forscher warnen vor einer Verdoppelung bis 2025. 

Die kalifornische Stadt San Francisco will die unheilvolle Entwicklung brechen. Seit 2009 ist Abfalltrennung Pflicht, und auf nicht verwertbaren Abfall werden Steuern erhoben. Das nächste Ziel ist radikal: den Kehricht bis 2020 auf null zu reduzieren. Heute weisen ihre Bewohner eine ähnlich hohe Recyclingquote wie die Schweiz auf und wollen allen vormachen, wie es noch viel besser geht. Wenn das gelingt, kann auch eine Doppelweltmeisterin noch etwas lernen.

Quelle: Urs Flüeler/Keystone
Quelle: Urs Flüeler/Keystone
Infografik: Was im Abfall steckt

Autor: Pia Seiler
Titelbild: Urs Flüeler/Keystone
Infografik: Beobachter/Anne Seeger; Luxwerk (Fotos); BAFU (Quelle)