Die Clubs sind geschlossen, die letzte Runde in der Bar wird vor 23 Uhr ausgerufen, mit Maske ist es schwierig, neue Leute kennenzulernen. Berührungen oder gar ein Kuss sind zum Risikospiel geworden. Weniger für die Jugendlichen selbst – aber für die breite Gesellschaft, in die sie das Virus ungehemmt hineintragen könnten.

«Seniorinnen und Senioren waren im Vergleich zu den jüngeren Generationen durch die Krise psychisch weniger belastet», hält eine neue Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit fest. Die Massnahmen zur Eindämmung des Virus hätten die unter 30-Jährigen stärker getroffen. Das könne damit zusammenhängen, dass die Kontakte zu Gleichaltrigen stark eingeschränkt seien. Für die Studie befragt wurden Expertinnen und Forscher aus der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung, Beratung und der medizinischen Grundversorgung.

Sozial Schwache eher betroffen

Eine Auswertung der Nutzungsdaten von Beratungsstellen ergab allerdings: Die Reaktionsmuster von Jugendlichen sind nicht zu verallgemeinern. Viele reagierten mit Stress, Angst und Konzentrationsstörungen auf die Einschränkungen. Bei anderen hätten insbesondere die Schulschliessungen das Wohlbefinden sogar erhöht. Stärker negativ betroffen sind gemäss der Studie vor allem Jugendliche aus wirtschaftlich und sozial benachteiligten Familien.

Um aufzuzeigen, wie es momentan um die psychische Gesundheit der Bevölkerung steht, ist es aber notwendig, auch die Situation in psychiatrischen Kliniken und die Nachfrage nach ambulanten Angeboten zu untersuchen.

Eine grosse Patienten-Welle, wie sie viele im Frühling befürchtet hatten, sei bisher zumindest im stationären Bereich ausgeblieben. «Die Eintritte bewegen sich auf einem konstant hohen Niveau», schreibt die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich auf Anfrage. Während des Lockdowns sei die Nachfrage nach Behandlungen zwar kurzfristig eingebrochen, inzwischen aber wieder auf dem Stand vor Corona. Andere Kliniken bestätigen diese Entwicklung. Die Angst, sich in einer Klinik anzustecken, sei wohl mit ein Grund für den Einbruch gewesen. Wer Probleme hat, weicht offenbar auf andere Hilfsangebote aus.

Die ambulanten Dienste stellen eine markant gestiegene Nachfrage fest. Um 10 bis 15 Prozent, schätzt Udo Finklenburg, Präsident des Vereins ambulante Psychiatrische Pflege. «Die Betreuung ist auch aufwendiger geworden. Wir müssen den Leuten viel mehr Sicherheit geben, sie beruhigen.» Weil verlässliche Informationen und Prognosen zur Krise fehlten, wachse die Verunsicherung der Patienten noch.

Auffallend mehr Patienten

Frei praktizierende Psychiaterinnen und Therapeuten bestätigen das Bild: «Es melden sich auffallend mehr Patienten als vor Corona. Manche Praxen haben bereits Wartelisten von mehreren Monaten», sagt die Solothurner Psychiaterin Alexandra Horsch. «Vorwiegend sind es Patienten mit psychoreaktiven Störungen und solche mit Rückfällen.» Sie reagieren auf Veränderungen durch die Pandemie mit Ängsten, Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen.

Verschiedene Fachleute rechnen damit, dass die Zahl der stationären Patienten mit zeitlicher Verzögerung zunehmen wird. In den Kliniken sei die Situation aber bereits jetzt angespannt, berichten Pflegende. «Wie soll ich so einen Kontakt aufbauen zu einer stark psychotischen Person, die mich anschreit, ich solle dieses Ding aus dem Gesicht nehmen?», fragt eine Pflegerin. Sie trägt seit dem 25. März ständig eine Schutzmaske, wenn sie Patienten betreut.

Die Maske an sich sei schon anstrengend, sie störe aber auch die Kommunikation mit den Patienten und provoziere Aggressionen. Personal und Patienten brauchten diesen Schutz. «Die Belastung nimmt aber auf eine Weise zu, dass Angestellte vermehrt krank werden», sagt die Pflegerin.

Ein Befund, den auch die Studie des Bundesamts für Gesundheit bestätigt: «Bei einem beträchtlichen Teil des Gesundheitspersonals sind psychische Belastungen und klinisch relevante Symptome von Angststörungen oder Depressionen vorhanden.» Die Fachleute zeigen sich besorgt, dass sich psychische Erkrankungen und Arbeitsausfälle mehren könnten.

Arbeiten statt in die Quarantäne

Einen Grund für stärkere Belastung sieht ein Pfleger darin, dass die Zahl (noch) nicht therapiefähiger Patientinnen und Patienten zunimmt. «Sie sind zu instabil für eine stationäre Therapie und gehörten eigentlich auf eine Akut-Abteilung. Und jene, die eigentlich dazu in der Lage wären, überlegen sich einen Aufenthalt zweimal, wegen der Covid-bedingten Einschränkungen zum Beispiel beim Besuchsrecht.»

Der Mangel an Personal führe mittlerweile dazu, dass sogar Angestellte zur Arbeit aufgeboten würden, die privat ihre Wohnung gar nicht verlassen dürfen – weil sie in Quarantäne sind.

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Quelle: Beobachter Bewegtbild
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