Ich kam 2006 für einen Werbefilm nach Kiew. Die Ukraine war damals ein grossartiger Ort für Filmemacher. In keinem anderen Land wird mit so viel Enthusiasmus und Hingabe an einer besseren demokratischen Zukunft gearbeitet.

Als es 2014 zur Maidan-Revolution kam, wollte ich Zeuge des historischen Ereignisses sein und reiste nach Kiew. Hier gab es unheimlich viel Raum, um Neues zu schaffen. Etwa in der Naked Room Gallery – einer Galerie für zeitgenössische ukrainische Kunst, die ich mitbetreibe.

Das Konzept, Kunst zu kaufen, zu verkaufen, zu sammeln und mit ihr zu handeln, ist in der Ukraine noch neu und löst Vorurteile aus. Das wollen wir durchbrechen.

Wir wussten, dass es zum Krieg kommen wird. Wir sind ja seit 2014 im Krieg. Trotzdem sahen wir am Morgen des 24. Februar ungläubig die Nachrichten und begannen sofort T-Shirts und Socken einzupacken. Ein Fehler, das kann man überall kaufen.

«Noch heute packt mich die Angst, wenn ich daran denke, wie knapp wir den Bomben entkamen.»

Marc Wilkins, Regisseur

Man muss Dinge einpacken, die einem wirklich wichtig sind; Fotos etwa. Wir wollten zu meiner Schwester nach Berlin. Unterwegs fuhren wir durch Gostomel. 15 Minuten später wurde der Ort von Hubschraubern angegriffen.

Noch heute packt mich die Angst, wenn ich daran denke, wie knapp wir entkamen. In Berlin wurde uns nach zwei Tagen klar, dass wir nicht einfach rumsitzen, Kaffee trinken und Facebook-Posts schreiben konnten. Wir mussten zurück und uns irgendwie nützlich machen.

Für die Geburt der Tochter nach Zürich

Wir fuhren nach Warschau und fragten auf der ukrainischen Botschaft, wo wir als Freiwillige helfen konnten. Sie fragten uns, wie viele Leute wir mit dem Auto mitnehmen können, aber das war voll, und wir hatten auch keinen Platz zum Schlafen. Sie sagten uns, wir seien keine Freiwilligen. Erst da dämmerte es uns: Wir waren Flüchtlinge.

Wir fuhren zuerst in unsere Datscha in der Kiewer Oblast, später nach Kiew. Meine Frau war schwanger, aber wir wollten es nicht hinnehmen, dass die Russen unser Leben durcheinanderbringen.

An einem Morgen im Herbst, als wir zur Ultraschalluntersuchung gehen wollten, hörte ich plötzlich ein Pfeifen, die Vögel auf den Bäumen und Dächern flogen auf, dann sah ich die Explosion.

Die Angriffe auf Kiew hatten sich verstärkt. Wir merkten, dass es keine gute Idee ist, mit einem Baby in einer Stadt zu bleiben, in der es kein Wasser und keine Heizung gab. Deshalb gingen wir für die Geburt unserer Tochter nach Zürich.

Rückkehr aus dem «Zwischenzustand»

Eigentlich wollten wir erst Ende März zurück nach Kiew. Doch weil wir nicht in diesem «Zwischenzustand» leben wollten, fuhren wir dann zwei Wochen früher als geplant. In Kiew fühlen wir uns sofort zu Hause. Hier haben wir unsere Wurzeln, unsere Strassen, unsere Projekte.

Ich will nicht, dass der russische Nationalimperialismus unser Leben bestimmt. Hier können wir die besseren Eltern für unsere Tochter sein, sind viel ruhiger und vor allem glücklicher.

Natürlich ist der Krieg nicht vorbei. Jeden Tag sterben ukrainische Zivilisten und Soldaten. Aber wir werden alles zurückerobern. Die Frage ist nur, wie viele Menschen bis dahin sterben und wie viel Schmerz und Zerstörung wir noch auf uns nehmen müssen.

Zurzeit drehe ich kurze Dokumentarfilme für mein Projekt U4Ukraine – über Ukrainer, die sich freiwillig engagieren, Autos kaufen, Menschen evakuieren, zu Spenden für diese vielen grossartigen Initiativen aufrufen und zeigen, wie sich unser Leben im letzten Jahr verändert hat.

Kiew ist die erste Stadt, in der ich das Gefühl habe, dass wir uns gegenseitig brauchen. Ich fühle mich hier willkommen, von der Stadt in die Arme genommen. Das Beste, was ich tun kann, ist, hier zu sein und hier zu arbeiten. Ich liebe die Schweiz. Und sie ist mit der Grund, warum ich mich in Kiew so wohlfühlen kann.

Das sichere Zürich wird immer mein zweites Zuhause bleiben. Ich werde einen Fuss dabehalten, aber auch für immer in Kiew zu Hause sein.

Aufgezeichnet von Kateryna Potapenko

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