Freitagmorgen, das Telefon klingelt. Kaum nimmt Tom (Name geändert) den Hörer ab, schluchzt ihm seine Tochter Jule (Name geändert) ins Ohr: «Autounfall … tot … Gefängnis …», sagt sie mit panischer Stimme. Ein Schockanruf.

Die Eltern versuchen, ihre Tochter zu beruhigen. Plötzlich meldet sich eine andere weibliche Stimme. Sie sei eine Kriminalpsychiaterin. Die Frau versucht, die Eltern zu beruhigen, und erklärt, was passiert ist. Jule sei in einen Autounfall verwickelt.

Sie sei mit Verletzungen davongekommen, doch ein dreijähriges Kind sei gestorben. Im Hintergrund sind Jules Schreie zu hören. Dann wieder ein Wechsel am Telefon, plötzlich meldet sich ein Anwalt. Er erklärt der Familie die Dringlichkeit der Situation. Jule drohe Gefängnis, es sei denn, die Eltern überweisen 150’000 Franken. Am besten sofort, um Wartezeiten und somit Schlimmeres zu vermeiden. 

Ein Horrorszenario. «Natürlich haben wir ihnen geglaubt, es war ja die Stimme unserer Tochter Jule am Telefon», sagen die Eltern. Während der Vater telefoniert, erhält die Mutter plötzlich eine SMS. «Nicht viel los heute auf der Arbeit», steht da. Die Absenderin: Jule.

Was klingt, wie in einem Film, gibt es tatsächlich. So gibt es immer mehr Berichte über Telefonbetrug mit geklonten Stimmen. Der Fall von Jule zeigt, dass die Masche mittlerweile auch die Schweiz erreicht hat.

Dabei werden die Stimmen von Personen mittels Software nachgebildet, um Familienmitglieder oder Bekannte anzurufen und ihnen unter dem Vorwand einer Notsituation Geld zu entlocken. Lärm und Geräusche im Hintergrund verstärken die Stresssituation.

Die Technik ist auch für Laien anwendbar

Um solche Sprachkopien zu erstellen, braucht es weder eine ausgeklügelte Software noch Programmierkenntnisse. Bereits einfache Apps und Programme mit künstlicher Intelligenz ermöglichen es, eine Stimme zu manipulieren oder zu klonen. Dabei reichen schon wenige Sekunden Audiomaterial oder Videos von den sozialen Medien aus, um Stimmen schnell und einfach zu kopieren.

Das zeigen die Beispiele von Amazons Sprachdienst Alexa oder der bisher nicht öffentlichen Software des Microsoft-Konzerns VALL-E, die sogar die akustische Umgebung und Emotionen des Sprechers beibehalten kann.

«Solche Anrufe mit durch künstliche Intelligenz veränderten Stimmen sind zwar eine neue Dimension, das Prinzip hinter solchen Schockanrufen bleibt allerdings dasselbe.»

Peter Burri, Pressesprecher von Pro Senectute

Bei Pro Senectute ist man nicht überrascht, dass Betrüger auf künstliche Intelligenz setzen. So sagt Peter Burri, Pressesprecher von Pro Senectute: «Solche Anrufe mit durch künstliche Intelligenz veränderten Stimmen sind zwar eine neue Dimension, das Prinzip hinter solchen Schockanrufen bleibt allerdings dasselbe.»

Statistiken zu Telefonbetrügen mit manipulierten Stimmen in der Schweiz liegen bisher nicht vor. Gisela Kipfer, Medienverantwortliche des Nationalen Zentrums für Cybersicherheit (NCSC) sagt, ihnen seien bisher keine solchen Fälle gemeldet worden. 

Sie vermutet hinter solchen Betrugsmaschen ganze Netzwerke von Angreifern, die meist nach einem klassischen Muster vorgehen. Sie suchen gezielt Informationen von potenziellen Opfern, meist über Websites oder in sozialen Medien. Fälle von Spoofing werden immer häufiger gemeldet, schreibt Kipfer von der NCSC.

Der Begriff beschreibt die «Vorgehensweise von dubiosen ausländischen Callcentern». Dabei versuchen Angreifer, in persönliche Netzwerke einzudringen, um an sensible Daten zu gelangen.

Indem der Anruf von einem vermeintlichen Familienmitglied erfolgt, werde bewusst mit den tiefen Ängsten der Opfer gespielt, sagt Burri von Pro Senectute. «Von 100 Personen ist vielleicht bei einer der Anruf erfolgreich. Aber das reicht bereits.» 

Im Jahr 2022 sind schweizweit mehr als 34’000 Meldungen zu Betrug und anderen Kategorien im Nationalen Zentrum für Cybersicherheit eingegangen. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Kann ich mich schützen?

Von den Angriffen betroffen sind vor allem ältere Menschen. Sich davor zu schützen, sei schwierig, sagt Burri von Pro Senectute. Wichtig sei, nicht auf dubiose Anrufe reinzufallen. Ebenfalls sollte nie direkt Geld überwiesen werden. Besser entweder die Nummer 117 anrufen oder mit jemandem Rücksprache halten, der die Situation mitbeurteilen könne. «Die Mutter, der Sohn, die Nachbarn oder andere Bekannte.»

Auch Kipfer vom NCSC rät, besonders bei Geldforderungen skeptisch zu bleiben und die Geschichte zu hinterfragen. «Versuchen Sie, die angeblich anrufende Person auf einem anderen Kommunikationskanal zu kontaktieren, um die Richtigkeit zu verifizieren.»

Wenn das Geld bereits überwiesen wurde, sollte umgehend die Bank informiert und Anzeige bei der Polizei erstattet werden. Und ganz grundsätzlich: «Im Internet möglichst wenig Informationen über sich preisgeben», so Kipfer.