Letzten Sommer wurde ich pensioniert. Schon kurz danach begann ich, «meine» Kinder der heilpädagogischen Schule zu vermissen. Und ich sehnte mich nach einer neuen Aufgabe. Als ich das Inserat der Plauderkasse sah, gefiel mir die Idee auf Anhieb.

Ich wollte mich für weniger Einsamkeit engagieren und bewarb mich beim Pilotprojekt von Gsünder Basel. Mitarbeitende der Dargebotenen Hand schulten uns Freiwillige sehr professionell und bereiteten uns auf die Einsätze vor. Seit Oktober 2022 arbeite ich einmal pro Woche drei Stunden an einer der Plauderkassen. Meistens bin ich in der Migros im «Gundeli», manchmal auch in der Apotheke im Gellertquartier.

Grundsätzlich sprechen wir mit den Leuten, die einkaufen und an der Plauderkasse zahlen. Die Kassiererin nimmt sich etwas mehr Zeit und weist auf unser Angebot hin. Als freiwillige Helferin stelle ich mich hinter der Kasse auf, wo die Kunden ihre Einkäufe einpacken. Das ist ein guter Ort, um ins Gespräch zu kommen. Bereits beim Anstehen an der Kasse nehme ich Blickkontakt auf und lächle die Leute an. Dann frage ich sie, ob ich ihnen beim Einpacken helfen könne.

Manche kommen ganz gezielt

Die Einkäufe sind das Thema, mit dem man am leichtesten ins Gespräch kommt. Und wenn das Eis einmal gebrochen ist, plaudern wir einfach weiter. Schnell ist eine Viertelstunde vergangen, manchmal auch mehr. Wir könnten uns zwar hinsetzen und zusammen einen Kaffee trinken. Da wir die Dauer des Gesprächs schlecht abschätzen können, bleibe ich meistens stehen.

Viele kommen inzwischen gezielt zu uns an die Plauderkasse – manche sogar aus anderen Quartieren. Etliche sehe ich jedes Mal, und es entwickeln sich kleine Rituale. Einige übergeben mir ihre Einkaufstasche, ohne zu fragen, andere berühren meine Schulter und lächeln mir zu. Es sind mehrheitlich ältere Leute, mehr Frauen als Männer. Besonders freue ich mich, wenn ich mit Jüngeren ins Gespräch komme. Menschen mit Migrationshintergrund strahlen meistens, wenn ich sie anspreche.

«Aus jedem Gespräch nehme ich auch etwas für mich mit.»

Edith Aebi, 65

Einige Leute erzählen mir schon bei der ersten Begegnung ihr halbes Leben. Andere zahlen zwar an der Plauderkasse, sagen aber, dass sie das Angebot nicht nutzen möchten oder keine Zeit hätten. Ich erwidere jeweils lächelnd, dass Reden selbstverständlich freiwillig sei. Manchmal entsteht so doch noch ein Gespräch.

Alleinsein und Geldsorgen

Jede Begegnung ist einzigartig. Ich erfahre vor allem Alltägliches. Die älteren Leute sprechen über den geschlossenen Imbissstand im Quartier, die Qualität der gekauften Waren oder über ihre Angst, abends allein aus dem Haus zu gehen. Ich erfahre aber auch sehr Persönliches: über das Alleinsein, dass die Kinder sie nur noch selten besuchen oder dass es einfach keinen Nachwuchs gibt. Besonders berührt hat mich die Frage einer hochbetagten Frau, ob sie sich in ihrem Alter noch von ihrem Mann emanzipieren dürfe.

Jüngere Leute sprechen dagegen vor allem über Erziehungsfragen, Geldsorgen oder die Schwierigkeit, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Bei meinen Einsätzen in der Apotheke stehen vor allem gesundheitliche Themen im Vordergrund. Es beschäftigt mich, wie stark der Alltag diese Menschen belastet.

Pro Einsatz spreche ich mit rund 20 Leuten. Wenn jemand tiefer gehende Probleme anspricht, verweise ich auf andere Hilfsangebote. Ziel der Plauderkasse sind Gespräche und soziale Kontakte – wir bieten weder eine Therapie noch Sozialberatung. Aus jedem Gespräch nehme ich etwas für mich mit. Ich grenze mich aber bewusst ab und achte darauf, dass die Bindung nicht zu eng wird.

Ich freue mich, dass die Plauderkasse weitergeführt wird. Die Auswertungen des Pilotprojekts zeigen, dass sie einem echten Bedürfnis entspricht und für einige ein wichtiger sozialer Kontakt geworden ist.

Nach dem Einsatz lasse ich auf dem Heimweg die Gespräche noch einmal an mir vorbeiziehen. Anfangs habe ich von den Menschen und ihren Geschichten geträumt. Aber das hat sich mittlerweile gelegt.

Aufgezeichnet von Andrea Ruprecht