«Da müssen wir bei der geplanten Weiterentwicklung der IV wohl nachbessern», sagt der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti heute. 2013 hatte er eine Motion eingereicht, um Trisomie 21 – auch als Down-Syndrom bekannt – auf die Liste der IV-Geburtsgebrechen zu nehmen. Der Vorstoss fand Zustimmung im Parlament, und Anfang Jahr setzte ihn der Bundesrat um.

Damit fallen neu alle Komponenten der Trisomie 21 unter die IV-Leistungspflicht. Bisher waren die meisten davon als IV-Geburtsgebrechen zwar anerkannt, doch einen Teil der Kosten übernahm die Krankenpflegeversicherung. Für betroffene Eltern war das ein Nachteil, denn sie mussten oft hohe Selbstbehalte übernehmen.

«Kinder mit Trisomie 21 bevorzugt»

Die Neuregelung ist ein Präzedenzfall. Laut IV-Gesetz gelten nicht behandelbare Beeinträchtigungen wie Trisomie 21 nicht als Geburtsgebrechen. Nun steht dieser Defekt auf der IV-Liste.

Nach wie vor nicht auf dieser Liste aufgeführt sind seltenere, aber schwerer wiegende Chromosomendefekte wie Trisomie 13 oder 18. Sie sind mit massiven körperlichen und geistigen Behinderungen verbunden. Die Betroffenen haben meist nur wenige Monate zu leben.

Laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ist die Aufnahme von Trisomie 13 und 18 sowie von anderen Gendefekten «nicht sinnvoll». Bei seiner Antwort auf entsprechende Fragen des Beobachters beruft sich das Amt auf die rechtlichen Vorgaben: «Ob man das als Ungleichbehandlung bezeichnen will, ist eine Frage des Standpunkts.» 

Geht es ums Geld?

«Dies wäre sicher mit sehr hohen Kosten für die IV verbunden. Beziffern können wir sie aber nicht», so das BSV.

Die Behindertenorganisation Pro Infirmis hat bisher keine negativen Rückmeldungen von betroffenen Eltern erhalten, sagt Geschäftsleitungsmitglied Urs Dettling. Doch weil die Neuregelung erst seit März gelte, sei es für eine Bilanz noch zu früh.

Bedeutend kritischer klingt es von Seiten einer IV-Sachbearbeiterin, die anonym bleiben möchte: «Kinder mit Trisomie 21 werden nicht nur gegenüber Kindern mit nicht bei der IV versicherten Chromosomenabweichungen und Gendefekten bevorzugt, sondern auch gegenüber allen anderen bei der IV versicherten Kindern.»

So würden beispielsweise die Arztbesuche, Brillen- und Medikamentenkosten bei gewissen Augengebrechen nur dann übernommen, wenn die korrigierte Sehschwäche einen bestimmten Wert erreiche. Bei Trisomie 21 gebe es diese Einschränkung nicht. Dasselbe gelte bei Kieferfehlbildungen, bei denen die IV sonst nur bezahlt, wenn der Kiefer entsprechend deformiert ist.

Dieselbe Hilfe für alle Betroffenen

Alle Eltern von schwer beeinträchtigten Kindern sollten dieselbe Hilfe erhalten, fordert daher die IV-Fachfrau. Ob dieser Grundsatz durchgesetzt wird, ist allerdings zweifelhaft. Die laufende Vernehmlassung zur Weiterentwicklung der IV deutet jedenfalls nicht in diese Richtung.

Pro Infirmis befürchtet sogar, dass man Leistungen zulasten betroffener Kinder und Eltern abbaut. Bestimmte Krankheiten könnten aus der Liste gestrichen werden.

Im entsprechenden Entwurf sind Geburtsgebrechen neu als angeborene Missbildungen, genetische Krankheiten sowie prä- oder perinatal aufgetretene Leiden definiert. Was damit erfasst wird, ist noch offen. Die Antwort muss die Politik finden.

Bundesgerichtsurteil: IV muss für Ausbildung zahlen

Ein Urteil des Bundesgerichts gibt einer jungen Frau mit Trisomie 21 mehr Spielraum für die berufliche Weiterentwicklung. Die 21-jährige Frau absolvierte in einer IV-Eingliederungsstätte eine einjährige Ausbildung. Ein zweites Lehrjahr verweigerte ihr die IV-Stelle aber, weil die Frau keine Arbeit im freien Arbeitsmarkt aufnehmen könne. Dabei stützte sich die IV-Stelle auf ein Rundschreiben der Invalidenversicherung.

Die Frau beschwerte sich darauf erfolgreich beim Kantonsgericht Baselland. Die IV-Stelle war damit jedoch nicht einverstanden und zog die Sache vor Bundesgericht.

Zweites Lehrjahr ermögliche ein breiteres Arbeitsfeld
Jetzt gibt das Bundesgericht der Lehrtochter recht. Es stellt fest, dass das wirtschaftliche Ziel einer IV-Anlehre nicht die Teil-Eingliederung in den freien Arbeitsmarkt sein könne, sondern dass die Versicherte lediglich einen Minimallohn von CHF 2.55 pro Stunde in einem Beschäftigungsrahmen erzielen müsse.

Zugleich verweist das Gericht auf die Einschätzung der Betreuerin, dass die Auszubildende in einem zweiten Lehrjahr zusätzliche Fähigkeiten entwickeln könnte. Diese könnten der jungen Frau ein breiteres Arbeitsfeld erschliessen. Auch diese weitere berufliche Förderung gilt für das Bundesgericht als mögliches Ziel des zweiten Lehrjahrs. (Anita Hubert)

Bundesgericht, Urteil vom 23. November 2016 (9C_837/2015)