Eine Frau aus dem Thurgau will Tarnanzüge aus Garn nähen und bittet auf Facebook um Materialspenden. Mit Selbstgenähtem in den Krieg? «Doch, das hilft den Soldaten!», sagt die Ukrainerin Inna Shevchenko (Name geändert). Die Männer seien froh um alles, was sie bekämen.

«Jede Woche berichtet mein Partner von Soldaten, denen man wegen der Erfrierungen Finger oder Zehen abnehmen müsse», erzählt sie. Oft würden die Truppen vom Militär nur mit dem Nötigsten ausgerüstet, sogar Jacken und Schuhe müssten sie selbst kaufen. Derzeit liegt Schnee, es herrschen Minustemperaturen, die industriell hergestellte Militärausrüstung wärme zu wenig.

«Ich kann nicht einfach in der Schweiz sitzen und nichts tun», sagt Shevchenko. Darum habe sie im Internet nach Anleitungen für warme Schutzkleidung zum Selbermachen gesucht. Mit ihren Tarnanzügen könne sie die Soldaten wenigstens ein bisschen unterstützen. «Auch wenn ich damit wohl etwas Verbotenes tue.»

Dass die Anzüge als paramilitärisches Material gelten und die Ausfuhr aus der Schweiz verboten ist, weiss Shevchenko erst seit kurzem. Das Parlament diskutiert zwar über eine Lockerung der Massnahmen im Zusammenhang mit der Ukraine, doch noch sind Lieferungen von Kriegsmaterial grundsätzlich verboten. Darum nennt der Beobachter zu ihrem Schutz ihren richtigen Namen nicht. Auch ihr Partner bleibt anonym, er ist Kommandant einer Scharfschützeneinheit im stark umkämpften Bachmut im Osten der Ukraine.

Ein Leben in der Zwischenwelt

Shevchenko lebt seit letztem März mit ihrer sechsjährigen Tochter in der Schweiz. Wirklich angekommen ist sie hier nicht, die Gedanken kreisen ständig um ihren Partner und ihren Bruder, der als Soldat dient. «Die fünf Tage Funkstille, wenn mein Partner an der Front keinen Empfang hat, fühlen sich an wie Jahre», sagt sie. Sie zeigt ein Foto: ein Mann Anfang vierzig, angegrauter Stoppelbart, steht im Kampfanzug im Schlamm eines Schützengrabens. Ein weiteres Bild zeigt seinen Schlafplatz: eine einfache Isomatte und ein giftgrüner Schlafsack.

Dann spielt Inna ein Video ab: Ein Mann feuert eine Salve Patronen mit einem automatischen Gewehr ab. «Das ist mein Partner», sagt sie. Dann noch ein Video: Ihre Tochter erklärt dem Vater, was sie für ihn gemalt hat – eine Ukraine-Flagge und eine Bombe, die auf Putin fallen soll. «Kinder sollten sich nicht mit dem Krieg beschäftigen, aber wie soll ich sie davon fernhalten, wenn ihr Vater dort ist?» Die Mutter sagt, sie befinde sich in einer seltsamen Zwischenwelt.

Der Spendenaufruf war erfolglos

Einen Tarnanzug hat Shevchenko mit fünf Frauen bisher fertig genäht. Rund zehn Tage haben sie daran gearbeitet. Die Anzüge werde sie wohl einer Privatperson mitgeben, die sie in die Ukraine bringt. Eine Hilfsorganisation habe es abgelehnt, Handwärmer und Medikamente für die Soldaten mitzunehmen. «Wohl wegen der Schweizer Neutralität», so Shevchenko.

Das sei wohl auch der Grund, warum der Garnspendenaufruf bislang erfolglos war. Sie verstehe, wenn Schweizer Mühe haben, etwas zu unterstützen, was direkt mit dem Krieg zu tun hat. «Aber das macht es für uns sehr schwer.» Ihr fehlt das Geld, um das Garn in der Schweiz zu kaufen. Darum kauft sie es in der Ukraine und bittet Bekannte, die Ware mit in die Schweiz zu nehmen. «Dadurch verliere ich rund einen Monat Zeit.»

Die Ukrainer hätten sich die Situation ja auch nicht ausgesucht. Ihr Partner habe vor dem Krieg als Beleuchter in der Filmindustrie gearbeitet, sie hätten ein ganz normales Leben geführt. Es sei wichtig, die Moral der Soldaten zu unterstützen, die ihr Land verteidigen und die Zivilbevölkerung schützen. «Auch wenn ich mit den Tarnanzügen etwas Verbotenes mache: Ich will meinen Beitrag leisten, um diesen Krieg zu beenden und Putin zu stoppen!»