Frühling! Die Sonne scheint näher, die Magnolien blühen, die Vögel sind aus dem Süden zurück und zwitschern sich in der Morgendämmerung die Seele aus dem Leib. Endlich ist der Winter überstanden! Alles beginnt sich wieder mit Leben zu füllen, es scheint, als atmeten Natur und Mensch gleichzeitig auf. Ausser natürlich Menschen mit Heuschnupfen. Die niesen, schnoddern und tränen sich ihren Weg durch den ach so wunderbaren Lenz. Und dass der sein blaues Band nun definitiv spannt, konnten wir spätestens im aufgeheizten Auto im Gotthardstau nicht mehr leugnen.

Aber selbst die erdrückende Wärme in einer Blechkiste auf dem Weg in den Süden scheint uns nun nicht allzu sehr zu belasten, denn jetzt haben wir anderes zu tun. Eine Geschäftigkeit sondergleichen ergreift Besitz von der menschlichen Gattung: Wo man hinschaut, wird gewerkelt. Der Balkonboden muss gekärchert, die Blumenbeete müssen bepflanzt, die Bäume zurückgeschnitten, der Schrank muss ausgemistet und die Hütte geputzt werden. Husch, husch den nächsten Berg rauf mit dem Mountainbike, schnell, schnell noch in den Fluss hüpfen, solange es noch Eisbaden genannt werden kann, und hopp, hopp, endlich den Keller aufräumen und das Auto in den Service bringen. Man schleckt das erste Glace, weiht den Grill ein, klaubt die Picknickdecke aus dem Schrank und hat plötzlich wieder mehr Termine als Zeit.

Deswegen ist der Frühling die stressigste Jahreszeit überhaupt. Der Frühling, das Start-up unter den Jahreszeiten! Gutes Image, aber in Wahrheit eine Tonne Extra-Arbeit, die einem als Freizeit verkauft wird. Jedes Mal, wenn ich in den letzten Wochen aufgewacht bin und es draussen geregnet hat, war ich erleichtert – kein diffuser Druck, mich nach draussen zu begeben, kein Zwang, lächelnd mit anderen über die erblühende Natur zu frohlocken.

Natürlich geniesse auch ich es, dass im Frühling endlich die Schichten Kleider und die emotionale Kälte verschwinden, unter denen wir uns in den Wintermonaten verkrochen haben. Aber können wir es dann nicht einfach mal in Ruhe geniessen? Müssen wir gleich aus unserem Wintermantel hechten, um alles zu erledigen, was wir im Winter gemütlich vor uns hingeschoben haben? Ich finde, ein bisschen etwas von der Gelassenheit eines verschneiten Wintertages zu Hause auf dem Sofa dürfen wir uns auch im Frühling erhalten. Sonst ist die Magnolienblüte vorbei, ehe wir sie wirklich bestaunen konnten.

Zur Person
Lisa Christ