Herr Conde, am Donnerstag erscheint der SRF-Dokumentarfilm «Amine – Held auf Bewährung», der an den Solothurner Filmtagen den Publikumspreis gewonnen hat. Wie oft haben Sie den Film schon gesehen?
Amine Diare Conde: (lacht) Ja, so um die 50 Mal. Im Vorfeld und dann im Kino. Es ist meine persönliche Geschichte, und deshalb wollten ich und alle Beteiligten, dass alles stimmt und richtig dargestellt wird. Denn sobald der Dok einmal erschienen ist, kann er nicht mehr geändert werden. 


Was hat es bei Ihnen ausgelöst, als Sie den Film zum ersten Mal gesehen haben?
Als ich mich selbst sah, war es schon verrückt. Mir wurde klar: Die Leute werden dich jetzt öfter erkennen – wer ich bin, wo ich herkomme, was ich mache. Jede Person wird nun eine Meinung über mich haben. Trotzdem war es mir wichtig, im Dok beide Seiten meines Lebens zu zeigen. Ein Leben in der Schweiz, das nicht nur aus Käse und Schokolade, sondern auch aus Zitrone und Essig besteht. 


Was ist Ihre Lieblingsszene?
Das ist schwer zu sagen, wir haben am Ende über 60 Stunden Filmmaterial gedreht. Es gibt einige Szenen, bei denen man einfach lachen muss. Aber der Film hat auch sehr emotionale Szenen, zum Beispiel mit meiner Familie und meinen Freunden. Am Ende ist für mich jede Minute sehenswert.


Der Dokumentarfilm gibt einen Einblick in Ihr Leben. Sie kamen mit 15 Jahren aus Guinea nach Europa. Jetzt sind Sie 25 Jahre alt und haben viel erreicht. Sie engagieren sich ehrenamtlich für Menschen, die wenig haben, und Sie waren auch der Initiator von «Essen für alle», wo Sie jeden Samstag Lebensmittel verteilen. Machen Sie das noch immer?
Ja, natürlich. Gerade letzten Samstag haben wir Lebensmittel an 1270 Familien verteilt. Das Angebot ist also immer noch notwendig. Darum war ich drei Jahre lang nur an einem einzigen Samstag abwesend. Das war, als wir von der damaligen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zur 1.-August-Feier auf dem Rütli eingeladen wurden.


Die Medien nannten Sie den «berühmtesten Asylbewerber». Daneben wurden Sie für den Prix Courage 2020 nominiert. Was macht diese ganze Aufmerksamkeit mit Ihnen?
Es ist schon sehr intensiv. Ich habe mit vielen Menschen zu tun und muss immer präsent sein. Denn meine Geschichte ist das Aushängeschild für meine Projekte, wie zum Beispiel die Lebensmittelausgabe «Essen für alle». Die Spenden dafür hängen davon ab, wie ich mich verhalte. Man muss lernen, damit umzugehen.


Bleibt da überhaupt noch Zeit für sich selbst?
Im Moment ist es schwer, das gebe ich zu. Ich mache gerade eine Lehre zum Hochbauzeichner, die mir übrigens der Beobachter ermöglichte. Dort arbeite ich von Montag bis Freitag. Abends mache ich meine Hausaufgaben. Aber all dieses Engagement macht mich glücklich. Die Dankbarkeit der Menschen gibt mir sehr viel. Ausserdem wäre ich nicht hier, wenn nicht andere Menschen mir geholfen und sich für mich eingesetzt hätten. Wir Menschen müssen füreinander da sein. Ich bin im Vorstand des Ausländerbeirats und in anderen Organisationen aktiv, wo ich mich für die Gleichberechtigung einsetze. Für Hobbys bleibt da keine Zeit. Wenn ich mal freihabe, meistens sonntags, telefoniere ich mit meiner Familie oder schlafe.


Ihre Familie wohnt immer noch in Guinea. Sie lebten dort bis 2014, dann kamen Sie in die Schweiz. Ihr Asylgesuch wurde mehrmals abgelehnt. Beim fünften Mal hat es geklappt, und Sie haben vor einem Jahr eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Was hat sich seither verändert?
Es hat sich viel verändert. Ich muss keine Angst mehr haben, wenn ich nach draussen gehe, und ich darf eine Ausbildung machen. Natürlich ist das Leben nicht nur einfach. Ich bin 25 und immer noch Lehrling, verdiene sehr wenig, aber der Aufenthaltsstatus ist für mich ein Schlüssel zur Freiheit.


Zu Ihren Zukunftsplänen: In der Doku sagen Sie, dass Sie der erste schwarze Bundesrat der Schweiz werden wollen?
Ja, so muss es sein! Ich mache das nicht zum Spass. Ich bin überzeugt, dass man mehr Möglichkeiten hat, zu helfen. Wir müssen zusammenhalten, denn gemeinsam können wir die Schweiz stärker machen, als sie heute ist. Es gibt noch immer viele armutsbetroffene Menschen. Ich weiss, wie sich das anfühlt, denn ich musste lange mit Fr. 8.50 pro Tag auskommen. Neben den Einheimischen sind auch Geflüchtete voller Potenzial, sie sind keine Bedrohung.