Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) spricht von einem Meilenstein, Kritiker warnen vor Diskriminierung. Seit kurzem kann die Polizei bei der Aufklärung von Straftaten ein neues Analyseinstrument nutzen: die DNA-Phänotypisierung. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was konnten DNA-Analysen bisher leisten?

Im Jahr 2022 wurden 5601 Übereinstimmungen zwischen Spuren und Personen festgestellt. Die drei häufigsten betrafen Einbruchdiebstähle (42 Prozent), Diebstähle (25 Prozent) und Betäubungsmittel-Delikte (12 Prozent).

Theoretisch können mit einer DNA-Spur verschiedene Merkmale ermittelt werden. Bis vor kurzem erlaubte das DNA-Profil-Gesetz aber nur, das Geschlecht einer Person zu bestimmen.

Wann kommen DNA-Analysen zum Einsatz?

DNA-Spuren – etwa aus Blut, Speichel, Sperma, Haaren oder Hautpartikeln – sind bei vielen Delikten relevant. So etwa bei

  • Einbruchdiebstählen
  • Raubüberfällen
  • Unfällen
  • Körperverletzungen
  • sexuellen Übergriffen
  • Tötungsdelikten

Spezialisten extrahieren im Labor die DNA, erstellen ein Profil und übermitteln dieses an die nationale DNA-Profil-Datenbank Codis. Eine Übereinstimmung kann in zwei Formen auftreten:

  • Spur-Personen-Übereinstimmung
    Die Spur kann einer bestimmten Person in der Datenbank zugeordnet werden, die dann von der Polizei vernommen wird.
  • Spur-Spur-Übereinstimmung
    Die Spur stimmt mit einer anderen Spur in der Datenbank überein, die dazugehörige Person konnte aber noch nicht identifiziert werden. Es kann also sein, dass zwei verschiedene Tatorte derselben unbekannten Person zugeordnet werden.
Was ändert sich durch das revidierte DNA-Profil-Gesetz?

In einem ersten Schritt wird eine DNA-Spur noch immer mit gespeicherten Profilen in der Datenbank verglichen. Im Idealfall lässt sich dadurch ein Täter ermitteln. Gibt es aber keine oder nur wenig aussagekräftige Hinweise, kann die DNA-Phänotypisierung zum Zug kommen. Das Gesetz legt in einem Deliktskatalog fest, bei welchen Straftatbeständen das Instrument zum Einsatz kommt. Dazu gehören etwa Mord oder Vergewaltigung – sowohl bei neuen Ermittlungen als auch bei «Cold Cases», also weit zurückliegenden ungeklärten Straftaten.

Bei der Phänotypisierung werden weitere Merkmale der verdächtigen Person aus der DNA-Spur herausgelesen. Dank diesen Informationen wird der Kreis der Verdächtigen eingegrenzt. Zwar nicht auf einzelne Personen, aber immerhin auf eine Gruppe von Menschen mit Eigenschaften, die in der DNA-Spur gefunden wurden.

Welche Merkmale können mittels Phänotypisierung ermittelt werden?

Die DNA-Phänotypisierung kann mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit äusserlich sichtbare Merkmale von Verdächtigen bestimmen.

  • Augenfarbe
    Blau und Dunkelbraun können mit einer 90- bis 95-prozentigen Sicherheit bestimmt werden, bei Zwischentönen sinkt die Wahrscheinlichkeit.
  • Haarfarbe
    Die Haarfarben Schwarz (87 Prozent), Rot (80 Prozent), Braun (78 Prozent) und Blond (69 Prozent) lassen sich mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit bestimmen.
  • Hautfarbe
    Weisse Hautfarbe lässt sich zu 98 Prozent bestimmen, sehr dunkel pigmentierte Haut zu 95 Prozent. Bei Mischformen beträgt die Vorhersagewahrscheinlichkeit 84 Prozent.
  • Biogeografische Herkunft
    Spezifische Merkmale der DNA geben einen Hinweis darauf, ob eine Person aus den Weltregionen Afrika, Europa, Ostasien, Südasien oder der indigenen Bevölkerung in Ozeanien oder Amerika stammt.
  • Alter
    Wenn eine Person zwischen 20 und 60 Jahre alt ist, lässt sich ihr Alter bis auf vier oder fünf Jahre genau bestimmen.

Die Strafverfolgung kann den Kreis der Verdächtigen anhand der Merkmale eingrenzen. Laut Fedpol zum Beispiel auf einen circa 45-jährigen, braunhaarigen Mann westeuropäischer Herkunft mit grünen Augen.

Wo stösst eine DNA-Analyse an Grenzen?

Die Analyse arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten, die in Laboruntersuchungen ermittelt wurden. In der Realität sind Zwischentöne aber sehr viel häufiger: Da ist eine Person weder eindeutig blond noch braunhaarig und hat vielleicht graue Augen.

Zudem ist ein Treffer beim Abgleich mit der Datenbank lediglich ein Hinweis auf die Täterschaft. Deshalb müssen die Strafverfolgungsbehörden weiterhin Opfer, Zeuginnen und Verdächtige einvernehmen. Aussagen müssen überprüft und verschiedene Spuren verfolgt werden.

Was machen andere Länder?

Die Niederlande schafften im Jahr 2003 als erstes Land eine Rechtsgrundlage für die Phänotypisierung. In den folgenden Jahren wurden Technologien der erweiterten DNA-Analyse auch in Ländern wie Kanada, Grossbritannien und in einigen US-Bundesstaaten eingeführt. In Deutschland ist die Phänotypisierung seit Januar 2020 möglich. Das dortige Gesetz verbietet im Gegensatz zum Schweizer Gesetz allerdings die Feststellung biogeografischer Merkmale.

Gibt es bereits Erfolge?

Oft zitiert wird ein Fall aus den Niederlanden: Im Jahr 1999 wurde eine 16-Jährige vergewaltigt und ermordet. Der erste Verdacht fiel auf die Bewohner eines nahegelegenen Asylheims. Weil DNA-Analysen keinen Erfolg zeigten, entschieden sich die Behörden, erstmals Phänotypisierung einzusetzen. Der Täter – ein Westeuropäer – konnte dadurch ermittelt werden.

In einem anderen Fall kam es in einem holländischen Dorf zu einem sexuellen Übergriff. Bei der Phänotypisierung stellte sich heraus, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Asien stammt. Im Dorf lebte nur eine Person mit asiatischer Herkunft – ihre DNA stimmte mit den Spermaspuren überein.

Was sagen Kritiker?

In vielen Ländern ist der Einsatz von Phänotypisierung wegen Persönlichkeits- und Datenschutzbedenken stark eingeschränkt oder verboten. Als DNA-Analysen zu Beginn der 2000er-Jahre im Schweizer Parlament diskutiert wurden, hiess es laut humanrights.ch, man müsse auf die Analyse hochsensibler personenbezogener Daten oder der ethnischen Herkunft verzichten. Rückschlüsse könnten zur «öffentlichen Stigmatisierung ganzer Gruppen» führen. Die Gefahr von rassistischen Diskriminierungen und Stereotypisierungen sei gross.

Schon bei der Entwicklung der Technologie würden Menschen rassifiziert, kritisiert Molekularbiologin Isabelle Bartram in der «WOZ»: «Die Systeme, die diese Proben auswerten, verwenden beispielsweise fünf Kategorien für Hautfarben. Aber das sind natürlich menschengemachte Kategorien, denn es gibt keine klar abgrenzbaren Kategorien.»

Auch wird oft hinterfragt, wie aussagekräftig eine Phänotypisierung ist. «Erweiterte DNA-Analysen sind aufgrund methodischer und technischer Begrenzungen sehr viel weniger präzise als etablierte DNA-Identitätsanalysen», so humanrights.ch. Sie beziehen sich nicht auf Individuen, sondern beschreiben ganze Menschengruppen.