Ende Januar waren 1294 Personen in der Datenbank Hoogan erfasst. Vor einem Jahr waren es 1210 gewesen, vor zwei Jahren gar nur 1110 Personen. Gespeichert wird, wer sich im Umfeld von Sportveranstaltungen gewalttätig verhält. Die Medien kamen flink zum Schluss: Es gibt mehr Chaoten und mehr Gewalt.

Wer sich genauer mit der sogenannten Hooligan-Datenbank beschäftigt, stellt fest: Die Zahl der tatsächlichen Gewalttäter ist weit kleiner als 1294. Voraussetzung für die Registrierung ist eine auferlegte Massnahme wegen Gewalt im Umfeld von Sportveranstaltungen, etwa ein Rayon- oder Stadionverbot.

Ist die Massnahme abgelaufen, bleibt die Person weitere drei Jahre gespeichert. Wird ein Name also wegen eines dreijährigen Stadionverbots ins Hoogan getippt, bleibt er sechs Jahre gespeichert. So kommt es, dass von den 1294 registrierten «Gewalttätern» bloss 519 aktuell mit Massnahmen belegt sind, wie das Bundesamt für Polizei (Fedpol) auf Anfrage des Beobachters sagt.

Löschung ist nicht einfach

Doch auch 519 entspricht nicht der Anzahl gewalttätiger Sportfans in der Schweiz. «Regelmässig werden Unschuldige in der Datenbank gespeichert», sagt Anwältin Manuela Schiller, die oft Fans vertritt. Das verfälscht die Statistik.

Schiller erinnert sich an einen Fall, der exemplarisch für viele weitere stehe: Nach der Rückkehr von einem Spiel in Luzern gingen rund 100 Fans des FC Zürich gemeinsam zum Fanlokal im Zürcher Kreis 3. Auf dem Weg versprayten mehrere von ihnen Fassaden. Die Polizei kesselte eine grosse Zahl von Fans ein, erteilte ihnen ein Rayonverbot wegen Landfriedensbruch und einen Eintrag in Hoogan. Schiller vertrat 27 Erfasste im Rekursverfahren. Die Verbote wurden in erster Instanz bestätigt. 20 Leute konnten es sich finanziell nicht leisten, das Verwaltungsgericht anzurufen. Dass dieses die Rayonverbote nach einer Beschwerde aufhob, kam also nur sieben Fans zugute. «Die restlichen 20 Leute sind zu Unrecht in Hoogan», sagt Schiller.

Ein Freispruch in einem Strafverfahren führt zudem nicht zwingend zu einer Löschung des Eintrags. Auf eine entsprechende Anfrage von Schiller antwortete das Fedpol, dass Namen insbesondere dann nicht gelöscht würden, wenn ein Freispruch wegen «strafrechtlicher Besonderheiten» erfolgt sei, etwa beim Grundsatz «Im Zweifel für den Angeklagten». Zudem teilten die Gerichte die meisten Freisprüche dem Fedpol gar nicht mit. Der Betroffene müsste also selber aktiv werden. Weil Rayon- oder Stadionverbote bis zu einem strafrechtlichen Freispruch aber ohnehin meist abgelaufen sind, sparen sich viele diesen Aufwand.

Keiner gilt als unschuldig

Die Hürde für einen Hoogan-Eintrag ist tief. Für ein Rayon- oder Stadionverbot reicht eine «glaubwürdige Aussage», sei es durch Polizei, Sicherheitspersonal oder Sportvereine. Was das heisst, zeigt ein anderer Fall, den Anwältin Schiller vor rund drei Wochen vor dem Kreisgericht St. Gallen verhandelte: Ein 18-jähriger Fan des FC Basel wurde im August 2012 in der St. Galler AFG-Arena verhaftet. Ein Securitas-Mitarbeiter behauptete, bei der Eingangskontrolle von ihm getreten worden zu sein. Der junge Fan beteuerte von Anfang an seine Unschuld und verwies auf die Videoaufnahmen. Dennoch verbrachte er zwei Tage in Untersuchungshaft und bekam neben dem Strafbefehl ein Stadion- sowie Rayonverbot und einen Hoogan-Eintrag. Im Rekursverfahren tauchte neues Videomaterial auf, das zeigte: Der Fan hatte die Wahrheit gesagt, der Securitas-Mann war zur fraglichen Zeit nicht in der Nähe des 18-Jährigen gewesen.

Geht es um einen Hoogan-Eintrag, gilt die Unschuldsvermutung nicht. Neben dieser Umkehr der Beweislast ist auch problematisch, dass Einträge bereits wegen Bagatelldelikten erfolgen. Ein Blick auf die Zahlen der letzten Jahre, die dem Beobachter vorliegen, zeigt, welche Delikte wie viele Massnahmen nach sich zogen: 13 Massnahmen laufen wegen Beschimpfung, 53 wegen Tätlichkeiten, 23 wegen Verstoss gegen das Vermummungsverbot, 27 wegen Hinderung einer Amtshandlung – wobei gegen eine Person wegen eines Delikts mehrere Massnahmen verfügt werden können. «Solche Delikte rechtfertigen keinen Eintrag in eine Datenbank für Gewalttäter», sagt Schiller. 259 Massnahmen wurden wegen des Besitzes oder des Einsatzes von Feuerwerk verfügt, und 211 aktuell laufende Massnahmen bestehen wegen Landfriedensbruch, des Tatbestands bei Massenverhaftungen.

Interessant: Die Anzahl der Delikte mit physischer Gewalt, also Körperverletzung oder Gefährdung des Lebens, bewegen sich im tiefen zweistelligen Bereich und sind im Vergleich zu vor zwei Jahren praktisch unverändert geblieben – bei steigenden Zuschauerzahlen. Deutlich weniger Massnahmen sind wegen Sachbeschädigung und wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte ausgesprochen worden.

Der Beobachter hat die Polizeistellen in den grösseren Städten zur Entwicklung der Gewalt befragt. Lediglich Bern und St. Gallen lieferten konkrete Zahlen: In Bern kam es 2012 zu acht Einsätzen. 2011 waren es elf gewesen. Das seien bloss die Vorfälle rund ums Stadion, bei denen die Polizei eingegriffen habe, präzisiert Mediensprecherin Corinne Müller. In St. Gallen zählte die Polizei in der Saison 2010/2011 einen Zwischenfall, als ein Thun-Fan einen Polizisten tätlich angriff. Nach dem Abstieg des FC St. Gallen ein Jahr später nochmals einen. In der laufenden Saison wurden drei Zwischenfälle gezählt, bei denen Fans und Sicherheitsdienst oder Polizei aneinandergerieten. Videoauswertungen würden aber nicht in die Statistik einfliessen, relativiert auch die St. Galler Polizei die Bedeutung der Zahlen.

Aussagekräftigere Zahlen hat die Swiss Football League. Inspektoren erheben bei jedem Spiel Vorfälle im Stadion, auch zu Gewalt. In der Saison 2009/2010 wurden 16 Gewaltdelikte gezählt. Seither bewegt sich die Zahl im einstelligen Bereich. Zur Halbzeit der laufenden Saison waren Ausschreitungen im Eingangsbereich anlässlich des Spiels St. Gallen gegen Basel der einzige Zwischenfall.

Künftig mindestens ein Jahr Rayonverbot

Offenbar nimmt die Gewalt an Sportveranstaltungen nicht zu. Dennoch diskutieren Politiker vieler Kantone die Verschärfung des «Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen». In einigen Kantonen ist die forschere Gangart beschlossene Sache. Eine kaum diskutierte Änderung: Die Dauer des Rayonverbots beträgt neu mindestens ein Jahr und maximal drei Jahre statt wie bisher ein Jahr. So bleibt der Eintrag in Hoogan länger bestehen, die Zahl der vermeintlichen Chaoten steigt weiter. Und das Tor zu noch härteren Massnahmen steht – ohne Zunahme von Gewalt – weit offen.