«Mir macht diese Gesetzeslücke grosse Sorgen»
Vertraulichkeit ist die absolute Grundvoraussetzung für eine Mediation, sagt Beobachter-Experte Marcel Altherr im Interview. Dass ein Staatsanwalt einen Mediator zur Zeugenaussage zwingen will, macht ihm grosse Sorgen.
Veröffentlicht am 20. August 2025 - 12:18 Uhr
Vertraulichkeit soll für ihn nicht gelten: Ein Zürcher Staatsanwalt will einen Mediator dazu zwingen, als Zeuge auszusagen. Das kann er, denn das Zeugnisverweigerungsrecht für Mediatoren ist – anders als bei Zivilprozessen – nicht explizit in der Strafprozessordnung festgelegt. Und das, obwohl die Schweigepflicht nicht nur für Ärzte und Anwältinnen, sondern auch für Ernährungsberater oder Chiropraktikerinnen gilt. Nur eben nicht für Mediatoren. Über diese Gesetzeslücke – die vielleicht so gar nicht gewollt ist – berichtete die «NZZ am Sonntag».
Im konkreten Fall geht es um eine von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb angeordnete Mediation. Die Behörden ermitteln wegen Drohung. Der betroffene Mediator und Anwalt Ueli Vogel-Etienne will sich weigern, auszusagen, und nötigenfalls bis vor Bundesgericht prozessieren.
Jurist Marcel Altherr berät seit 10 Jahren Beobachter-Abonnenten und ist daneben auch als Friedensrichter und seit 15 Jahren als Mediator tätig. Im Interview sagt er, was dieser Einzelfall für andere Mediatoren bedeutet.
Marcel Altherr, was bedeutet Vertraulichkeit für deinen Job als Mediator?
Vertraulichkeit ist die absolute Grundvoraussetzung. Nur so kann man die Allparteilichkeit wahren. Die Klienten müssen einen geschützten Raum haben, um sich frei zu äussern, ohne zu denken, dass das Gesagte gegen oder für sie verwendet wird. Die Leute sollen sich keine Sorgen machen müssen. Nichts soll verboten sein, zu sagen.
Was sagst du dazu, dass der Zürcher Staatsanwalt einen Mediator zur Aussage zwingen will?
Mir macht diese Gesetzeslücke grosse Sorgen. Ich sehe das genauso wie der betroffene Mediator Ueli Vogel-Etienne. Ich glaube, es ist ein sehr schlechtes Signal für die Mediation.
Hat diese Neuigkeit bereits unmittelbar Einfluss auf deine Arbeit?
Jetzt werde ich noch deutlicher sagen, dass ich der Schweigepflicht unterstellt bin und mich nicht als Zeuge oder Sachverständiger benennen lassen würde. Denn vielleicht machen sich die Leute nach der Berichterstattung über die Gesetzeslücke Sorgen.
Wie würdest du dich verhalten, wenn dich der Staatsanwalt zur Befragung vorlädt?
Ähnlich wie der in der «NZZ am Sonntag» erwähnte Mediator. Ich würde vielleicht noch versuchen, im Gespräch mit dem Staatsanwalt aufzuzeigen, was sein Vorgehen für die Mediation und das Verfahren bedeutet. Und versuchen, seine Beweggründe zu erfahren. Aber wenn es hart auf hart kommt, würde ich auch darauf beharren, dass ich der Schweigepflicht unterstellt bin, und er müsste mir eine anfechtbare Verfügung zustellen. Und dann würde ich die Sache auch vor Gericht austragen.
Kann es trotzdem vorkommen, dass ein Mediator aktiv werden und den Behörden etwas melden muss?
Ich musste das bisher noch nie. Aber es gibt natürlich Situationen, in denen ich dazu verpflichtet bin. Zum Beispiel, wenn es ums Kindswohl geht und in einer Mediation rauskäme, dass Kinder von den Eltern misshandelt werden.