Yasmine Motarjemi hatte Missstände rund um die Lebensmittelsicherheit beim Nahrungsmittelmulti aufgedeckt und wurde daher entlassen. 2012 zog die Whistleblowerin vor Gericht. 2020 gab das Waadtländer Kantonsgericht Motarjemi recht. Sie sei von ihrem direkten Vorgesetzten jahrelang herabgesetzt und «hinterhältig» gemobbt worden.

Zudem habe Nestlé ein «Scheingutachten» in Auftrag gegeben, statt die Mitarbeiterin zu schützen und den Missständen auf den Grund zu gehen. Nestlé zog das Urteil vor Bundesgericht, unterlag aber. Danach ging es um die Höhe des Schadenersatzes.

Nestlé akzeptiert dessen Entscheid. Der Multi muss Motarjemi zwei Millionen für Lohnausfall und Schadenersatz, rund 100'000 Franken für Gerichts- und Anwaltskosten sowie einen symbolischen Franken Genugtuung zahlen. Der Beobachter hat die heute 67-Jährige vor drei Jahren für den Prix Courage vorgeschlagen.

Frau Motarjemi, wie geht es Ihnen nach dem Kampf gegen Nestlé?
Es geht mir nicht gut. Mein Leben wurde von einigen wenigen ruiniert. So dankbar ich dem Kantonsgericht für sein Urteil bin, umso enttäuschter bin ich von Nestlé. Der Umgang mit Whistleblowerinnen und Whistleblowern muss grundlegend verbessert werden. Die meisten Länder haben spezielle Whistleblower-Gesetze, die sie schützen. In der Schweiz hingegen werden sie verfolgt, und Mobbing ist nicht einmal ein Straftatbestand. Ich danke dem Beobachter, der mich für den Prix Courage nominierte und damit ein Zeichen setzte.


Sie seien eine «sehr traurige Person», sagten Sie damals bei der Prix-Courage-Verleihung.
Meine Seele ist verbrannt. Kaum jemand kann sich vorstellen, unter welchem Druck ich all die Jahre stand. Ich verlor den Glauben an die Politik, die Justiz und die Gesellschaft.


Wurden die Verantwortlichen bei Nestlé jemals zur Rechenschaft gezogen?
Nein. Es gab keine Sanktionen gegen jene, die meine Karriere, mein soziales Leben und meine Gesundheit zerstörten. Sie blieben in ihren Jobs und wurden teilweise sogar befördert.


Wie gehen Sie damit um?
Es macht mich sehr traurig. Wer der Gesellschaft dient und Missstände aufdeckt, wird verfolgt. Wer aber unverantwortlich oder gar kriminell handelt, kommt davon.


Können Sie jetzt Frieden finden?
Ich habe mehr als ein Dutzend Jahre gegen einen übermächtigen Giganten gekämpft und musste immer auf der Hut sein – das hat mein Leben so lange geprägt, dass ich nicht sofort in ein normales Leben zurückfinden kann.

Aufruf: Prix Courage 2023

Wer soll für den Prix Courage 2023 nominiert werden? Vorschläge bitte an: prixcourage@beobachter.ch

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