Auf einen kritischen Bericht des Beobachters reagierte der Verein Psychex mit einer Klage auf Gegendarstellung. Der Verein wirft dem Beobachter vor, ihn «diffamiert» zu haben und verlangte, seine Sicht der Dinge detaillierter auszubreiten. Weil nur falsche Tatsachenbehauptungen, nicht aber Werturteile zu einer Gegendarstellung berechtigen und der eingereichte Text von Psychex auch die formalen Anforderungen an eine Gegendarstellung nicht erfüllte, lehnte der Beobachter die Forderung ab.

Eine Tatsache, die Psychex nutzte, um Werbung für sich zu machen. Der Verein, der sich für die Rechte der «Zwangspsychiatrisierten» einsetzt, erkannte die Chance, um «Aufsehen zu erregen», schaltete Inserate und lud das Publikum diese Woche zur Gerichtsverhandlung ein. Sie endete vorerst ohne Ergebnis.

Inhaltlich konnte «Psychex»-Gründer Edmund Schönenberger die vom Beobachter vorgebrachte Kritik am abstrusen Weltbild von Psychex nicht widerlegen. In einer Vergleichsverhandlung vor dem Zürcher Bezirksgericht gabs keine Einigung.

Worum geht’s? Der Beobachter beleuchtete unter dem Titel «Die Zwangsjacke hat ausgedient» die Frage, unter welchen Voraussetzungen Leute mit psychischen Störungen oder geistigen Behinderungen gegen ihren Willen in eine Klinik eingewiesen und psychiatrisch behandelt werden dürfen.  

Dabei ist unstrittig, dass Zwangseinweisungen in eine geschlossene Abteilung stets sorgfältig beurteilt werden müssen. Sie sind ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeit und dürfen deshalb nur angeordnet werden, «wenn die nötige Behandlung oder Betreuung (bis heute Fürsorge) nicht anders erfolgen kann».

Ebenso unstrittig ist, dass Betroffene oder deren Angehörige das Recht haben, sich gegen eventuell unnötig vorgenommene Einweisungen zu wehren, indem sie ein Gesuch um sofortige Entlassung einreichen können. Ein solches Gesuch muss stets umgehend von der zuständigen richterlichen Behörde geprüft werden.

Der Beobachter wies auf diese Rechte der Patienten hin und erwähnte die fraglos wichtige Arbeit von Institutionen wie Pro Mente Sana oder Pro Infirmis, die sich für die Anliegen von Patienten in geschlossenen Anstalten stark machen und ihnen Hilfe bieten. Auch der Verein Psychex hat sich diesen Zielen verschrieben.

Obwohl der Beobachter diese Ziele teilt, musste er darauf hinweisen, dass beim Verein Psychex «Vorsicht geboten» ist. Der Verein vermittelt ein einseitiges, überholtes und unhaltbares Bild der heutigen Psychiatrie.

Schlimmer noch: Die Tatsache, dass es Leute mit nur schwer behandelbaren psychischen Störungen gibt, wird einfach ignoriert. Stattdessen verbreitet Psychex sein krudes Weltbild: «Pharmaindustrie und Psychiatrie zielen mit ihren chemischen, physischen und psychischen Fesseln auf Freigeister, Unkonventionelle und auf alle, welche die unablässige Expansion der Wirtschaft nicht als oberste Lebensmaxime verinnerlichen wollen.» Psychex fordert von Zwangsmassnahmen Betroffene deshalb auf, einfach das Formular «Ich will sofort raus aus dem Irrenhaus» auszufüllen und schon werde der Verein aktiv. Fachleute und Angehörigenvereine kritisieren die Organisation, weil sie sich zwar für die Freilassung von Patienten einsetze, ihnen aber kaum Nachbetreuung biete.

Mit umso mehr Einsatz stellt Psychex die Arbeit in den psychiatrischen Kliniken an den Pranger. Selbst vor abstrusesten Vergleichen schreckt man dabei nicht zurück. So sieht Vereinsgründer und Anwalt Schönenberger «erstaunliche Parallelen zwischen Inquisition und Zwangspsychiatrie». Ganz so, als ob sich in der Psychiatrie in den letzten 50 Jahren nichts verändert hätte.

«Die Opfer der Zwangspsychiatrie müssen gestehen, geisteskrank zu sein», schreibt er in einem Essay. Dafür finde «eine eigentliche Gehirnwäsche statt». Schönenberger breitet Weltverschwörungstheorien aus und behauptet, eine «Herrscherclique» agiere aus dem Untergrund und habe sich die «heimliche statt öffentliche Beseitigung von Menschen» auf die Fahne geschrieben. Öffentliches Verbrennen, Enthaupten oder Erhängen würden zwar vermieden, aber «störende Elemente» würden von diesem Herrschaftssystem in «hermetisch abgeschotteten Massenanstalten» entsorgt.

Schönenberger redet von «Irrenhäusern», von «Folter» und «heimtückischen Nervengiften» und entwirft ein pauschales Gesamtbild, das mit der heutigen Psychiatrie herzlich wenig gemein hat.

Kritiker solcher Verschwörungsfantasien kanzeln Psychex-Vertreter gerne mit geharnischten Worten ab. So wird auch der Autor des Beobachter-Artikels, der sich mit unzähligen Fällen von Zwangseinweisungen kritisch befasst hat, von Psychex-Vertretern öffentlich verunglimpft.

Exakt dies ist das Muster sektiererisch auftretender Organisationen: Die Verschwörung durch eine dunkle Herrschaftsqlique wird zur Glaubenslehre gemacht. Wer Kritik daran wagt, wird ausgegrenzt.

Der Beobachter bezeichnete deshalb in seinem Artikel das Vorgehen von Psychex als «sektiererisch».  Weil vor dem Zürcher Bezirksgericht kein Vergleich zustande kam, werden nun die Richter entscheiden müssen, ob dies ein Werturteil ist oder eine falsche Tatsachenbehauptung.

Ergänzung: Gericht erteilt dem Verein Psychex eine Abfuhr

Der Beobachter «hat sich erdreistet, den Verein Psychex zu diffamieren», heisst es auf der Homepage von Psychex, deshalb werde die Zeitschrift «vor den Kadi zitiert». Konkret verlangte der Verein, der sich für die Rechte von Patienten in geschlossenen psychiatrischen Anstalten einsetzt, eine Gegendarstellung auf den Bericht «Die Zwangsjacke hat ausgedient».

In einem öffentlichen Aufruf via Inserat forderte Psychex auf, dem Prozess vor Zürcher Bezirksgericht beizuwohnen. Nicht weil man an den Rechtsweg glaube, «sondern weil die gerichtliche Auseinandersetzung Gelegenheit bieten wird, eine breitere Öffentlichkeit über die fragwürdige Berichterstattung und den Missbrauch dieses Mediums zu orientieren».

«In ungünstigem Licht»

Nun ist klar: Der Beobachter hat die verlangte Gegendarstellung korrekterweise abgelehnt. Der von Psychex eingereichte Text erfülle die Vorgaben an dieses Recht nicht und enthalte «keine Tatsachenbehauptungen, die Tatsachenbehauptungen des publizierten Artikels direkt entgegenstünden», so das Gericht Anfang Oktober. Und weiter: Wenn der Beobachter den Verein Psychex dahingehend kritisiere, er äussere «abstruse Kritik» und trete «sektiererisch» auf, handle es sich «wohl um Wertungen, die einer Gegendarstellung nicht zugänglich sind». Dasselbe gelte für den Hinweis des Beobachters, bei Psychex sei «Vorsicht geboten».

Der Beobachter-Artikel hatte die Frage behandelt, wann Leute gegen ihren Willen in Kliniken eingewiesen und psychiatrisch behandelt werden dürfen. Psychex und seine Anwälte haben in diesem Zusammenhang fraglos einiges geleistet.

Kritisiert wurde Psychex vom Beobachter aber vor allem wegen seines sektiererischen Auftretens und wegen seiner Pauschalkritik an der ganzen heutigen Psychiatrie. «Bei der Leserschaft [des Beobachters] mag der Kläger durch die Publikation tatsächlich in einem ungünstigen Licht erscheinen», meint das Gericht. Das aber habe der Verein sich selber zuzuschreiben: «Dieses ungünstige Licht wird in erster Linie durch die nicht in Frage gestellten Zitate von der Homepage des Klägers hervorgerufen, nicht durch andere vom Beobachter vorgebrachte Tatsachen oder das Fehlen irgendwelcher Fakten in dessen Darstellung.»

Bis Redaktionsschluss stand noch nicht fest, ob Psychex Berufung einlegt.

Andres Büchi, 23.10.2012