Dubravko Rajcevic sass zwei Jahre im Gefängnis, weil er Martina Hingis mit Blumen überhäuft und stundenlang an ihrer Haustür geklingelt hatte. Er war überzeugt, die Tennisspielerin liebe ihn. In Hamburg attackierte Günter Parche 1993 Monica Seles mit einem Messer, weil er seiner grossen Liebe Steffi Graf die Rückkehr an die Weltranglistenspitze ermöglichen wollte. Jodie Foster war ebenso Stalking-Opfer wie Madonna, Büne Huber und Patricia Boser.

Aber Stalking – das beabsichtigte, böswillige und wiederholte Verfolgen und Belästigen einer Person – kann jeden treffen: «Sie können morgen beim Bäcker jemanden kennen lernen und ihn die nächsten drei Jahre nicht mehr loswerden», sagt der deutsche Stalking-Experte Jens Hoffmann, Psychologe an der Technischen Universität Darmstadt. In amerikanischen und australischen Studien geben 10 bis 15 Prozent der Befragten an, mindestens einmal massiv und andauernd belästigt worden zu sein – Zahlen, die laut Fachleuten auf die Schweiz übertragbar sind.

Belästigt werden hauptsächlich Frauen
«Langsam wird Stalking auch im deutschsprachigen Raum als soziales Problem erkannt», sagt Psychologe Hoffmann. Er hat nicht nur Fälle von Prominenten untersucht, die Stalking als Opfer oder Täter erlebt haben, sondern auch die Erfahrungen von rund 400 anderen Betroffenen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Oft sind die Täter Bekannte. Laut Hoffmanns Studie stalken in der Hälfte der Fälle Expartner, die das Ende einer Beziehung nicht akzeptieren können. Im Schnitt dauern die Belästigungen zwei Jahre. 80 Prozent der Bedrängten sind Frauen.

Es gibt aber auch männliche Betroffene. Der Schweizer Roland Meier (Name geändert) zum Beispiel wollte nach einer sechsmonatigen Fernbeziehung mit einer Italienerin Ende 2000 einen Schlussstrich ziehen. Der heute 30-Jährige stiess aber auf wenig Verständnis. Die Frau beteuerte ihre Liebe in Dutzenden von Briefen und Telefonaten. Als dies nicht fruchtete, zog sie in eine Wohnung, die nur 100 Meter entfernt von jener ihres Liebsten lag. Die Belästigungen häuften sich.

«Oft fehlt den Betroffenen die Stärke, dem Menschen, den sie liebten, eine klare Abfuhr zu erteilen», erklärt der Basler Psychiater Werner Tschan, der Stalking-Opfer betreut. Einmal unmissverständlich sagen, dass man keinen Kontakt mehr will, sei aber die einzige richtige Reaktion. Und Jens Hoffmann fügt hinzu: «‹Ich will allein sein› oder ‹Ich habe einen Freund› ist zu schwach; solche Aussagen lassen den Täter auf später hoffen.»

Ist dieser erste Schritt getan, braucht es Durchhaltewillen. Stalker beobachten ihre Opfer am Wohnort, am Arbeitsplatz und unterwegs, reisen ihnen manchmal sogar in die Ferien nach. Laut der Studie der Uni Darmstadt werden 85 Prozent mit Telefonanrufen belästigt; knapp 70 Prozent gaben an, der Stalker halte sich in ihrer Nähe auf. Manche Täter bestellen bei Versandhäusern Kleider auf den Namen des Opfers, andere lassen den Strom abstellen. Abgewiesene Partner gaben auch schon eine Todesanzeige des Opfers auf.

Jeder dritte Belästigte, so Hoffmann, ändert die Mailadresse und die Telefonnummer oder schafft sich einen Telefonbeantworter an. Auch Roland Meier änderte seine Telefonnummer und ging auf Umwegen ins Büro, um seiner Ex nicht zu begegnen. Weil alles nichts nützte, schaltete er ein Jahr nach dem einseitigen Ende der Beziehung einen Anwalt ein.

Der rechtliche Weg ist oft beschwerlich. Im Gegensatz zum angloamerikanischen Rechtskreis gibts für Stalking in der Schweiz keinen eigenen Straftatbestand. Bevor es nicht zu heftigen Drohungen oder tätlichen Übergriffen kommt, bleibt meistens nur eine zivilrechtliche Klage. «Es ist grundsätzlich nicht verboten, jemandem wiederholt Blumen zu senden oder sich fortwährend in seiner Nähe aufzuhalten», erklärt Orlando Vanoli, der in seiner Dissertation an der Uni Zürich das Schweizer und das kalifornische Strafrecht bezüglich Stalking untersucht.

Polizei und Justiz müssten in der Schweiz noch sensibilisiert werden, so Vanoli, und statt einzelner Ereignisse die Summe der Belästigungen in den Vordergrund ihrer Beurteilung stellen. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichts gibt es inzwischen: Das oberste Schweizer Gericht bestätigte 2003 das Urteil mehrfacher Drohung und Nötigung gegen einen Mann, der zwei ehemaligen Vorgesetzten innerhalb eines Jahres unter anderem 126-mal aufgelauert hatte, um über eine Wiederanstellung zu diskutieren.

Gang vor Gericht will gut überlegt sein
Roland Meier erreichte vor Gericht vorerst eine vorsorgliche Verfügung, die es seiner Exfreundin verbot, ihn weiter zu belästigen. Davon liess sich diese jedoch keineswegs beirren. Als sie gegen die Verfügung verstiess, konnten Meier und sein Anwalt strafrechtlich gegen sie vorgehen. Die Italienerin wurde mit zehn Tagen Gefängnis bestraft.

Obwohl ein Gang vor Gericht also Chancen auf Erfolg hat, muss ein solcher Schritt gut überlegt sein: «Wird eine Klage eingereicht, reagiert etwa ein Fünftel der Stalker kurzfristig mit verstärkten Drohungen oder wird gar tätlich», sagt Jens Hoffmann. Und ob der Täter nach einem Gerichtsentscheid ganz aus dem Leben seines Opfers verschwindet, ist auch nicht gewiss. Roland Meiers Verehrerin wohnt weiterhin in seiner Nähe.

«Viele Stalking-Opfer leiden an Angstzuständen oder an Schlafstörungen, auch wenn die Belästigungen vorbei sind», sagt Psychiater Werner Tschan. Die meisten würden Mitmenschen gegenüber misstrauischer. Problematisch findet der Psychiater, dass die Polizei entsprechende Beschwerden oft nicht als Stalking erkenne. «Man sieht einem Menschen den Stalker nicht unbedingt an.»

Das können Stalking-Opfer tun

  • Sagen Sie dem Stalker unmissverständlich, dass Sie keinerlei Kontakt wollen. Nützt dies nichts, fangen Sie an, Beweismaterial zu sammeln: Briefe, Anrufe, SMS, Geschenke. Bewahren Sie aus Sicherheitsgründen aber nichts in Ihrer Wohnung auf. Informieren Sie Ihre Familie, Freunde und Nachbarn – sie sind mögliche Zeugen.

  • Erstatten Sie Anzeige bei der Polizei und verweisen Sie auf das gesammelte Beweismaterial, wenn die Belästigungen über längere Zeit andauern.

  • Lassen Sie sich eine zweite Telefonnummer geben, die nur Ihre Freunde kennen, wenn der Stalker Sie mit Anrufen belästigt. Stellen Sie den alten Anschluss auf lautlos und schliessen Sie einen Telefonbeantworter daran an.

  • Rufen Sie Nachbarn als Zeugen, wenn der Stalker vor Ihrer Tür steht. Verfolgt er Sie mit dem Auto, fahren Sie am besten direkt zur Polizei. Nehmen Sie keine Pakete an, wenn Sie den Absender nicht kennen.

  • Wenden Sie sich an einen Psychologen, wenn Sie den Stalker nicht ignorieren können und/oder Angstzustände haben.