Leserfrage: Ich bin schon eine Weile in psychotherapeutischer Behandlung, aber es klappt nicht so richtig damit. Ich glaube irgendwie, dass Depressionen und Selbsthass angeboren sind und dass der Weg, um damit leben zu können, nicht das Besiegen, sondern das Akzeptieren dieser Probleme und Gefühle ist.

Zum Ersten: nein! Zum Zweiten: ja! Dass es eine vererbte Neigung zur Melancholie gibt, kann ich zwar noch knapp gelten lassen, was allerdings noch lange nicht heisst, dass man deswegen tatsächlich in die Sackgasse der Depression geraten muss. Dass Selbsthass angeboren sein könnte, halte ich dagegen Verzeihung für baren Unsinn. Der Normalzustand ist, dass wir uns selber mögen oder uns zumindest okay finden.

Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn Teile unseres Wesens oder wir als ganze Person bereits als Kinder abgelehnt wurden. Manchmal geschieht dies, ohne dass es die betreffenden Eltern bewusst wahrnehmen. Weil sie dem Idealbild guter Eltern entsprechen wollen, verdrängen sie ihre Aggressivität oder Gleichgültigkeit gegenüber ihren Kindern und wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen.

Deutlich bejahen kann ich jedoch Ihre Idee, gegen Probleme und Gefühle nicht zu kämpfen, sondern sie zu akzeptieren. Damit spart man einen Haufen Energie. Ausserdem hat die menschliche Seele die wunderbare Eigenschaft, Blockaden, die erkannt und angenommen werden, automatisch aufzulösen. Genau solche Prozesse muss ein Psychotherapeut anstossen können. Sonst verdient er diesen Namen nicht.